Die Amsterdam-Arena hat schon einige große Fußballabende erlebt. Real Madrid wurde hier 1998 Champions-League-Sieger. Der FC Chelsea gewann 2013 die Europa League. Louis van Gaal stellte 2009 hinter dem nördlichen Tor seine Biographie samt fußballerischer Weltanschauung vor. Die Fußballer vom FC Schalke 04 hätten vor ihrem Viertelfinal-Hinspiel in der Europa League am Donnerstagabend besser in van Gaals Buch gelesen - dann wäre ihr erstes Pflichtspiel in diesem Stadion vielleicht nicht zum spielerischen Debakel geworden.
Für eine derart schwache Leistung fiel die 0:2 (0:1)-Niederlage gegen Ajax Amsterdam sogar noch moderat aus. "Das Beste an diesem Abend war, dass wir nur 0:2 verloren haben", sagte Sportdirektor Christian Heidel. Zwei Tore durch Ajax-Kapitän Davy Klaassen hatten die Schalker zugelassen, und hätten ihr Abwehrmann Matija Nastasic per Kopf ans eigene Gebälk (32.) sowie Amsterdams Donny van de Beek per Fernschuss (77.) nicht jeweils nur die Latte getroffen, so wäre Schalkes Halbfinaltraum schon vor dem Rückspiel weitgehend erledigt gewesen. Auch so wird es eine schwierige Aufgabe im Rückspiel am Donnerstag.
Heidel wirkte beeindruckt von der Arena, vom Enthusiasmus der Heimfans, von der individuellen Stärke der Ajax-Spieler und vom leidenschaftlichen Zusammenspiel des Gegners. Schalke hingegen hatte - bis auf den Torwart Ralf Fährmann - komplett versagt. Als Heidel nach dem Spiel gefragt wurde, wie wütend er sei, entgegnete er grantig: "Jetzt lassen wir aber mal die Kirche im Dorf - wir haben hier heute Abend immerhin gegen Ajax Amsterdam gespielt." Dabei betonte er den Namen Ajax Amsterdam so, als hätte dieser Klub im vergangenen Jahr die Champions League gewonnen und nicht schon 1995.
Den Elfmeter holt ein früherer Gladbacher raus
Tatsächlich ist Ajax jetzt zwar wieder eine starke, aber längst nicht jene Übermannschaft, als die sie vor 22 Jahren unter dem Trainer van Gaal den Klubfußball dominiert hat. Heidel nannte Ajax trotzdem in einem Atemzug mit Real Madrid und AS Monaco. "Wie schwer Europapokal ab dem Viertelfinale wird, haben auch die anderen deutschen Klubs in dieser Woche erlebt", sagte Heidel und lobte Ajax noch mehrere Male. "Sie haben uns heute unsere Grenzen aufgezeigt."
Schalkes Trainer Markus Weinzierl hätte eigentlich gern jene Elf aufgeboten, die am Samstag den VfL Wolfsburg beim 4:1 auseinandergenommen hatte. Doch er muss noch für einige Tage auf den verletzten Eric Maxim Choupo-Moting verzichten und brachte an dessen Stelle Alessandro Schöpf. Weil sich Sead Kolasinac zudem beim Aufwärmen zerrte, spielte links außen in der Viererkette kurzfristig Dennis Aogo.
Die Schalker machten ihre Sache nicht schlecht, bis ausgerechnet Schöpf sich in der 22. Minute ungeschickt anstellte und dem Ex-Gladbacher Amin Younes im Strafraum eine Gelegenheit zum Fallen bot. Younes fiel, den berechtigten Elfmeter schoss Nationalspieler Klaassen zur 1:0-Führung ins Netz.
Ajax ist der einzige Klub, der seit Beginn der Europa League im Jahr 2009 jedes Jahr am Wettbewerb teilnahm. Das klingt imposant - allerdings war Ajax bis zu dieser Saison nie weiter als ins Achtelfinale gekommen. Dieses Viertelfinale ist für die Ajax-Gemeinde 22 Jahre nach dem letzten internationalen Titel folglich etwas Besonderes. "Es ist toll, dass wir Schalke demonstrieren konnten, wie gut wir hier Fußball spielen", sagte Younes ein bisschen demütig.
Auch die Schalker waren seit fünf Jahren in keinem internationalen Viertelfinale mehr gewesen. Sie hatten es von 2013 bis 2015 immerhin drei Mal nacheinander ins Achtelfinale der Champions League geschafft, diesmal wollen sie eigentlich ins Finale nach Solna in Schweden, denn es ist das 20. Jahr seit Schalkes Uefa-Cup-Triumph als Eurofighter. "Ach, Eurofighter", sagte Heidel am Donnerstagabend einigermaßen desillusioniert, "das ist ein so großes Wort."
Neu in der SZ.de-App: Analysen und Ergebnisse im Fußball und bei wichtigen Sportereignissen direkt als Push-Mitteilung auf Ihrem Smartphone.
Schalke ist unter Weinzierl eine launische Diva
Schalke war mit seinen durchschnittlichen 25 Jahren schon jung, aber an die 22 Jahre der Amsterdamer kamen sie nicht heran. Und dabei hat der jüngste niederländische Nationalelf-Debütant seit 86 Jahren, der 17 Jahre alte Matthijs de Ligt, in der ersten Halbzeit bloß auf der Bank gesessen.
In der zweiten Halbzeit kam de Ligt für Daley Sinkgraven und durfte nach sieben Minuten mitansehen, wie Klaassen vom ebenfalls erst 17 Jahre alten Patrick-Kluivert-Sohn Justin das 2:0 aufgelegt bekam. Das für seine begehrten Talente bekannte Ajax hat zwischen 2010 und 2017 durch Spielerverkäufe etwa 215 Millionen Euro eingenommen und für Käufe nur etwa 90 Millionen Euro ausgegeben. Vielleicht kommt zu diesen 125 Millionen Euro Transferüberschuss im kommenden Sommer ein paar Millionen Schalker Euros für Klaassen hinzu. Allerdings dürften an dem 24 Jahre alten Nationalspieler noch Klubs ganz anderer Qualität interessiert sein.
Schalke ließ sich in Amsterdam letztlich vorführen. Das vorangegangene 4:1 gegen Wolfsburg war zwar eine vielgelobte Rehabilitation gewesen für das wiederum vorangegangene 0:3 in Bremen - aber nun wurde einmal mehr bestätigt, dass Schalke unter Weinzierl eine launische Mannschaft ist. "Wir wissen, dass wir zuhause besser spielen können", sagte der Trainer Weinzierl, klang aber nicht gerade so, als sei er hundertprozentig überzeugt, dass es auch so kommt.
