Razzia in Italiens EM-Quartier:Don Quijote der Squadra Azzurra

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Die italienische Nationalmannschaft bildete bislang eine Insel der Saubermänner, zu der nur die Charakterbesten von Trainer Cesare Prandelli ein Visum bekamen. Dieses Image ist seit der Durchsuchung bei Nationalverteidiger Domenico Criscito beschädigt. Das Team will nicht mit dem Schatten des Verdachts zur EM nach Polen aufbrechen, ganz entziehen wird sie sich dem Skandal aber nicht können.

Birgit Schönau, Rom

Als die Polizei am Pfingstmontag um halb sieben Uhr morgens an der Pforte des Trainingszentrums von Coverciano bei Florenz Sturm klingelte, schreckte sie nicht nur die Squadra Azzurra aus dem Schlaf. Sondern den gesamten italienischen Fußball. Denn der seit Monaten ausufernde Wettskandal schien, abgesehen von Atalanta Bergamo, vor allem eine Angelegenheit der unteren Ligen zu bleiben. Die vielfältig engagierte Nationalmannschaft hingegen bildete eine Insel der Saubermänner, zu der nur die Charakterbesten ein Visum bekamen.

Ein Nasenstüber in der Liga reichte, um von Trainer Cesare Prandelli ausgeschlossen zu werden. Um seine Männer für die EM moralisch weiter aufzurüsten, hatte Prandelli für den Montag den Spieler Simone Farina vom Zweitligisten AS Gubbio eingeladen.

Farina sollte berichten, wie man der Wettmafia widersteht - er selbst hatte viel Geld für eine Niederlage ausgeschlagen und war dafür von Fifa-Chef Sepp Blatter ausgezeichnet worden. Jetzt durfte der Saubermann aus Gubbio zur Belohnung auch einmal mit den Azzurri trainieren, bevor die am Dienstag beim Testspiel gegen Luxemburg die nächste Anstands-Attacke starten: Prandelli hatte im Stadion von Parma freien Eintritt für Frauen durchgesetzt.

Als weiteres Fanal in seinem Kampf um die Sensibilisierung der Nationalmannschaft, denn der Trainer will, dass die Azzurri über den Sport hinaus Zeichen setzen. Deshalb ließ er sie demonstrativ in einem Stadion trainieren, das zuvor der kalabrischen 'Ndrangheta gehörte, deshalb die Einladung nach Parma. Aus Protest gegen Männer-Gewalt soll erstmals ein Länderspiel ganz den Frauen gewidmet werden.

Lazio-Kapitän Mauri verhaftet

Am Montag muss sich Prandelli gefühlt haben wie ein Don Quijote des Calcio. Vor den Augen des Nationaltrainers überbrachte die Polizei seinem Spieler Domenico Criscito, 25, einen Ermittlungsbescheid der Staatsanwaltschaft in Cremona: Verdacht auf Wettmanipulation in Criscitos Zeit beim CFC Genua. Der Spieler wies die Vorwürfe zurück. Während die Teamkollegen frühstückten, wurde das Zimmer des Verteidigers von Zenit St. Petersburg durchsucht, gleichzeitig durchforsteten andere Polizisten das Haus des Profis in Genua.

Noch nie waren Polizisten im Trainingslager von Coverciano vorstellig geworden. Prandelli schloss Criscito kurz vor der Vorstellung seines EM-Kaders umgehend aus. Stunden später verkündete der Coach: Der Verteidiger fährt nicht mit zur EM. Die Nationalmannschaft will nicht mit dem Schatten des Verdachts nach Polen aufbrechen, doch ganz entziehen kann sie sich dem Skandal nicht. Denn die Aktion bei den Azzurri bildete nur einen der vielen theatralischen Höhepunkte am schwarzen Montag für den Fußball.

In Rom wurde Lazio-Kapitän Stefano Mauri, 32, verhaftet. Der Spielführer des Hauptstadtklubs und Teamkollege des deutschen Nationalspielers Miroslav Klose in Handschellen - dahinter verblassten selbst die Meldungen über die neuesten Intrigen im Vatikan. Dass Mauri, der seit 2006 bei Lazio spielt und beim letzten Derby gegen den AS Rom den Siegtreffer erzielte, seine Tifosi verraten haben soll, erscheint ungeheuerlich. Doch genau das werfen die Ankläger in Cremona ihm vor: Spielmanipulation beim Match Lecce gegen Lazio im Mai 2011. Die Partie endete 2:4, dabei soll viel Geld geflossen sein. Auch an Capitano Mauri.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Abwehrgeister und Berner Milchkühe

Per Mertesacker wirkt sowohl körperlich als auch geistig zu langsam, Mesut Özil hat scheinbar keine Lust auf die zweite Mannschaft, Lukas Podolski klatscht sich immerhin heftig mit dem Trainer ab. Nur Sami Khedira wehrt sich gegen die Niederlage. Die DFB-Elf beim 3:5 gegen die Schweiz in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Basel

Insgesamt ließ die Staatsanwaltschaft Cremona sieben aktive und ehemalige Profis festnehmen, drei kamen unter Hausarrest. In Zusammenarbeit mit der ungarischen Polizei wurden fünf Haftbefehle gegen ungarische Staatsbürger erlassen - die Ungarn sollen, im Verein mit Helfershelfern aus Mazedonien die italienische Liga manipuliert haben. Wie viele Spiele der Saison 2010/11 gekauft wurden, steht noch nicht fest. Außer Lazio Rom sind der CFC Genua und der AS Siena betroffen. Den Kopf der Bande vermuten die Ermittler in Singapur.

Polizeiwagen vor dem italienischen Quartier: Weckruf um halb sieben in der Früh (Foto: AP)

Auch ein Trainer ist ins Visier der Fahnder geraten: Antonio Conte, der soeben mit Juventus Turin seinen ersten Meistertitel holte. Ihm wurde ein Ermittlungsbescheid zugestellt, außerdem nahm die Polizei eine Hausdurchsuchung vor. Die Vorwürfe gegen Conte wiegen schwer: Betrug und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Ein ehemaliger Spieler belastet den Juve-Trainer - als Übungsleiter bei AS Siena soll Conte mit der Vereinsführung ein 2:2-Remis gegen den Aufsteiger Novara beschlossen haben.

Der Meistercoach weist das gewohnt markig von sich und erhält Schützenhilfe von Juve-Torhüter Gigi Buffon. "In den letzten Spielen vor Saisonende entscheidet man eben nach Ausgangslage", erklärt der Kapitän der Nationalelf. Übersetzt: Ein Unentschieden zum Schluss ist nicht mehr als praktizierte Nächstenliebe.

Erinnerungen an 2006

Als Juve-Spieler ist es Buffon gewöhnt, den Ball flach zu halten. Schließlich kann er sich noch bestens daran erinnern, wie die Stimmung vor sechs Jahren im Trainingslager war. Damals war Juventus gerade Meister geworden und stand doch kurz vor der Zwangsrelegation - weil das damalige Management gemeinsam mit einigen Schiedsrichtern Spiele verschoben hatte. Der Skandal von 2006 war hausgemacht, heute scheint Italien nur eine Provinz unter vielen im riesigen Imperium einer global agierenden Wettmafia.

Die Bedingungen scheinen in Italien besonders günstig zu sein. Noch immer ist der Fußball feudalistisch organisiert, in der Hand von Unternehmern, die immer weniger investieren können und wollen, erpresst von gewaltbereiten Ultras, geführt von allzu schwachen Funktionären. Die Krise hat dazu geführt, dass manche Klubs ihre Spielergehälter nicht pünktlich zahlen, viele Karrieren enden vorzeitig im Nichts.

Doch die Protagonisten des Wett- skandals zählen zu den Gewinnern. Und wenn der Calcio im Vergleich zur europäischen Konkurrenz auch besonders fragil erscheint - die italienische Polizei lässt sich von der Wettmafia wenig vormachen. Eine Razzia bei der Nationalmannschaft zehn Tage vor der EM. Das trauen sich die Italiener. Die anderen wiegen sich in der Illusion moralischer Überlegenheit. Sie spielen ja auch nicht umsonst für Frauen.

© SZ vom 29.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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