Portugal bei der Fußball-EM:Pepe-Fußball mit Ronaldo-Moment

Lesezeit: 3 min

115 Minuten nicht anwesend, dann Spielentscheider: Cristiano Ronaldo. (Foto: REUTERS)

Fast 120 Minuten lang bieten die Portugiesen gegen Kroatien Fußball aus der Gruselabteilung. Cristiano Ronaldo wirkt, als wäre er gar nicht anwesend - und dann ist er doch zur Stelle.

Von Thomas Hummel, Lens

Einmal, nur dieses eine Mal, flutschte der Ball durch. Nani hatte ihn erhalten, in einer Art Verzweiflungstat stupste er ihn mit der Pike an. An zwei Kroaten vorbei kullerte der Ball zu - tatsächlich, zu Cristiano Ronaldo.

Termine der Fußball-EM in Frankreich
:EM 2016 Spielplan

Vom Eröffnungsspiel am 10. Juni bis zum Finale am 10. Juli 2016: Der Spielplan mit allen Begegnungen, Spielorten und Anstoßzeiten der Europameisterschaft in Frankreich.

117 Minuten waren gespielt und man muss wohl sagen, dass vorher kaum einer von diesem famosen Fußballer Notiz genommen hatte im Stade Bollaert-Delelis. Er hatte kaum einmal die Kugel, kaum eine Aktion, nicht einmal Zweikämpfe hatte er geführt. Unsichtbar nennt man so etwas. Doch dann fand Nanis Pikenpass den Weg zu ihm, Ronaldo schoss, Kroatiens Torwart Danijel Subasic klatschte ab und Ricardo Quaresma köpfelte ins leere Tor.

Kurz darauf war dieses Achtelfinale beendet. Portugal hat es geschafft und trifft nun auf Polen. Dabei hätte man sich im Laufe dieses Abends in Lens gewünscht, dass beide Mannschaften möglichst bald heimfahren mögen. So wenig hatten sie sich getraut, so viel Wert auf Defensive gelegt. Und das mit Cristiano Ronaldo im Team. Und Nani. Und Quaresma.

Kroatische Meute gegen Ronaldo

Cristiano Ronaldo hatte schon einmal eine kroatische Erfahrung gemacht in seinem Fußballerleben. Im Jahr 2011 hatte er nach dem Champions-League-Spiel mit Real Madrid in Zagreb gesagt: "Die Dinamo-Spieler haben ununterbrochen getreten und der Schiedsrichter hat nichts dagegen unternommen. Ich denke, weil ich reich, gut aussehend und ein großartiger Spieler bin. Sie beneiden mich, eine andere Erklärung habe ich nicht." Es war eines seiner Bonmots, die ihn in der Welt berühmt machen. Neben seinen Toren und Tricks und Bauchmuskeln natürlich.

Zu den Neidern gehörten damals unter anderem Domagoj Vida und Milan Bedalj, die auch in Lens auf dem Platz standen. Sie waren wieder Teil einer kroatischen Meute, die Cristiano Ronaldo am besten überhaupt keine Aktion gönnen wollte. Hatte der Stürmer den Ball, stürzten gleich drei, vier Kroaten herbei, um ihn zu bedrängen.

Nach dessen zwei Treffern und einer Vorlage gegen Ungarn hatten sie befürchten müssen, der 31-Jährige könnte seinen Instinkt und seine Form finden, nachdem es zuvor nicht gerade ideal gelaufen war bei der EM. Man denke an den verschossenen Elfmeter gegen Österreich.

Fußball-EM
:1996 vs. 2016 - wer gewinnt den Vergleich?

Vor 20 Jahren gewann Deutschland die EM. Warum aus Berti Vogts nie ein Joachim Löw werden konnte - und warum es gut ist, dass das Golden Goal wieder abgeschafft wurde.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf

Allerdings mussten sie nur sehr selten die Ronaldo-Jagd eröffnen. Portugal war fast eine halbe Stunde lang überhaupt nicht in der gegnerischen Hälfte aufgetaucht, der Respekt vor dem Gegner schien übergroß. Trainer Fernando Santos hatte drei neue Spieler in die Startelf befördert. Für den Wolfsburger Vieirinha, João Moutinho und den 38 Jahre alten Ricardo Carvalho schickte Santos den in Baden-Württemberg geborenen Cédric Soares, José Fonte (beide FC Southampton) und Adrien Silva (Sporting) auf das Feld. Alle Wechsel dienten dazu, die Kroaten möglichst fern vom Tor zu halten. Deren Sieg gegen Spanien hatte bei den Portugiesen offenbar mächtig Eindruck hinterlassen. Dazu stand es um das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten nach drei Unentschieden in der Vorrunde offenbar nicht zum Besten.

William Carvalho und Silva hatten den Auftrag, vor der Abwehr möglichst viel wegzuräumen, Modric, Rakitic und Badelj zu bedrängen. Cédric Soares sollte sich um Perisic kümmern. Das Konzept der Portugiesen ging insofern auf, als praktisch gar nichts geschah im Stade Bollaert-Delelis. 90 Minuten weder hier noch dort, null Schüsse aufs Tor. Das einzig erquickliche an diesem zunehmend kühlen Abend in Nordfrankreich boten die portugiesischen Fans, die praktisch ohne Unterlass sangen und damit in den Wettbewerb der sangesfreudigsten Anhänger des Turniers einstiegen.

Wales bei der Fußball-EM
:"Wir wussten, dass es ein hässliches Spiel wird"

Trotzdem darf Gareth Bale mit Wales den Viertelfinal-Einzug feiern. Nordirlands Trainer muss sich rechtfertigen, weshalb er Will Grigg nicht eingewechselt hat.

Von Carsten Scheele

Ihre Spieler wollten das Achtelfinale mit Pepe-Fußball überstehen. Und hofften vorne auf einen Ronaldo-Moment. Doch wo sollte der herkommen? Die einzig nennenswerte Aktion von Ronaldo in der ersten Halbzeit? Als er Darijo Srna auf den Fuß stieg und sich sogleich entschuldigte. Nach 90 Minuten Spielzeit brachte er es auf gerade 24 Ballkontakte. Kroatien klemmte alle Wege zu ihm ab.

Renato Sanches macht es den Kroaten schwer

Da hatte Kollege Nani noch etwas bessere Szenen in seinem 100. Länderspiel. Doch das gefährlichste, was die Portugiesen zustande brachten, war ein Schussversuch des nach der Pause eingewechselten Renato Sanches. Der 18-Jährige verzog weit. Immerhin bestätigte er die Vermutung, dass sich der FC Bayern für 35 Millionen Euro plus Zulagen einen äußerst zweikampfbegabten jungen Mann zugelegt hat. Seine Hereinnahme machte es den Kroaten noch schwerer, den Strafraum zu sehen.

Als es dann schon mächtig auf ein Elfmeterschießen zulief, startete Sanches den letzten Konter. Gerade hatten sie noch Glück gehabt, weil Perisic nur den Pfosten getroffen hatte, da lief der Neu-Bayer über das halbe Feld. Passte zu Nani. Und der passte mit der Pike.

Cristiano Ronaldo zog nach dem Tor übrigens nicht sein Trikot aus. Und spannte auch keine Muskeln an. Auch nach dem Schlusspfiff nicht. Es wirkte immer noch so, als würde er gar nicht anwesend sein.

© SZ vom 26.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: