Ski-WM in St. Moritz:Wie zwei Afghanen zur Ski-WM kommen

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WM-Debüt in St. Moritz: Die afghanischen Skirennfahrer Sajjad Husaini (l.) und Ali Shah Farhang. (Foto: N/A)
  • Ali Shah Farhang und Sajjad Husaini versuchen am Donnerstag, sich für den Riesenslalom bei der alpinen Ski-WM zu qualifizieren - als erste Afghanen überhaupt.
  • Ihr Abenteuer begann vor sechs Jahren, als sie einen Schweizer Journalisten kennenlernten.
  • Ihr großes Ziel ist Olympia. Wenn es mit der Profikarriere nicht klappt, möchten sie als Skilehrer in ihrer Heimat arbeiten.

Von Matthias Schmid, St. Moritz

Der Weg zu Sajjad Husaini und Ali Shah Farhang führt an schmucklosen Häusern vorbei, die an osteuropäische Plattenbauten erinnern. In diese eher triste Gegend von St. Moritz-Bad verirrt sich kaum eine Pelzträgerin und kaum ein Rolls-Royce, die das Bild im Dorfzentrum des mondänen Skiorts im Oberengadin mitprägen. Husaini, 25, und Farhang, 26, wohnen an der engen Straße im letzten Haus rechts vor dem Waldrand, in der Jugendherberge. Farhang öffnet die Tür in einem abgetragenen Trainingsanzug von Real Madrid mit einem herzlichen "Grüezi mitenand", die schweizerdeutschen Wörter kommen ihm locker über die Lippen.

Er und sein Teamkollege haben sich gut eingelebt in der Schweiz, die Söhne afghanischer Bauern, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sind, kommen schon den dritten Winter nach St. Moritz, um ihren Traum zu leben. Ihrem Traum, bei den Winterspielen im nächsten Jahr in Pyeongchang mitzumachen. Ihren ersten großen internationalen Auftritt werden die beiden am Donnerstag bei der alpinen Ski-WM haben, in der Qualifikation zum Riesenslalom. Als erste Afghanen überhaupt.

Ihr Abenteuer begann vor sieben Jahren mit dem Ärgernis eines Schweizer Journalisten, der einst in Bamyan festsaß, in der Heimatprovinz von Husaini und Farhang, rund 180 Kilometer von Kabul entfernt. Christoph Zürcher musste damals in dem von mehreren Kriegen geplagten Land in den Bergen des Koh-e-Baba-Massivs ausharren, die sich dort bis zu 5000 Meter auftürmen. Es ist seit der Jahrtausendwende eine relativ sichere Region mit einem imposanten Panorama.

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Sie begannen auf Yakhmalaks, Holzlatten mit Dosen drunter

"Hier müsste man doch Ski fahren können", dachte sich Zürcher. Doch Skigebiete oder Lifte gab es nicht. Zürcher aber ließ der Gedanke nicht los, er kehrte zurück, mit Skiern und Winterklamotten. 2011 gründete er den Bamyan Ski-Club mit Sitz in St. Moritz. Und organisierte die erste "Afghan Ski Challenge", ein Tourenrennen über zwei bis vier Kilometer. Oberstes Gebot der Ausschreibung: "Es sind keine Waffen erlaubt."

Sechs Jahre sind seit dem ersten Wettbewerb vergangen, Farhang hat mehrere davon gewonnen. Er ist Zürcher gleich als begabter Skifahrer aufgefallen, doch auf Skiern war er nie gestanden, nur auf sogenannten "Yakhmalaks", zwei Holzlatten mit Lederriemen und platt gedrückten Getränkedosen als Belag. Mittlerweile kommen er und sein Freund auf 220 Skitage, sie sollen die ersten Athleten werden, die ihr Land bei den Winterspielen vertreten. Mit Hilfe von Gönnern und Sponsoren können sie im Winter fast zweieinhalb Monate in der Schweiz leben und an ihrer Skitechnik und Renntaktik feilen.

"Als sie das erst Mal da waren, hatten sie das Niveau Schneepflug", erinnert sich ihr Trainer Andreas Hänni. Er ist Skilehrer und steckte sie deshalb erst einmal in die Anfängergruppe für Kinder. Inzwischen fahren sie flüssig durch die Torstangen. "Sie haben große Fortschritte gemacht und sind nun besser als der Durchschnittshobbyläufer", sagt Hänni. Die Konkurrenten bei den Fis-Rennen, der untersten Kategorie des Profi-Rennsports, belächeln sie oft, aber dem begegnen sie pragmatisch. "Es ist doch ganz normal, dass wir nicht wie richtige Rennläufer aussehen", sagt Husaini.

Er ist der ruhigere von beiden, ihn scheinen die furchtbaren Erlebnisse und die Flucht in seiner Kindheit mehr geprägt zu haben als Farhang. Husaini musste mit seinen fünf Geschwistern vor den Taliban in die Berge fliehen, sie hausten zwei Monate in Zelten. Und als die Familie zurückkehrte in ihr Dorf, waren von ihrem kleinen Haus nur noch ein paar Steine übrig geblieben.

Ihre Familien unterstützen beide auf der "olympischen Reise", wie Farhang das Projekt nennt, sie sind stolz auf die Jungs, weil sie nicht nur Skirennen fahren, sondern auch Jura studieren und eine wichtige politische Botschaft mit nach Europa tragen. "Wir versuchen", sagt Farhang, "das Bild von Afghanistan in der Welt zu verändern. Wir wollen ein Afghanistan repräsentieren, das offen ist, liberal und mehr zu bieten hat als Krieg, Armut oder die Unterdrückung von Frauen. Wir wollen zeigen, dass man auch in Afghanistan frei entscheiden kann, was man tun möchte."

Eine Karriere als Anwalt oder Richter streben sie nicht an. Sie haben ein anderes Ziel: Sie wollen Dave Ryding nacheifern und irgendwann an Weltcup-Rennen teilnehmen. "Der hat doch auf Matten das Skifahren gelernt", erinnert Farhang an die Anfänge des Slalom-Fahrers aus England, der bei der WM zu den Medaillenkandidaten gehört.

Trainer Hänni lässt sie träumen, auch wenn er weiß, dass Weltcup-Rennen für sie so unwahrscheinlich sind wie Schnee im Juli. Aber bei Olympia wollen sie unbedingt dabei sein, seit sie das erste Mal Bilder gesehen haben. Auf Youtube. "Wenn es mit der Profikarriere nicht klappen sollte, möchte ich als Skilehrer in Bamyan arbeiten", sagt Farhang. Husaini nickt. Sie helfen schon ab und zu aus in der Heimat. "Und die Kleinen schauen zu uns auf", fügt Farhang hinzu. Das imponiert ihm.

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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