Ski-WM in St. Moritz:Der Weltmeister, der kaum trainieren kann

*** BESTPIX *** FIS World Ski Championships - Men's Downhill

Bekannt für seine Flugkünste - und nun Weltmeister in der Abfahrt: der Schweizer Skirennläufer Beat Feuz.

(Foto: Alexander Hassenstein)

Von Matthias Schmid, St. Moritz

Beat Feuz nahm jede Stufe einzeln, ganz vorsichtig ging er die kurze Treppe hinauf zum Podest, während Erik Guay den Weg abkürzte und einfach hochsprang. Feuz, 30, wollte sein Knie nicht unnötig belasten. Dass er überhaupt bei der Siegerehrung dabei war; dass er am Sonntag vor dem Kanadier Guay und dem Österreicher Max Franz Gold in der Abfahrt von St. Moritz gewonnen hatte - das ist wohl die erstaunlichste Leistung, die die Ski-WM bisher zu bieten hat.

Wer verstehen will, was Feuz Geschichte so besonders macht, der muss sich nur seine Krankenakte anschauen. Schon in der Jugend erlitt er zwei Fersenbrüche, saß zeitweise im Rollstuhl und verpasste zwei weitere Winter wegen Kreuzbandrissen. Die schwerste Zeit erlebte Feuz aber im Herbst 2012, nur wenige Monate, nachdem er den Gesamtweltcup knapp Marcel Hirscher überlassen musste. Feuz' Knieprobleme waren so massiv, dass die Ärzte in Bern ernsthaft überlegt hatten, das Bein zu amputieren, sie sahen keine andere Alternative mehr für das kaputte linke Gelenk, in dem sich ein Infekt eingenistet hatte.

Vier Mal hatten Mediziner unter Vollnarkose vergeblich versucht, mit Kniespülungen die Blutungen zu stoppen. Die Ärzte machten ihm wenig Hoffnung, dass er jemals wieder seinen Beruf ausüben könnte, es ginge nur noch darum, später normal gehen zu können. "Ich wollte das nicht wahrhaben", sagte Feuz nach seinem Sieg am Sonntag, "aber nachdem ich vier Wochen im Krankenhaus gelegen bin, war mir auch bewusst, dass es vorbei sein könnte mit meiner Sportkarriere."

"Das war eine geniale Fahrt", staunt Roger Federer

Es war kein Sturz, der die Bakterien vermehrte, sondern eine Spritze ins Gelenk - eine Komplikation, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:50000 auftritt. In der Schweiz war vorher kein einziger Fall dokumentiert. Feuz gab nicht auf, er suchte Ärzte, die ihm helfen sollten, und schließlich fand er einen Mediziner, der sein Knie stabilisierte. Ein Jahr später fuhr Feuz tatsächlich wieder Ski. "Aber ich bin da ohne Muskeln gefahren, ohne Kraft", sagt er.

Dennoch fielen die ersten Ergebnisse besser aus, als er selbst erwartet hatte, in Beaver Creek landete er in der Abfahrt auf dem sechsten Platz. Er glaubte, dass er schon wieder gut genug ist, um Rennen zu gewinnen. Doch es kam anders. "Nach zwei Wochen im Weltcup war meine Energie völlig weg." Um ihm helfen zu können, gab seine österreichische Freundin Katrin Triendel sogar ihren Job auf und ließ sich zur Physiotherapeutin ausbilden.

Er musste sich damals aber eingestehen, dass er beruflich nicht mehr für einen ganzen Winter planen konnte, "sondern mich fortan auf einzelne Tagesevents konzentrieren musste", wie er es ausdrückt. Auf die WM in St. Moritz zum Beispiel. Drei weitere Jahre vergingen, bis er wieder mit der Weltelite mithalten und sie auch schlagen konnte. Feuz gewann vor einem Jahr auf der Corviglia, der WM-Strecke, das Weltcupfinale im Super-G und in der Abfahrt. Er wuchs so zu einem natürlichen WM-Favoriten in seiner Heimat.

Dass er die eigenen und die Erwartungen einer ganzen Nation am Sonntag, am Tag nach seinem 30. Geburtstag, tatsächlich erfüllte, halten viele für den größten Sieg seiner Karriere. "Niemand kann sich vorstellen, welche Leistung er vollbringt mit seinem lädierten Knie", hob der ehemalige Weltmeister Didier Cuche hevor. Und auch Roger Federer lobte Feuz direkt nach dem Rennen. "Das war eine geniale Fahrt", sagt der Schweizer Tennisprofi, der das erste Mal überhaupt ein Skirennen besuchte. "Ich habe es unglaublich genossen, beim Sieg von Beat dabei zu sein, weil er so verdient hat nach seinen ganzen Verletzungen", sagte Federer.

Schweizer Medien nennen Feuz "Kugelblitz"

Feuz selbst ist jemand, der sich nicht in den Mittelpunkt drängt, er ist zurückhaltend und behält sein Inneres gerne im Inneren. Entsprechend nüchtern hörte es sich an, als er über die vergangenen Jahre sprach. "Es war schwierig, die ganze Zeit zu kämpfen", sagte er nur, "aber wenn man ganz oben stehen darf, ist das mehr als genug, was man zurückbekommt."

Feuz kann nach wie vor kaum trainieren, er muss die Belastung auf sein Knie aufs Minimalste reduzieren. Dass er deshalb aussieht wie ein Profisportler mit Hang zum Übergewicht und ein paar Kilo zu viel mit sich herumschleppt, macht ihm nichts aus. Schon vor seiner Verletzung gehörte er nicht zu den athletischsten Ski-Rennläufern. "Kugelblitz" tauften ihn deshalb auch die Schweizer Medien nach seinem ersten Weltcupsieg vor sechs Jahren.

Dafür ist er aber mit einem besonderen Skigefühl gesegnet, er hat wie kaum ein anderer Fahrer auf dem Planeten ein Gespür für den Schnee und das Gelände. Er ist ein kompletter Skifahrer, einer der besten Techniker, der vor allem in den anspruchsvollen, kurvigen Passagen der WM-Abfahrt viel Zeit herausgefahren hat.

Legendär ist auch seine Sprungfreudigkeit, wegen seiner Flugkünste musste Pistenbauer Bernhard Russi vor der Weltmeisterschaft den Maurer-Sprung sogar entschärfen, Feuz war zu Beginn des Jahres im exklusiven Training der Schweizer 84 Meter weit geflogen, er sieht auf dem Video aus wie ein Skispringer. Schon als Kind hatte er sich auf dem elterlichen Bauernhof Schanzen gebaut, um über Misthaufen zu springen. Als Beat Feuz damals bei den ersten Rennen auftauchte, galt er als Sonderling, weil er aus dem hinteren Emmental stammt, einer Region, die in der Schweiz als Flachland gilt. Dieser Flachländer hat es aber nun bis zum WM-Titel gebracht.

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