Schalke in der Bundesliga:Huub Stevens' Gespür für Gelassenheit

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So knurrig wie früher, aber nicht mehr so furchteinflößend dirigiert Trainer Huub Stevens Schalke 04 zum Titelanwärter. Die Mannschaft steht jetzt für eine Angriffsfantasie, die nicht passen will zum Klischee des "Die Null muss stehen"-Fanatikers.

Philipp Selldorf

Angeblich, das behauptet ja jeder in Schalke, hat Huub Stevens im Alter von 58 Jahren ein Maß an Milde und Güte erworben, wie es ihm vor zehn Jahren niemand zugetraut hätte. Der alte Stevens steckt aber immer noch in ihm, denn der Trainer hat zwar ein paar moderatere Haltungen zum Dasein als Fußballtrainer angenommen und seine Umgangsweisen freundlicher gestaltet, doch seine Persönlichkeit ist dieselbe geblieben.

Deutlich gelassener als früher: Schalkes Trainer Huub Stevens. (Foto: dapd)

Weiterhin gibt es diese rauen Momente, in denen er einen Saal voller Menschen einzuschüchtern versteht, indem er bloß missbilligend die Augenbrauen hochzieht, oder indem er ein Konzentrat mieser Laune in den Raum sendet.

Aber für diese Augenblicke des Schreckens pflegt er sein Publikum neuerdings mit Anflügen von Charme und Heiterkeit zu entschädigen, manchmal geradezu mit Übermut. So wie neulich, als der große Realist den ständigen Fragen nach Schalkes Meisterschaftshoffnungen seinen gnädigen Segen gab: "Träume sind schön."

In dieser Woche war Rudi Assauers Alzheimer-Erkrankung das Thema in Schalke. Stevens ist mit dem ehemaligen Manager befreundet, er hat ihm längst verziehen, dass er ihn damals, 2002, mehr oder weniger aus Schalke vertrieben hatte. Zu Assauers Biografie hat er das Vorwort beigesteuert.

Aber als Stevens am Donnerstag auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Mainz auf Assauers Schicksal angesprochen wurde, da hat er den harten Blick aufgesetzt und die Sache mit einem einzigen Satz vom Öffentlichen ins Private befördert, wo sie seiner Meinung nach hingehört: "Ich habe mich bisher nicht geäußert aus Respekt vor dem Menschen Rudi Assauer, und das werde ich auch heute nicht tun", hat er gesagt und damit das Thema erledigt.

Nur fürs Schalker Volk hat er dann im Vereinsfernsehen noch ein Statement abgegeben: "Ich finde es super von ihm, wie er sich der Krankheit stellt. Wir leiden alle mit, das ist doch klar." Verein und Medienöffentlichkeit trennt er, das hat mit Professionalität zu tun. Und in gewisser Weise mit Familiarität.

Im September vorigen Jahres, als sich Ralf Rangnick zurückziehen musste und Schalke plötzlich keinen Trainer mehr hatte, saß Horst Heldt mit den Vorstandskollegen Peter Peters und Alexander Jobst sowie dem Oberboss Clemens Tönnies zusammen und hat sich alles über Huub Stevens erzählen lassen.

Heldt kannte den Mann aus Holland nur beiläufig, er wusste bloß das Wichtigste: "Erstens: Der kann ganz schön knurren. Zweitens: Er hat immer und überall ein Super-Verhältnis zur Mannschaft gehabt, jeder seiner Spieler schwärmt von ihm."

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Das Comeback in Schalke - nach der ersten, mythenumrankten Regentschaft zwischen 1996 und 2002 - hätte Stevens Denkmalstatus als Schalker "Jahrhunderttrainer" beschädigen können, "aber so weit haben sie hier gar nicht gedacht", erinnert sich Heldt, und Peters bestätigt das:

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"Ich hatte keine Bedenken, ich war überzeugt, dass unsere Mannschaft zu ihm und er zur Mannschaft passt. Und wir wussten ja auch, dass die Motivlage auf beiden Seiten stimmt: Weil die Geschichte von Schalke 04 und Huub Stevens noch nicht vorbei ist. Sie ist wie Beethovens Unvollendete."

Heldt ist dann allein nach Holland gefahren, um Stevens zu treffen, und am Ende hat er auch allein entschieden: "Der ist es, und kein Anderer", hat er festgestellt, und kein Skeptiker von damals wirft ihm mehr vor, er hätte sich geirrt. "Alles, was er macht", sagt Heldt, "ist klar und eindeutig."

Stevens täuscht keinen intellektuellen Überbau vor, seine pragmatische Linie bewährt sich dadurch, wie er die ständig neuen Herausforderungen des Alltags löst. Fehler im System hat er mit dem Sachverstand eines Werkstattmeisters behoben. Die wackelnde Defensive stabilisierte er, indem er mit drei patenten Handgriffen die gesamte Deckung neu organisierte: Jones ins Mittelfeld, Höwedes rechts raus, Matip und Papadopoulos ins Abwehrzentrum. Ähnlich resolut und mutig variierte er die Offensive.

Schalke steht jetzt für eine Angriffsfantasie, die nicht passen will zum Klischee des "Die Null muss stehen"-Fanatikers. Viel mehr, sagt ein Vereinsmann, der ihn schon damals erlebt hat, trifft ein anderer geflügelter Wahlspruch zu: "Man muss immer nach den natürlichen Fähigkeiten der Spieler gucken."

So dirigiert und kombiniert Stevens effektiv Spielertypen von Raúl, Farfán und Metzelder bis Pukki, Matip und Höger. Den großen Kader führt der Trainer streng und zielstrebig, beklagt hat sich darüber noch keiner, obwohl er - ganz anders als früher - ab und zu Spieler in der Öffentlichkeit kritisiert. Doch davor sind auch Huntelaar oder sogar Raúl nicht sicher. Die Assistenten und Stabsleute seiner Vorgänger Magath und Rangnick hat er zu Vertrauten gemacht, als ob er sie selbst ausgesucht hätte.

"Bisher hat er alle Situationen immer richtig eingeschätzt, dafür hat er einfach ein super Gespür", findet Heldt, "aber seine größte Stärke ist seine Gelassenheit." Diese Gelassenheit hat das Bild von Stevens am meisten verändert. "Früher", meint Peters, "stand das Furchteinflößende im Vordergrund."

Doch was sagt Stevens selbst zu all den Blumen und dem Erfolg in Schalke? Das Passende: "Ich glaube, dass die Jungs verstehen, was gefragt ist. Aber ich sage: Bis jetzt."

© SZ vom 04.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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