Horst Heldt reichten seine zwei Hände gerade noch, um nach dem 1:3 gegen Real Madrid all die verletzten Spieler des FC Schalke 04 korrekt aufzuzählen. Bei neun angeschlagenen Profis landete der Manager schließlich nach dem Muskelfaserriss von Benedikt Höwedes vom Dienstagabend. "Es ist tatsächlich der Wahnsinn, was wir zu verkraften haben", seufzte Heldt. Und seine frische Info, nach der beim Kapitän nicht die alte Verletzung aufgebrochen sei, sondern Höwedes vielmehr an einer neuen Stelle - im Adduktorenbereich - Schaden genommen habe, machte die Sache nicht besser.
Da das Aus in der Champions League schon mit dem 1:6 im Hinspiel so gut wie besiegelt war, trieben den Verein nach dem endgültigen Abschied schon wieder andere Sorgen um. Dem Ligadritten gehen vor dem Heimspiel am Samstag gegen Braunschweig die Innenverteidiger aus. Ein unerfreuliches Thema, bei dem aber eine der erfreulichsten Schalker Erscheinungen auf den Plan treten könnte: Der 19-jährige Kaan Ayhan, der einen halben Meter neben Heldt über sein gelungenes Debüt in der Startelf der Königsblauen sprach - und der, wie der Manager erwähnte, ausgebildeter Innenverteidiger ist.
Schalke hat Ralf Fährmann, Real Madrid Cristiano Ronaldo. Mit zwei Treffern und unwiderstehlichen Dribblings leitet der Portugiese den 3:1-Erfolg im Champions-League-Rückspiel ein. Die Schalker stellen sich besser als im Hinspiel an, können aber froh sein, nicht höher zu verlieren. Sorge bereitet Innenverteidiger Benedikt Höwedes.
Aber das ist nur ein Teil des Spektrums, das der gebürtige Gelsenkirchener zu bieten hat. Auf der Position im defensiven Mittelfeld, die er in Madrid sehr beherzt und furchtlos ausfüllte, spielte Ayhan in seiner Jugendzeit bei S04 besonders häufig - vor allem aber ist der charmante und aufmerksame junge Mann ein Schalker Allzweckmittel.
"Irgendwann habe ich mal als Zehner angefangen", erinnerte sich Ayhan in der luftigen Interviewzone des Estadio Santiago Bernabéu und schmunzelte: "Aber jedes Jahr wurde ich um eine Position nach hinten geschoben, so dass ich am Ende Innenverteidiger war."
Heldt erwähnte für den Job im Abwehrzentrum fürs Wochenende als weitere Alternativen "Marvin Friedrich aus der U 19" und "Dennis Erdmann aus der U 23". Beide also aus der eigenen Jugendbewegung, auf die der Revierklub so stolz ist und für die er jüngst sogar von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke in höchsten Tönen gelobt wurde. Gegen Real standen gleich acht Spieler aus dem Schalker Nachwuchs in der Startelf - von denen Torhüter Ralf Fährmann, der 18-jährige Max Meyer und Ayhan am positivsten in Erscheinung traten.
So sah das auch Sportchef Heldt, der ähnlich wie Trainer Jens Keller ("Wenn man sieht, wie er sich bei seinem Debüt verkauft hat - alle Achtung, das war große Klasse") lobende Worte zu Ayhans Leistung fand: "Er hat sehr gut gespielt. Am Ende konnte er nicht mehr - dabei wollten wir ihn eigentlich noch als rechten Verteidiger testen. Ich habe schon vor Wochen gesagt, dass Kaan bei uns Fuß fassen wird - daran sieht man, dass ich nicht nur Blödsinn rede." Auf diese geballte Jugendlichkeit in der Startelf könne man "stolz sein", erklärte der 44-Jährige noch - und betonte: "Das ist der Weg für unsere Zukunft."
Dass der FC Schalke, der noch immer einen gewaltigen Schuldenberg vor sich herschiebt, diesen Weg in aller Konsequenz beschreiten will, behagt den Nachwuchskräften verständlicherweise. "Natürlich hilft es, wenn man vom Vorstand ausdrücklich gesagt bekommt, dass wir auf unsere starke Jugend setzen", betonte Ayhan, der darüber hinaus berichten konnte: "Acht eigene Nachwuchsspieler in der Anfangself - das war sogar ein Thema im Mannschaftsbus. So etwas erlebt man bei keinem anderen Verein in Europa."
Das "enge Korsett", das der Manager wegen der vielen Verletzten akut beklagt, hat immerhin den Vorteil, dass Schalke die Früchte der eigenen Jugendarbeit nun auf ganz großer Bühne präsentieren konnte. Für Ayhan, dessen Vertrag bei Schalke im November bis 2017 verlängert wurde, ging mit dem Auftritt in Bernabéu "ein Kindheitstraum in Erfüllung".
Der gute Start der Keller-Elf habe ihm dann die Anspannung genommen, der Weg in einen für ihn erfreulichen Abend war geebnet. "Ich wusste, dass ich nicht viel zu verlieren habe", erläuterte Ayhan seine kluge Sicht auf die sportlichen Dinge - und konnte vor der Fahrt zurück ins Hotel glatt behaupten: "Das hat Spaß gemacht heute."