Skirennläuferin Viktoria Rebensburg:Probleme mit der Materie

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Viktoria Rebensburg zählt zu den talentiertesten Ski-Rennfahrerinnen der Welt - aber wegen eines Fehlers in der Jugendarbeit wird sie ihren Rückstand im Slalom wohl nie aufholen können. Ihr Trainer findet das "unglaublich".

Michael Neudecker

Die herkömmliche Kippstange im Slalom-Weltcup hat einen Durchmesser von 31 Millimetern, ist aus dem besonders robusten Kunststoff Polycarbonat gefertigt und schnalzt laut, wenn sie auf dem Boden aufschlägt. Sie schlägt oft auf dem Boden auf, dauernd: Ein Slalomfahrer führt ja nur seine Skier knapp an der Stange vorbei, sein Oberkörper aber bleibt aufgerichtet und zentral, er bleibt sozusagen über der Stange, und wenn er auf sie zufährt, schlägt er sie mit dem Arm aus dem Weg.

Das Riesenslalom-Tor als Freund, die Slalom-Kippstange als Gegner: Viktoria Rebensburg beim Riesenslalom in Lienz, den sie als Vierte beendete. (Foto: REUTERS)

Die Skirennfahrer sagen: Wer schnell sein will, muss mit der Stange spielen. Er darf sie nicht als Hindernis betrachten, sondern als Teil seiner rhythmischen Bewegung. Die Stange ist dein Freund, sagen sie.

Die Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg aus Kreuth würde das nie sagen. Für sie ist die Kippstange nicht der Freund. Sie ist der Gegner.

An diesem Dienstag findet in Zagreb das nächste Weltcuprennen statt, die Frauen treten beim Nachtslalom auf dem Sljeme an, einem Eintausender im kroatischen Naturpark Medvednica. Der Deutsche Skiverband (DSV) hat acht Starterinnen nominiert, die Hoffnungen liegen wie immer auf Maria Höfl-Riesch, aber auch auf der 21-jährigen Christina Geiger. Viktoria Rebensburg? Trainiert in Österreich auf der Reiteralm, eventuell auch in Wagrain, je nach Schneelage, Riesenslalom und Super-G.

Viktoria Rebensburg zählt zu den talentiertesten Skirennfahrerinnen der Gegenwart, sie ist mit 20 Jahren im Riesenslalom Olympiasiegerin geworden, mit 21 gewann sie den Disziplinweltcup, und vor ein paar Wochen hat sie mit zwei vierten Plätzen in der Abfahrt gezeigt, dass sie auch in den Speed-Disziplinen bald eine ernstzunehmende Konkurrentin sein wird. Aber Slalom? Viktoria Rebensburg hat noch nie einen Weltcup-Slalom bestritten. Sie würde schon gern, sagt sie, aber, nun ja: Sie hat zu spät gelernt, wie das geht.

Im August vergangenen Jahres ist sie bei einem unterklassigen Fis-Rennen in Coronet Peak, Neuseeland, mitgefahren, es war ihr 26. offizielles Slalomrennen. Es waren 26 Teilnehmerinnen am Start, eine war 14 Jahre alt, sechs waren 15 und vier waren 16 - Rebensburg, 22, war die Viertälteste. Die Norwegerin Lotte Sejersted gewann vor Susanne Riesch und Lena Dürr, Rebensburg wurde Neunte, mit fast fünf Sekunden Rückstand auf Sejersted. Es war das beste Ergebnis, das sie je in einem Slalom erreichte.

Karriere von Viktoria Rebensburg
:Weltklasse vom Tegernsee

Als Juniorin gewann Vicky Rebensburg alles, trotzdem taten ihren überraschenden Olympiasieg 2010 manche als Zufall ab. Doch sie etablierte sich in der Weltspitze - und macht nun Schluss. Ihre Laufbahn in Bildern.

Christian Schwaiger, der Techniktrainer der deutschen Skirennfahrerinnen, schüttelt den Kopf, wenn man mit ihm über Rebensburg und den Slalom spricht. Es sei ja nicht so, dass sie nicht Slalomfahren könne, im Gegenteil: "Sie hat einen genialen Slalomschwung, sie hat so viel Dampf in ihren Skiern wie längst nicht alle Slalom-Spezialistinnen", sagt Schwaiger, der Österreicher. Ein schneller Schwung aber ist nur ein Teil der Technik, die man braucht, um im Slalom schnell zu sein. Die Vicky, sagt Schwaiger, "kann mit der Materie Stange nicht umgehen". Er schüttelt nochmal den Kopf: "Unglaublich."

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:Weltklasse vom Tegernsee

Als Juniorin gewann Vicky Rebensburg alles, trotzdem taten ihren überraschenden Olympiasieg 2010 manche als Zufall ab. Doch sie etablierte sich in der Weltspitze - und macht nun Schluss. Ihre Laufbahn in Bildern.

Viktoria Rebensburg ist, das sieht nicht nur Schwaiger so, "eine potentielle Gesamtweltcupsiegerin", gesegnet mit einem besonderen Gefühl für Schnelligkeit auf Skiern. Aber wegen eines fatalen Fehlers in der Basisarbeit wird sie ihr Talent im Slalom nie ausschöpfen können: Sie hat, als sie noch ein Kind war und zu jung für die DSV-Nachwuchskader, die Kippstangentechnik im Vereinstraining viel zu spät gelernt.

Deutschland ist eben nicht Österreich, in vielen Vereinen fehlen die Möglichkeiten, gut geschulte Trainer schon für Kinder zu engagieren. "Die anderen in meinem Alter", erinnert sich Rebensburg, "haben die Kippstangentechnik perfekt beherrscht", sie schmunzelt, "aber ich bin nur außenrum gefahren." Wenn man sie auf den Gesamtweltcup anspricht, blockt sie ab, klar: Sie ist jung, und die Erwartungen sind ohnehin hoch genug.

Und: Lindsey Vonn und Maria Höfl-Riesch, die den Titel seit Jahren unter sich ausmachen, fahren überall auf höchstem Niveau, vergangene Saison lagen hinter ihnen die Slowenin Tina Maze, die Österreicherin Elisabeth Görgl und die Amerikanerin Julia Mancuso - alle drei starten in allen Disziplinen. Dazu kommt die Österreicherin Anna Fenninger, die Speed-Rennen bevorzugt, aber nun den Riesenslalom in Lienz gewann.

Am Anfang der Saison hat Rebensburg zwar für kurze Zeit das Gesamtklassement angeführt, auf Dauer oben zu stehen aber ist jedenfalls im aktuellen Frauenfeld schwierig, wenn eine Disziplin fehlt. Gewiss, sie trainiert inzwischen auch Slalom, aber auf Weltklasseniveau zu kommen, das, sagt Rebensburg, "ist extrem schwer". Die Grundlagen für die Leistungsfähigkeit eines Sportlers werden im Kindesalter gelegt, mit 22 Jahren ist man im Spitzensport erwachsen.

Erst einmal gilt ihre Konzentration ohnehin den Speed-Disziplinen Super-G und Abfahrt, abgesehen von ihrer Hauptdisziplin Riesenslalom natürlich. Sie soll an jedem Speedrennen in dieser Saison teilnehmen, um dort Erfahrung zu bekommen - der Slalom steht auf ihrer Prioritätenliste weit hinten. Noch jedenfalls: Der Slalom, sagt Viktoria Rebensburg, "hat für mich einen großen Reiz", ihre Augen funkeln jetzt, "weil niemand mit mir rechnet".

© SZ vom 03.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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