Portugal bei der Fußball-EM:Fußball soll nach früher riechen - Ronaldo duftet nach Pomade

Lesezeit: 3 min

Vielleicht hat er mit 31 Jahren seinen Zenit überschritten: Cristiano Ronaldo. (Foto: Getty Images)

Warum hat es Cristiano Ronaldo so schwer, geliebt zu werden? Vor dem Halbfinale gegen Wales wird deutlich, wie Portugals Anführer in der reaktionären Fußballwelt aneckt.

Von Birgit Schönau

Cristiano Ronaldo ist ein Mann der Rekorde. Die meisten Einsätze bei einer EM-Endrunde, Treffer bei allen vier Turnieren, in der ewigen EM-Torjägerliste könnte er im Halbfinale gegen Wales auch noch Michel Platini überholen. Am Mittwoch folgt also ein weiterer Meilenstein zu Ronaldos Apotheose - oder der erste Schritt in Richtung Niedergang. Portugal kam ohne einen einzigen Sieg in 90 Minuten unter die letzten Vier.

Und Ronaldo ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben, zwischen rauschhaften Höhepunkten wie seinem Doppelpack gegen Ungarn und harten Rückschlägen wie dem verpatzten Elfmeter gegen Österreich. Vielleicht hat er mit 31 Jahren seinen Zenit überschritten, womöglich steht der größte Auftritt ihm noch bevor. Nur einen Primat kann er schon jetzt für sich beanspruchen: wieder einmal der umstrittenste Spieler des Turniers zu sein. Ganz im Gegensatz zu seinem walisischen Gegenpart Gareth Bale.

Zurückhaltender Familienvater versus aufgepumpter Muskelprotz

Beide spielen Seite an Seite für Real Madrid, den Klub, der für sie knapp 200 Millionen Euro ausgab. Und beide besetzen höchst unterschiedliche Rollen in der Inszenierung jenes großen Volkstheaters, das der Fußball heute ist. "Hier der zurückhaltende Familienvater", wie die Welt erkannt hat, "dort der aufgepumpte Muskelprotz". Von Bale wissen die wenigsten, dass er in seiner Freizeit regelmäßig mit dem Privatjet zum Golfspielen fliegt.

"Anders als Ronaldo oder Ibrahimovic versteht Bale es, seine persönlichen Interessen mit den nationalen in Einklang zu bringen", dieser Satz stand tatsächlich vor ein paar Tagen in der taz, womit klar wäre, dass auch in traditionell eher millionärskritischen Kreisen die Sympathien eindeutig verteilt sind. Sie fliegen demjenigen zu, der wie Bale auf der großen Bühne treuherzig verkündet: "Fußball sollte ein Familiensport sein."

In Wirklichkeit ist Fußball aber natürlich erstens ein Riesengeschäft, zweitens eine Riesenshow und drittens eine Riesenheuchelei. Wobei viele Fans auf Letzteres gesteigerten Wert legen. In einer Welt, die immer weniger Gewissheiten bietet, weil in ihr die deutschen Züge unpünktlicher fahren als die italienischen Fähren, soll wenigstens der Fußball noch nach früher duften. Also nach Schweiß, Kampfgeist und Opferbereitschaft, kurz: nach echtem Männersport und nicht nach Markenparfüms, Haarpomade und Zahnaufheller.

Neben Ronaldo wirkt Messi wie ein Spielautomat

Nun wird niemand bezweifeln, dass Cristiano Ronaldo es in diesem Männersport ziemlich weit gebracht hat. Seine vielen Trophäen und Triumphe aufzuzählen ist müßig, der Portugiese ist schlicht einer der größten Fußballer der Geschichte und neben dem Papst und Barack Obama vermutlich auch einer der drei bekanntesten Menschen der Welt - noch vor seinem ewigen Kontrahenten Lionel Messi. Denn Messi ist zwar extrem erfolgreich, viele sagen auch: technisch besser als Ronaldo. Aber neben dem mysteriösen Charakterdarsteller CR7 wirkt der Argentinier vom FC Barcelona wie ein Spielautomat.

Ronaldo ist schwer einzuschätzen, mal gibt er den verbissenen Kämpfer, mal den Gockel. Mal nimmt er vor einem seiner vielen schlecht geschossenen Freistöße eine John-Wayne-Pose ein, mal wackelt er bei seinem typischen Zickzacklauf mit dem Hintern. Er trägt einen schlichten Haarschnitt, aber gezupfte Augenbrauen, er hat einen durchmodellierten Körper und perfekt strahlende Zähne. Soviel Eitelkeit hat für viele im Fußball nichts zu suchen, denn sie wirkt ambivalent, ja weibisch. Im altmodisch-reaktionären Ambiente des Fußballs wirkt der alleinerziehende Vater Cristiano Ronaldo gleichzeitig provozierend modern und irritierend abgehoben.

Der Mann schert sich nicht darum, was man von ihm denkt. Ronaldo wirbt nicht um Sympathie, das ist die erste Irritation. Wortlos wirft er das Mikro eines zudringlichen Reporters in den nahe gelegenen Teich. Oder er demütigt mit einer wegwerfenden Geste die eigene Abwehr, als Portugal von Polen das 0:1 kassiert. Auf dem Platz weigerte er sich, mit dem Isländer Aron Gunnarsson das Trikot zu tauschen, das machte er später, im Kabinengang, als keiner hinsah. Ronaldo ist in jedem Moment sein eigener Regisseur.

Termine der Fußball-EM in Frankreich
:EM 2016 Spielplan

Vom Eröffnungsspiel am 10. Juni bis zum Finale am 10. Juli 2016: Der Spielplan mit allen Begegnungen, Spielorten und Anstoßzeiten der Europameisterschaft in Frankreich.

Er will, wie irritierend, sich nicht vom Publikum dirigieren lassen, sich nicht mit ihm gemein machen, und sei es zum Schein. Die zweite Irritation ist seine chronische Großmäuligkeit. Er macht keinen Hehl daraus, dass er sich für den Besten hält. Aber einer, der dermaßen reich, berühmt und talentiert ist, sollte uns das nicht dauernd aufs Butterbrot schmieren. Immer hübsch bescheiden, dann mögen wir ihn auch. Das Problem ist nur - siehe oben.

Er biedert sich nicht an, er hat sich noch nie für etwas entschuldigt

Die Journalisten hofieren Ronaldo, er aber pfeift auf sie. Er verrät ihnen keine Geheimnisse, auch nicht das kleinste - wer die Mutter seines Sohnes ist zum Beispiel. Er biedert sich nicht an, er hat sich noch nie für etwas entschuldigt. So kommt es, dass seine Trainer ihn alle loben, die Medien ihn aber fast ausnahmslos bekritteln.

Er könne alles und sei mutig wie ein Löwe, sagt Sir Alex Ferguson. Carlo Ancelotti verehrt ihn geradezu, was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht. Ancelotti preist Ronaldos Disziplin, sein Pflichtbewusstsein, seine Teamfähigkeit. Apropos: 131 Einsätze mit 60 Toren für Portugal und nie was gewonnen. Man stelle sich vor, Ronaldo verlasse deshalb aus Frust das Nationalteam - so wie Messi. "Er hat eine schwere Entscheidung getroffen, und die muss man respektieren", sagt CR7 über den Konkurrenten.

Auch Zlatan Ibrahimovic hat seinen Abschied genommen. Ronaldo macht weiter. Die Übersteiger werden seltener, die Dribblings auch, sogar die Torschüsse. Es war immer schon schwierig, mit Portugal zu glänzen, jetzt verleiht noch nicht einmal der Meister seinem Team etwas Glanz. Portugal ist Fado, Wales ist Spielfreude. Jedenfalls bis zum Halbfinale.

SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)
© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: