Schalke gegen Dortmund:Der Clásico des kleinen Mannes

Herne-West gegen Lüdenscheid-Nord - an diesem Samstag brodelt der Pott, denn Schalke muss beim BVB ran. Erinnerungen an gefährliche Hunde, legendären Nebel und Ernst Kuzorra.

Von Jonas Beckenkamp

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(Foto: AP)

Es gibt Momente in der Bundesliga, die sind instant classics - Szenen, die noch im Akt des Geschehens an den Kanon des Fußball-Irrsinns andocken. Das Tor des Schalker Verteidigers Naldo (im Bild) zum 4:4 in Dortmund in der vergangenen Saison war so ein Augenblick. Selten war ein Spiel so grotesk verlaufen wie jenes Revierderby Ende November 2017: Der BVB hatte S04 eine Halbzeit lang dominiert, Tore von Aubameyang, ein Eigentor von Stambouli sowie weitere Treffer von Götze und Guerreiro führten zum 4:0. Ein Ergebnis, bei dem keiner mehr an ein Comeback der Schalker glaubte. Und doch passierte es. Während Dortmund auf unerklärliche Weise zusammenbrach, gewannen die Gäste mit jedem Tor an Gewissheit. 1:4, 2:4, 3:4 stand es, ehe jene 94. Minute eintrat, in der Naldo nach einer Ecke herangeschossen kam und seinen Schädel gegen den Ball wuchtete. 4:4. Vier! Zu! Vier! Und ganz Schalke feierte das Remis wie den größten Sieg, den der Klub jemals in einem Derby errungen hatte. Dortmund gegen Schalke, dieses Duell hat Geschichte, kein Fußballspiel beschäftigt den Pott wie dieses.

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(Foto: dpa)

Es gibt im Ruhrgebiet einen Satz, der viel über die Mentalität der Menschen in dieser Region aussagt: "Woanders is' auch scheisse", diese Weisheit ist vor allem dann zu hören, wenn wieder einmal jemand meint, den Pott als trostlos zu kritisieren. Natürlich ist es im Revier alles andere als trostlos - es ist sogar richtig aufregend. Vor allem, wenn es um Fußball geht. Wenn Schalke auf Dortmund trifft, muss manchmal auch die Polizei ran (wie hier im Bild 2013). Zwischen Schwarzgelb und Königsblau herrscht bekanntlich eine, nunja, nicht ganz so dicke Freundschaft. Aber es trugen sich bei diesem "Clásico des kleinen Mannes" immer wieder Kuriositäten zu.

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(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Der 3. Mai 1925 war so etwas wie die Geburtsstunde des Schalker Kreisels in der Ruhrgaumeisterschaft der Kreisligen. "Kurz und flach wandert der Ball von Mann zu Mann", schrieb der Dortmunder Generalanzeiger weiland über das Spiel der Schalker in Herne. Schalke gewann 4:2 gegen den BVB. Ernst Kuzorra, 19 Jahre alt, traf doppelt. Er sollte später zu einer Schalker Legende werden (im Bild schüttelt er Stuttgarts Willy Rutz sehr viel später, nämlich 1935, die Hand).

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(Foto: AP)

Auch der 6. September 1969 war ein recht erinnernswerter Tag: Schalke spielte gegen Dortmund, Hansi Pirkner hatte gerade das 1:0 geschossen, die Freude bei Königsblau war überwältigend. Es herrschte ein solcher Jubel, dass einige übermütige Schalker Fans das Spielfeld stürmten. Man muss wissen: In der "Roten Erde", wie die Kampfbahn hieß, gab es damals noch keine Absperrung, für die Sicherheit waren Ordner mit Hunden zuständig. So stürmte auch der fünfjährige Schäferhundrüde Rex aufs Feld: Er war zwar angeleint, trotzdem bekam er zwei Spieler zu fassen - Gerd Neuser wurde in den Oberschenkel gebissen, Friedel Rausch (im Bild als Trainer) in den Allerwertesten. Er spielte mit einer Tetanusspritze weiter, das Spiel endete 1:1. "Zwei Nächte konnte ich nur auf dem Bauch schlafen", erzählte Rausch später. "Die Narbe am Po ist ein Andenken für immer." Und die Biss-Szene wurde auch aufgrund des Fotos (hier zu sehen) zu einer der kuriosesten der Bundesligahistorie.

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(Foto: DPA/DPAWEB)

Tatsächlich findet sich in keiner Fotodatenbank, die der SZ zur Verfügung steht, ein Bild von einem anderen, ebenso legendären Spiel (hier deshalb ein formschönes Symbolbild). Ungefähr so düster dürfte es damals am 12. November 1966 aber ausgesehen haben. Wegen undurchdringlichen Nebels spielte sich Dortmunds 6:2 gegen Schalke quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Nicht nur für die 42.000 Zuschauer, sondern auch für die Spieler war der Ball meist nur noch zu erahnen. Schiedsrichter Gerd Hennig ließ trotzdem weiterspielen und wird seitdem in Schalke "Nebelkerze" genannt. In der Presse wurde sogar darüber gerätselt, wer die Torschützen waren. In einer Zeitung stand: "Verschiedene Leute gingen Bier trinken, andere bedauerten, dass sie kein Kartenspiel eingepackt hatten, und die Klügsten machten sich auf den Heimweg, weil sie nicht daran glaubten, daß sie einen der 23 Aktiven noch einmal zu sehen kriegen würden." Angeblich sollen für Dortmund Lothar Emmerich (gleich dreimal), Friedel Rausch (per Eigentor), Reinhold Wosab und Siegfried Held getroffen haben, für Schalke Gerd Neuser und Karl-Heinz Bechmann. So zumindest erzählten es sich die Kumpel in der Zeche.

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(Foto: N/A)

Olaf Thon schlug eine Ecke, Thomas Linke verlängerte - und dann kam Jens Lehmann mit dem Kopf an den Ball: unhaltbar, Tor, welch ein Wahnsinn. Am 19. Dezember 1997 glückte dem Schalker Keeper (im hellen Trikot), was bis zu diesem Zeitpunkt noch keinem anderen Torhüter in der Bundesliga gelungen war: ein Treffer aus dem Spiel heraus. Das allein hätte schon gereicht für die Geschichtsbücher des Fußballs. Dass ihm das Tor allerdings in der Nachspielzeit des Revierderbys glückte, macht die Szene zum mythischen Fußballstoff. Die Standardsituation, die zum Tor führte, hätte es übrigens gar nicht geben werden dürfen: Der Schalker Marc Wilmots war als Letzter am Ball gewesen. Jens Lehmann war es herzlich wurscht.

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(Foto: imago sportfotodienst)

Fußball-Fans und ihre Fahnen, das sind meist ganz besondere Beziehungen - voller Stolz, Liebe und Leidenschaft. Besonders emotionsgeladen ist das Thema Fahnen auch beim großen Duell im Pott. 2006 klauten Schalker Fans das 60 Meter lange Südtribünen-Banner der Borussen-Fans - bis heute ist unklar, wo die Fahne geblieben ist. Im Juli 2011 drangen dann Schalker Fans erneut in das Dortmunder Stadion ein und hissten zwei S04-Fahnen über dem Schriftzug "Gelbe Wand Südtribüne Dortmund". Eine Vergeltungsaktion? Ein Dortmunder Fan hatte jedenfalls im Jahr zuvor in einer waghalsigen Aktion eine BVB-Fahne auf der Schalker Arena gehisst (im Bild) und damit für empörte Reaktionen gesorgt.

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(Foto: imago sportfotodienst)

Nicht nur auf den Rängen ist die Rivalität gewaltig - auch einige Spieler machen aus ihrer Abneigung keinen Hehl. Allen voran: Kevin Großkreutz. Der ist, nun ja, ein Hochblutdruck-Kicker, der häufig sagt, was ihm gerade in den Sinn kommt - als "westfälischer Gegenentwurf zu Lukas Podolski" wurde er einmal bezeichnet. Großkreutz ist seit jüngster Kindheit Borussia-Fan und hat seine eigene Meinung zum FC Schalke - da ist es auch egal, dass der mittlerweile in Uerdingen spielt. "Die sind mein Feindbild Nr. 1. Ich hasse Schalke wie die Pest", verkündete er einmal, was entsprechend wütende Reaktionen nach sich zog. Im Fragebogen einer großen, bunten Tageszeitung kreuzte er außerdem an: "Wenn mein Sohn Schalke-Fan wird, dann - kommt er ins Heim!" Irgendwie verständlich, dass auch die Schalke-Anhänger ihrerseits ein Problem mit Kevin Großkreutz haben. Aber: Fragen Sie mal in Dortmund nach Gerald Asamoah!

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(Foto: dpa)

Es war wohl die bitterste Derby-Niederlage für Schalke 04. Noch am vorletzten Spieltag der Saison 2006/2007 hatten die Königsblauen beste Chancen auf die Meisterschaft. Wirklich! Die Meisterschaft! Schalke! Doch dann mussten sie nach Dortmund, die Borussia hatte bis zu diesem Zeitpunkt eine miserable Saison gespielt. Ausgerechnet beim Spiel gegen den großen Rivalen machten die Dortmunder aber plötzlich alles richtig, der BVB spielte groß auf - und Schalke verkrampfte. 2:0 stand es am Ende, Schalke war die Tabellenführung los und beendete die Saison auf Platz zwei. Die Dortmunder Fans badeten in Genugtuung und schwärmen bis heute vom dem Spiel als: "Die Mutter aller Derbys". Kevin Großkreutz stand damals übrigens noch als Fan auf der Tribüne.

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(Foto: AP)

Eines der spektakulärsten Spiele zwischen den Ruhrpott-Rivalen fand im September 2008 statt. Schalke lag in Dortmund schon 3:0 in Führung. Welch schreckliche Blamage! Doch den Borussen gelang eine krachende Aufholjagd, am Ende stand es 3:3. Das Spiel bot noch wochenlang Gesprächstoff, nicht nur wegen der sechs Tore. Es wurde diskutiert über vermeintlich nicht geahndete Tätlichkeiten, umstrittene Elfmeterentscheidungen und zwei Platzverweise (hier gegen Schalkes Fabian Ernst). Am Ende durfte jeder einen Punkt mitnehmen - was zumindest für die Schalker ein sehr schwacher Trost war.

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(Foto: N/A)

Die höchsten Siege: Im Oktober 1940 fertigte Schalke den Nachbarn mit 10:0 ab, der bis heute höchste Sieg in einem Revierderby. Dortmunds deutlichster Erfolg datiert aus dem Februar 1966: 7:0. Die Bilanz: 175 teils legendäre Spiele hat es zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 seit 1925 gegeben, 93 davon in der Bundesliga seit 1963. Die Statistik spricht für die Königsblauen - 68 Siegen stehen 46 Unentschieden und 61 Niederlagen gegenüber, die Tordifferenz lautet 333:272. Derby-Dauerbrenner: In der Bundesliga-Ära spielte niemand mehr Derbys als das Schalke-Idol Klaus Fichtel (im Bild links neben Klaus Fischer) und BVB-Torhüter Roman Weidenfeller (je 24), niemand gewann mehr als der heutige Dortmunder Sportdirektor Michael Zorc (10).

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(Foto: N/A)

Rekordtorschützen: Ernst Kuzorra (im Bild) hat für Schalke am häufigsten gegen Dortmund getroffen, er war 16 Mal erfolgreich. Bester Dortmunder Torschütze gegen Schalke ist bis heute Lothar Emmerich mit elf Treffern. Berühmte Überläufer, die auf beiden Seiten spielten: Andy Möller, Jens Lehmann, Ingo Anderbrügge, Steffen Freund, Stan Libuda, Christoph Metzelder (und noch viele mehr - so genau nahmen es manche Fußballer dann doch nicht mit der Feindschaft).

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