Ski alpin:Überraschend wie Schnee im Juli

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Sieger in Stockholm: der 24 Jahre alte Linus Straßer (Foto: Getty Images)
  • Seine beste Platzierung war ein fünfter Platz. Plötzlich gewinnt Linus Straßer den Parallel-Slalom von Stockholm und holt seinen ersten Weltcup-Sieg.
  • Der 24-Jährige hat sich von den hinteren Plätzen des Feldes wieder nach vorne gekämpft.
  • Der Erfolg hilft dem deutschen Skiverband vor der Weltmeisterschaft in Sankt Moritz.

Von Matthias Schmid

Ob Felix Neureuther Linus Straßer nach jedem Lauf angerufen oder eine Kurzmitteilung auf dessen Mobiltelefon geschickt hat, ist nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass Neureuther, der derzeit beste deutsche Ski-Rennläufer, auch als Wahrsager sein Geld verdienen könnte. Er hatte hellseherische Fähigkeiten bewiesen, als er seinem jüngeren Kollegen aus der Nationalmannschaft vor dessen Einsatz mitteilte, dass er doch bitteschön nach Stockholm zum sogenannten City-Event fahren möge, "um das Rennen zu gewinnen".

Die Aussage war ziemlich gewagt, Straßer hatte als beste Weltcup-Platzierung bis Dienstag einen fünften Platz beim Nachtrennen von Schladming erreicht. Zwei Jahre liegt das schon zurück. Seit Dienstagabend ist er nun Weltcup-Sieger, Straßer gewann gänzlich überraschend den Parallel-Slalom von Stockholm - und Neureuther hatte es vorher schon gewusst.

Es ist nicht nur deshalb eine schöne Geschichte, sondern vor allem, weil Neureuther Straßer seinen Startplatz überlassen hatte. Der 32-Jährige plagt sich mit einer Kapselverletzung im Knie herum und wollte sich im Hinblick auf die am Montag beginnende Weltmeisterschaft keiner strapaziösen Reise und keinem erhöhten Risiko mehr aussetzen. "Ich hätte nie gedacht, dass ich die Chance auch nutzen werde", bekannte Straßer hinterher etwas schüchtern. Aber auf diesen Moment konnte er sich einfach nicht vorbereiten, er kam so überraschend wie Schnee im Juli.

Seine wundersame Reise vom glücklichen Ersatzmann zum umjubelten Weltcupsieger begann für den 24-jährigen Münchner mit einem Erfolg in der ersten Runde gegen den Seriensieger des Winters, Henrik Kristoffersen aus Norwegen. Straßer liebt das Duell Mann gegen Mann, er mag es, wenn er seinen Kontrahenten neben sich spüren und sehen kann. Er hat vor mehr als drei Jahren schon einmal eine solche Veranstaltung im Europacup für sich entschieden, in der zweiten Liga des Rennsports. Als Straßer auch noch das Viertelfinale und das Halbfinale auf dem kleinen Stockholmer Hügel Hammarbybacken gegen den Italiener Stefano Gross und den Schweden Mattias Hargin gewann, stellte er überrascht fest: "Das ging alles so schnell, plötzlich stand ich im Finale. Und dachte mir: Jetzt kannst du gewinnen."

Alle fahren nun mit einem besseren Gefühl zur WM

Das tat er dann gegen den Weltklasse-Riesenslalomfahrer Alexis Pinturault. Vier Hundertstelsekunden war Straßer im Finaldurchgang schneller als der Franzose. Es war nicht nur der erste Weltcup-Sieg Straßers, sondern der erste deutsche Sieg überhaupt in dieser Saison. "Das war eine coole Leistung", schwärmte der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier anschließend, "das ist klasse für ihn und klasse für uns. Und es hilft uns psychologisch für die WM."

Alle fahren nun mit einem besseren Gefühl nach St. Moritz, auch die deutschen Vorfahrer Felix Neureuther, Viktoria Rebensburg und Stefan Luitz. Straßer würde niemand auf diese Liste der deutschen Medaillenhoffnungen setzen. Es gibt bei der WM aber einen Parallel-Slalom, der als Team-Wettbewerb ausgetragen wird. Und das deutsche Team hat keine schlechte Mannschaft zu bieten. Allerdings halten viele Rennläufer eine solche Rennform für eine reine Show-Veranstaltung mit wenig Aussagekraft. Für Straßer ist der Sieg dennoch eine wertvolle Erfahrung, ein großer Ansporn, weil er so viel besser erahnen kann, dass er auch im Spezialslalom nicht weit weg ist von der Weltspitze, wenn er weiter so seriös und gewissenhaft trainiert.

Obwohl er mit 24 Jahren seine beste Zeit noch vor sich hat, blickt er schon auf eine bewegte Karriere zurück: Hüftoperation, Pfeiffersches Drüsenfieber, Aufstieg in die Weltklasse, Absturz, Motivationsprobleme. Straßer hat schon in jungen Jahren das gesamte Spektrum erlebt, nicht wenige hatten ihn wegen seines verwegenen Stils sogar mit Neureuther verglichen. Nachdem er sich vor zwei Jahren noch mit einem fünften Platz in Schladming, Rang 14 in Kitzbühel und einem zehnten Platz bei der WM in der Weltelite vorgestellt hatte, musste er im vergangenen Winter feststellen, dass es nicht einfach so geradlinig weitergeht.

"Schludrig" sei er geworden, sagt er selbstkritisch, die totale Fokussierung auf den Sport habe gefehlt. Straßer fiel in der Weltrangliste zurück und musste fast von vorne anfangen, mit hinteren Startnummern und auf zerfurchten, welligen Pisten. Er hat sich nicht einschüchtern lassen, wieder zu sich und zu einer Reife gefunden, die ihm viele nicht mehr zugetraut hatten. Vielleicht ist er als Sportler des krisengeplagten TSV 1860 München einfach leidensfähiger als andere. Aber viel eher liegt seine sportliche Auferstehung an seinem besonderen Skigefühl, "als Instinkt-Skifahrer" bezeichnet er sich selbst, der sich am liebsten Felle unter die Skier klebt und stundenlang und in der Morgendämmerung den Berg hochläuft, um anschließend bei der Abfahrt in den aufgefirnten Tiefschnee die ersten Linien malen zu können. Sieg und Niederlagen verlieren dann plötzlich an Bedeutung, Linus Straßer denkt in solchen Momenten nur an die Schönheit seines Sports.

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