Schlechte Zahlungsmoral im Fußball:4 757 500 Euro Restschuld

Rafinha Genua

Damals in Genua: Rafinha.

(Foto: imago sportfotodienst)

Deutsche Klubs, die einen Spieler nach Italien oder in die Türkei verkaufen, warten oft ewig auf ihr Geld. Im konkreten Fall droht dem italienischen Erstligisten CFC Genua jetzt der Zwangsabstieg: Es geht um den heutigen Bayern-Spieler Rafinha.

Von Hans Leyendecker

Im Fußball können vier Jahre eine Ewigkeit sein. Wer war damals bei welchem Verein und wie lange blieb er dort? Die Namen der Spieler von einst klingen manchmal wie ein Echo aus alten Zeiten.

Im Sommer 2010 wechselte der Brasilianer Rafinha vom FC Schalke 04 zum CFC Genua in die Serie A. Der 1893 gegründete Verein ist der älteste Klub Italiens. Ein Jahr später schon spielte der Abwehrspieler für den FC Bayern München.

Lang her und doch verteufelt aktuell.

Vier Herren des Disziplinar-Komitees des Fußball-Weltverbands Fifa beschäftigten sich neulich noch mal intensiv mit den Umständen des Wechsels vom Traditionsverein aus dem Revier zum Traditionsverein in Ligurien. Genua droht große Gefahr.

Am 5. August 2010 war zwischen Schalke und Genua eine Ablöse für Rafinha in Höhe von sieben Millionen Euro vereinbart worden. Die erste Rate in Höhe von 3,25 Millionen Euro zahlte Genua im September 2011. Dann nichts mehr. Die Manager von Schalke mahnten, drohten - Genua blieb stur. Der Fall beschäftigte die Uefa, die Fifa, die DFL, den DFB, aber Genua zahlt bis heute nicht.

Dabei kostet - wegen der Verzugszinsen - jeder Tag den italienischen Verein Geld. Schalke 04 hatte in den Vertrag die Klausel geschrieben, dass bei Zahlungsverzug 15 Prozent Zinsen fällig würden. 15 Prozent! Üblich sind im Kickermilieu fünf Prozent. Mehr als eine Million Euro für Zinsen sind hinzu gekommen, 4 757 500 Euro beträgt inzwischen die Restschuld.

Schalke 04 weigerte sich, ein falsches Dokument auszustellen: "Das gab Telefonterror."

Es kann für Genua aber noch schlimmer kommen. Das vom Schweizer Claudio Sulser geführte Fifa-Disziplinargremium verschickte am 8. Oktober das schriftliche Urteil, das bislang nicht veröffentlicht wurde, es liegt der SZ seit Kurzem vor. Die wichtigsten drei von insgesamt acht Punkten: Falls binnen neunzig Tagen die Restsumme nicht bezahlt wird, bekommt der CFC Genua, derzeit Fünfter der Serie A, sechs Punkte abgezogen. Falls der Verein dann immer noch stur bleibt, droht der Zwangsabstieg in die Serie B . Und falls der italienische Verband Anweisungen der Fifa ignorieren sollte, könnte das, so Punkt sechs der Entscheidung, zum Ausschluss Italiens "von allen Fifa-Wettbewerben führen".

"Ich bin ein Verfechter der Mithaftung von Verbänden" sagt Schalke-Vorstand Peter Peters, der auch Mitglied der Uefa-Kommission für Klublizenzierung ist. Der italienische Fußballverband etwa kümmert sich ernsthaft nur um Verbindlichkeiten bei nationalen Transfers. Sonst hält er sich raus. Das ist in Deutschland anders.

Als sich etwa der SV Wilhelmshaven weigerte, für einen ehemaligen Spieler Ausbildungsentschädigungen an zwei argentinische Vereine zu zahlen, verfügte die Fifa einen Sechs-Punkte-Abzug und den Zwangsabstieg des Regionalligisten. Die Entscheidung wurde im vorigen Jahr vom Internationalen Sportsgerichtshof Cas bestätigt. Der Norddeutsche Fußballverband verhängte, ohne zu zögern, die Strafe. Wilhelmshaven stürzte sogar in Liga sechs ab. So konsequent läuft das nicht überall.

30 Fälle, 13 Millionen Euro

In den beiden höchsten deutschen Fußball-Ligen stehen derzeit in rund 30 Fällen Zahlungen ausländischer Vereine aus. Insgesamt geht es geschätzt um knapp 13 Millionen Euro. Betroffen sind unter anderem der 1. FC Köln, Mainz 05, der FSV Frankfurt, der 1. FC Kaiserslautern, der VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen. Die größten Schuldner sind italienische Vereine, dann türkische, auch einige spanische Klubs sind darunter, und selbst ein Vertreter aus Abu Dhabi ist säumig.

Vielleicht hat die schlechte Zahlungsmoral etwas damit zu tun, dass vor allem im italienischen und im türkischen Fußball die Missachtung von Regeln seit Jahren System hat. Gefälschte Bürgschaften, faule Sicherheitsgarantien und Bilanzfälschungen gehörten zur Serie A wie der ganz große Wettbetrug. Und in der türkischen Süper Lig ging es ähnlich zu.

Möglicherweise hat der Glaube, über dem Recht zu stehen, etwas mit der Aura von Präsidenten zu tun, die sich unantastbar fühlen. Manchem von ihnen ist das Gefühl für Größenordnungen, für die Unterscheidung zwischen richtig und falsch, längst abhanden gekommen. Silvio Berlusconi, der Besitzer des AC Mailand, ist so ein Fall. Enrico Preziosi, der Chef des CFC Genau, wohl auch. Er ist wegen Sportbetrugs vorbestraft, was die Seinen nicht beeindruckt. Der größte Spielzeugunternehmer des Landes, der er auch ist, lässt die Puppen tanzen. Er hat schon den damaligen A-Klub Como ins Chaos gestürzt.

Natürlich gibt es im Reglement von Uefa und Fifa allerlei Abstrafungen und Sanktionen, wenn einer nicht zahlt. Die Zwangsmaßnahmen sind verschärft und verbessert worden, aber sie greifen oft nicht richtig oder nicht früh genug. Die Uefa erklärte neulich auf einem Kongress, zwischen 2011 und 2014 habe sich die Summe der "Überfälligen Verbindlichkeiten" von 57 Millionen Euro auf acht Millionen Euro verringert. Aber die Europäische Fußball-Union kann nur Vereine sanktionieren, die sich für Champions League oder Europa League qualifiziert haben.

Das sorgt schon für Druck. Nachdem der Nationalspieler Fabian Ernst im Jahr 2009 für rund drei Millionen Euro von Schalke zu Beşiktaş Istanbul gewechselt war, blieb der türkische Verein lange Zeit einen Teil der Summe schuldig. Als sich Beşiktaş für Europa zu qualifizieren schien, war die Not groß. Die von der Fifa gesetzte Frist für die Zahlung war überschritten. Beşiktaş bat Schalke, doch zu bescheinigen, dass vor dem Stichtag ein Zahlungsaufschub vereinbart worden sei. Nur so war die Qualifikation zu retten. Schalke machte nicht mit: "Da gab es Telefonterror. Wir haben uns davon aber nicht beeinflussen lassen. Der Stichtag war verstrichen. Punkt", sagt Peters. Andernorts sollen Fristen nachträglich frisiert worden sein. Auch mit Hilfe eines deutschen Klubs, das glaubt die Szene zu wissen.

5,5 Millionen für Aristide Bancé? Man zahlt ja auch nicht, wenn ein Auto nicht läuft...

Aber was passiert, wenn ein Klub im Tabellenmittelfeld steht, sich nicht für den Europacup qualifizieren und nicht absteigen kann? Stört ihn dann ein Punktabzug? Die Uefa kann nicht in die jeweiligen Landesverbände hineinregieren. Auch deshalb wollen DFB und DFL jetzt mehr Druck machen. DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock sagt: "Wir stehen auf der Seite der Vereine." Er hat sich im Frühjahr von der DFL eine Liste der deutschen Klubs geben lassen, die auf ihr Geld warten, und an Präsidenten und Generalsekretäre anderer Nationalverbände geschrieben, damit die sich kümmern. Eine neue Arbeitsgruppe ist auf internationaler Ebene eingerichtet worden. Man wird sehen.

"Im Schulterschluss mit dem DFB", hofft Andreas Rettig, einer der Geschäftsführer der DFL, komme man jetzt weiter. Rettig: "Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Vereine Millionenforderungen haben und ihrem Geld hinterherlaufen müssen."

Manchmal sind die Transfer-Konstruktionen einfach nur kompliziert. So kaufte Borussia Mönchengladbach 2006 für 3,5 Millionen Dollar Federico Insua von Boca Juniors und räumte ein, dass der argentinische Verein bei einem Weiterverkauf innerhalb der Vertragszeit 15 Prozent der Ablösesumme bekommen werde. Gleichzeitig schloss Mönchengladbach eine umfangreiche Kooperation mit Boca Juniors, aus der aber nichts wurde. Beide Seiten meldeten Ansprüche an. Der Streit dauerte sieben Jahre. Am Ende musste Gladbach 2013 rund 432 000 Dollar zahlen. So etwas kommt unter Kaufleuten schon mal vor. Da wird niemand übers Ohr gehauen.

Ärger mit krummen Geschäften

Ärger machen die krummen Geschäfte. Mit der geballten Faust in der Tasche haben Vereinsmanager lange zugeschaut. Aus Zorn wird Wut. "Mit türkischen Klubs oder Klubs aus den Emiraten will ich nichts mehr zu tun haben", sagt Christian Heidel, der im Vorstand von Mainz 05 sitzt.

Beispielhaft ist die Geschichte um den Wechsel von Hasan Kaldirim zum türkischen Verein Kayserispor im Januar 2010. 100 000 Euro Ablöse war ausgemacht. Kayserispor zahlte. Vereinbart war auch, dass Mainz bei einem Wechsel Kaldirims innerhalb der Vertragslaufzeit 20 Prozent der Transfersumme zustehe. Im Juni 2012 erfuhr Heidel aus der Presse, Kaldirim sei für 3,75 Millionen Euro zu Fenerbahçe gewechselt. Er fragte bei Kayserispor nach, man wich aus. Mainz schickte die Rechnung über 750 000 Euro. Das Geld kam nicht. Fifa, DFL, DFB wurden eingeschaltet. Kayserispor spielte toter Verein, vertröstete oder hatte Ausreden. Die Fifa setzte immer neue Fristen.

Ein Einzelrichter befand im April 2013, nun müsse endlich gezahlt werden, auch die Zinsen natürlich. Im Juli 2013 überwies der türkische Klub 603 269,97 Euro an Mainz. Rund 175 000 Euro, mahnte die Fifa, stünden noch aus. Es gab dieses Jahr ein neues Urteil - Geld aber nicht. Der DFB schrieb im September an die Fifa, da müsse wieder die Disziplinarkommission ran. (Die exakte Chronologie des bizarren Falles)

Fast schon nett, wenngleich exotisch, war da das Gerangel um den Transfer des Mainzer Spielers Aristide Bancé zum Klub Al-Ahli in Dubai. 5,5 Millionen Euro waren vereinbart. Al-Ahli zahlte erst einmal die Hälfte: 2,75 Millionen Euro. Bancé schlug nicht groß ein, machte nur ein paar Spiele - und die Scheichs weigerten sich, die andere Hälfte zu zahlen. Man zahlt ja auch nicht, wenn ein Auto nicht läuft. Nach viel Gezerre zahlten sie dann doch.

"Bei Transfers in bestimmte Länder, möglicherweise sogar in deren zweite Ligen, geht man Risiken ein", sagt Peters. Heidel meint, die harmlos klingenden "Überfälligen Verbindlichkeiten" könnten kleinere Vereine "die Existenz kosten".

Im Fall des Reviervereins VfL Bochum ging es nicht wirklich um die Existenz, aber geschmerzt hat es schon sehr. Der slowakische Nationalspieler Stanislav Sestak war 2011 vom VfL Bochum zum türkischen Verein MKE Ankaragücü gewechselt. Die Ablösesumme betrug, einschließlich der zuvor erfolgten Ausleihe, rund 2,9 Millionen Euro. Ankaragücü zahlte nur 500 000 Euro; dann, in Raten, noch einmal rund 100 000. Im Januar 2014, drei Jahre nach dem Wechsel, entschied die Fifa, der gesamte Rest müsse jetzt bezahlt werden.

Aber Ankaragücü ist in die dritte türkische Liga abgestiegen und notorisch klamm. Der Verein, der Sestak nach nur einem Jahr für einen Millionenbetrag weiterverkauft hatte, trägt jetzt in kleinsten Raten die Schuld ab. Bochums Vorstandsmitglied Wilken Engelbracht spricht von einer "Riesensauerei". Die Millionen fehlten dem Verein, der für den gesamten Kader einschließlich Trainerstab diese Saison nur 7,5 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung hat. Spieler würden nur noch an türkische Vereine abgegeben, wenn das Geld vorher auf dem Konto eingetroffen sei.

Der Mainzer Heidel, der immer noch auf seine 175 000 Euro wartet, scheint etwas nachtragend zu sein. Als neulich Funktionäre von Kayserispor zwecks Spielerbeobachtung zwei VIP-Karten für ein Spiel der Mainzer haben wollten, antwortete Heidel, die Karten könnten sie gern bekommen. Jedes Ticket für genau 87 500 Euro.

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