Philosoph Eilenberger im Interview:"Ein Phänomen, das Leute wie Trump hochspült"

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Der Philosoph Wolfram Eilenberger erklärt, weshalb die Sehnsucht nach starken, männlichen Sportlern mitschuldig ist an Trumps Wahl zum US-Präsidenten.

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Usain Bolt rennt allen davon. 2017 startet er einen Wettkampf unter seinem Namen, der neue Disziplinen in die Leichtathletik bringt. Ergibt das Sinn, wenn sich Sport nur noch über eine Einzelperson definiert?

Wolfram Eilenberger: Usain Bolt ist eine Verkörperung dessen, was Sport sein soll. Sport folgt einer Logik der Übersteigerung und schafft einen Rahmen, in dem das Individuum seine Leistungen zeigen kann und wir es dafür bewundern können. Bolt ist eine Marke, die den Sport in eine neue Richtung ­tragen kann. Darum: Ja, es kann Sinn machen. Aber es birgt auch Risiken.

Welche?

Bei Bolt steht schon sehr dringend die Frage im Raum, ob man solche Leistungen dopingfrei erbringen kann. Der Verdacht, der auf Bolt und der Disziplin liegt, überschattet die Strahlkraft der Person - und man kann sich leicht ­vorstellen, was mit der Leichtathletik geschehen würde, wenn man Bolt des Dopings überführen würde. Er ist die Figur, die diesen Sport noch zusammenhält.

Ein Klumpenrisiko.

Ja, und da allen dieses Risiko bewusst ist, glaube ich nicht, dass der Verband oder irgendjemand, der mit Leichtathletik zu tun hat, ein aktives Interesse daran hat, Bolt als Dopingsünder zu entlarven.

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Sie sagen, Bolt entwickle den Sport weiter. Ist dies nicht nur die nächste Stufe der Kommerzialisierung?

Hochleistungssport ist in kapitalistischen Systemen immer an die Kommerzialisierung gebunden. Ich bin keiner, der die Kommerzialisierung per se für schlecht hält. Sie hat den Sport professionalisiert und die Leistung verbessert. Das sieht man exemplarisch beim Fußball: Nirgendwo sonst haben früher so viele Sportler so schlecht und wenig trainiert und gleichzeitig so viel verdient. Dass der Sport selbst ein relativ junges Phänomen ist und praktisch gleichzeitig mit dem großstädtischen Kapitalismus in die Welt getreten ist, ist kein Zufall: Beide folgen derselben Logik.

Ein Symbol dafür ist Red Bull, über dessen Fußballvereine man gerne schimpft. Wenn Schalke 04 von einem russischen Gaskonzern ­unterstützt wird, scheint das niemanden zu stören. Warum?

Red Bull ist sicher das beste Beispiel für die Tatsache, dass es bei einem Sportverein heute um mehr als nur Sport geht. Es gibt Vereine, an die sich Konzerne für ihre Werbung ankoppeln. Und es gibt Vereine, die keinen anderen Zweck erfüllen, als den Sponsor zu verkörpern. Red Bull wurde von Anfang an als reines Werbeunternehmen gedacht - das kann man von den anderen Vereinen nicht sagen, darum ist die Kritik an Red Bull so harsch. Die Firma verkörpert, was mein Kollege Georg Seesslen "Eventkapitalismus" genannt hat. Der Kapitalismus verkauft keine Waren mehr, sondern Erlebnisse und Emotionen. Die Marke Red Bull hat das sehr gut verstanden. Gleichzeitig ist Red Bull Leipzig ein wahnsinnig gut geführter Verein, in Deutschland nur mit Bayern München vergleichbar.

Auf der Strecke bleibt die Romantik.

Ja, natürlich. Das ist in Deutschland aber eine ambivalente Sache. Man muss vorsichtig sein, dass man sich beim Betonen der Werte der 100-jährigen sogenannten Traditionsvereine nicht auf eine pegidamäßige Argumentation einlässt, die Globalisierung, Kapitalismus und Antisemitismus in einen Topf wirft. Eine solche Argumentation hält alles, was nicht organisch mit einem Land verwachsen ist, für falsches Bewusstsein, für Entfremdung und für die böse Form der Globalisierung. Um unseren Finanzminister Schäuble zu zitieren: Red Bull ist so etwas wie ein fußballtechnisches Rendezvous mit der Globalisierung. Wenn man Red Bull die fehlende Geschichte und die fehlende Verwurzelung vorwirft, ist das ein Diskurs, der sehr schnell sehr heikel werden kann.

Der Grat zwischen Populist und Fußballromantiker ist ein schmaler.

Ja. Wenn man die Diskurse gegen Red Bull mit klassischen antisemitischen oder globalisierungskritischen Diskursen vergleicht, gibt es da einige Gemeinsamkeiten. Nicht jeder, der gegen Red Bull redet, hat etwas gegen die Globalisierung. Aber die Romantisierung der eigenen Geschichte als authentisch und wahrhaftig hat etwas Problematisches.

Würden Sie sich denn als Fußballromantiker bezeichnen?

Ich bin ein Fußballromantiker, insofern der Fußball ein wesentlicher Teil davon ist, was ich "ich" nenne. Die Romantiker waren die Weltmeister im Ich-Sagen. Sie glaubten an ein Ich und daran, dass dort gewisse Dinge liegen. Und in meinem Zentrum liegt sicher auch der Fußball. Doch ich bin kein Kulturromantiker in dem Sinne, dass ich glaube, Fußballvereine können nur geliebt werden, wenn sie in eine Zeit zurückreichen, die wir alle zum Glück nicht erleben mussten.

Als Fußballfan muss man vor allem viele Dinge ausblenden können.

Der Ausblendungswille, der uns heute in die Lage versetzt, Fußball überhaupt noch zu geniessen, ist der gleiche, der uns in die Lage versetzt, im Supermarkt einkaufen zu gehen und am modernen Leben teilzunehmen. Der Fehler daran ist, dass Sport eine moralische Sonderzone unseres Lebens sein soll. Ist er nicht! Er ist auch nicht ein einfacher Spiegel unserer Gesellschaft, er ist mehr: Er ist ein Sondersystem der Gesellschaft, in dem sich künftige Entwicklungen des Kapitalismus besonders deutlich zeigen. Er ist unserer Zeit immer etwas voraus. Darin gleicht er der Pornoindustrie, die ein ebenso starkes Innovationsgespür hat. Der Fußball ist für Gesellschaftsdiagnostiker interessant, weil er etwas über die Zukunft der Gesellschaft sagt.

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Zum Beispiel in England, wo der jetzt überall beschworene Graben zwischen Elite und Basis im Fussball schon lange existiert. Wie lange kann das dort noch gut gehen, bevor sich die Leute definitiv abwenden?

Die Entfremdung ist gerade in einer Liga wie der englischen, die sich über globale Fernsehmärkte finanziert, besonders stark. Das funktioniert wie beim fliegenden Teppich: Alle stehen drauf, nur der Boden darunter ist verschwunden. Die englische Liga als Produkt bräuchte ­England gar nicht mehr. Darum werden wir vielleicht das Umgekehrte erleben: Nicht die Leute werden sich vom Fußball abwenden, sondern die Liga wird sich von der Insel emanzipieren, um globale Märkte zu erschliessen. England ist so eine Art Saudi-Arabien des Fußballs geworden. Alle Kompetenzen werden eingekauft. Es gibt keinen einzigen englischen Trainer, dem man aktuell eine Spitzenmannschaft der Premier League anvertrauen würde. Das Mutterland des Fußballs ist in der erbärmlichen Situation, dass es nicht in der Lage ist, aus der eigenen Fußballkultur jene Kompetenz zu generieren, um die eigene Liga am Leben zu halten.

Müssen sie ja auch nicht, solange das Geld fließt.

Die englische Liga ist ein Beispiel dafür, was Thomas Friedman einmal das Problem der Petro-Politics genannt hat: Er meinte damit Staaten, die wegen ihres Öls so viel Geld haben, dass Innovation verunmöglicht wird. Die Folge ist: Im Vergleich zu europäischen Mannschaften hat der englische Fußball ein unfassbares Qualitätsdefizit, das sich bei diesen Summen nicht erklären lässt. Und da wird es richtig schlimm: Wenn die global dominante Liga der Welt ein Spiel verkauft, dessen Niveau erbärmlich ist. In meinen Albträumen sehe ich eine Zukunft vor mir, in der uns die Märkte in Indien und China völlig neue Regeln diktieren: ein Werbeblock nach fünfzehn Minuten, Sonderregeln für Freistöße, solche Sachen. Darum braucht es eine starke Fifa, die als eine Art katholische Kirche des Fussballs den wahren Glauben auf der Welt verteidigt.

Wie magisch Fußball sein kann, zeigte doch der Titelgewinn des Außenseiters Leicester City!

Ja, aber in einer Liga, in der Leicester Meister wird, stimmt etwas nicht. Mit Romantik hat das nichts zu tun: Leicester gehört zu den 20 topfinanzierten Vereinen auf der ganzen Welt. Ihr Titelgewinn hat gezeigt, dass man auch heute noch erfolgreich einen Fußball wie die Griechen unter Otto Rehhagel spielen kann. Meine Begeisterung dafür ist in vielerlei Hinsicht sehr eingeschränkt.

Nicht sehr begeisternd war auch die Europameisterschaft in Frankreich, von der zuerst die rechtsextremen Fanhorden aus Russland oder Ungarn in Erinnerung bleiben.

Das meinte ich mit dem Fußball als Ort, wo gesellschaftliche Entwicklungen vorweggenommen werden. Bei der WM 2006 hatten wir "die Welt zu Gast bei Freunden", wo der Patriotismus und nicht der Nationalismus gefeiert wurde. Es war die Entsprechung eines Deutschlands, in der Nationalismus ein abschwellendes Phänomen war. Bei der EM in Frankreich war nun dessen Fratze wieder viel stärker sichtbar.

War das die schlechteste EM aller Zeiten?

Nein, das denke ich nicht. Es war sicher die längste, auch die ermüdendste, und es gab sehr viele sinnlose Spiele, an die sich niemand von uns aktiv erinnern wird. Aber es gab auch wunderbare Geschichten. Die tatsächlich romantische Geschichte Islands, der Titelgewinn Portugals - und das sehr gerechtfertigte Ausscheiden Deutschlands. So furchtbar war diese EM qualitativ nicht.

Der Fußball habe ein Sensorium für politische Entwicklungen, sagen Sie. Hat er auch eine Verantwortung dafür?

Der Fußball sollte sicher nicht politisch aktiv auftreten, aber er sollte begreifen, dass er eine riesige Strahlkraft hat, die auch politisch wirken kann. Denken Sie an die deutschen und schweizerischen Erzählungen von der Nationalmannschaft als Abbild der multikulturellen Gesellschaft: Das kann auf junge Menschen und auf die Gesellschaft durchaus einen positiven Einfluss haben.

Wie passt in diese Verantwortung hinein, dass die Fifa die nächste WM nach Russland vergeben hat?

Ich kann mich über Russland nicht so aufregen wie die meisten anderen. Speichel spucken könnte ich, wenn ich an ­Katar denke, wo die WM im Winter 2022 stattfindet. Das ist der Skandal, über den man reden muss. Russland kann man aus vielen guten Gründen kritisieren, aber man kann dem Land nicht vorwerfen, dass es keine verankerte Fußballkultur habe. Ein globaler Sportverband wie die Fifa kann schlecht deutsche oder schweizerische Ansprüche an Transparenz und Rechtsstaatlichkeit für alle potenziellen Austragungsorte ansetzen.

Sie halten also auch nichts von einem Boykott der WM 2018?

Nein, das fände ich weder aus moralischen noch aus sportlichen Gründen gut. Wir können Russland nicht so behandeln, als sei das ein Land, in dem keine Sportveranstaltung stattfinden könnte. Wenn es um Doping geht wie bei der Bob-WM, ist eine Absage nachvollziehbar. Aber wenn wir sagen, Russland sei nicht demokratisch genug, müssen wir uns bewusst sein: Es bleiben nicht viele Länder, in denen dann noch Großveranstaltungen stattfinden können.

Sie finden ja schon heute fast nur noch in autoritären Staaten statt.

Ja, weil in vielen Demokratien die Skepsis gegenüber diesen Veranstaltungen wächst. Keine Stadt, kein Land, in dem die Bevölkerung wirklich gefragt wird, möchte sich heute noch Olympische Spiele zumuten. Das gibt eine gefährliche Dynamik. Der Ausweg muss lauten, dass die Organisation und Finanzierung solcher Anlässe anders erfolgt. Damit als Austragungsorte eben gerade nicht nur Staaten übrig bleiben, in denen die ­Bevölkerung nichts dazu zu sagen hat.

Dafür müssten die Verbände aber auch die Sponsoren zurückbinden, die entscheiden können, in welchem Stadtteil eines Austragungsorts welches Bier ausgeschenkt wird.

Die Verbände müssen robuster werden. Mir scheint aber, es wird manchmal unterschätzt, dass sich auch eine Fifa wandeln kann. Noch vor zwei Jahren hielten es viele für undenkbar, dass Sepp Blatter schon bald nicht mehr an der Spitze der Fifa stehen würde. Offen ist, ob sich nur das Gesicht ändert oder auch die Strukturen innerhalb der Organisation. Es gibt ja dieses schöne ungarische Sprichwort: "Die Gesichter ändern sich, aber die Ärsche bleiben."

Das männliche Sportideal sei mitschuldig an Trumps Wahl, schrieben Sie neulich. Das müssen Sie erklären.

Der heutige Populismus ist der Wunsch nach Komplexitätsreduktion. Die demokratischen Verfahren sind nicht direkt genug, sie sind zu kompliziert, nicht handlungsfähig: All dies weckt die Sehnsucht nach einfachen Lösungen - nach dem, was man traditionell einen starken Mann nennt. Das sind große, heroische Erwartungen an ein starkes Individuum, das in der Lage ist, das lästige Kleinklein der Institutionen mit der Kraft des eigenen Willens zu überwinden. Das ist genau das, was Trump verkörperte: das Fantasma des männlichen Heroismus.

Und welche Rolle spielt jetzt hier der Sport?

Im Sport wird dieses Fantasma jedes Wochenende kultiviert, verstärkt und eingeübt. Wer Sport schaut, beobachtet ein System, in dem ein Einzelner aufgrund überragender Fähigkeiten Probleme löst. Denken Sie nur daran, wie ein Cristiano Ronaldo medial dargestellt wird. Und wenn man nun sämtliche Fußballmetaphern politisch auflädt, entsteht der Eindruck: Was im Fußball gilt, müsste doch auch in der Demokratie gelten. So wird der Sport ein Teil des kulturellen Phänomens, das Leute wie Trump hochspült.

Womit könnte uns der Sport 2017 denn positiv überraschen?

Es fällt mir gerade ziemlich schwer, optimistisch ins neue Jahr zu blicken. Ich würde ganz pastoral sagen: Wir sollten alle mehr Sport treiben. Denn der Sport ist etwas, das reinigt und Klarheit schafft. Wenn wir an Tagen wie diesen einfach mal joggen gehen oder mit Freunden Volleyball spielen, öffnen sich Zonen in unseren Köpfen, die uns freier machen, als wir das ohne Sport sind.

Eilenberger, 44, ist einer der führenden Intellektuellen Deutschlands, wenn es um die Schnittstelle zwischen Politik und Philosophie und Sport geht. Er hat acht Bücher veröffentlicht und lehrt an der Berliner Universität der Künste. Er besitzt zudem eine DFB-Trainerlizenz, schreibt eine monatliche Fußballkolumne auf Zeit Online und ist regelmäßiger Gastmoderator der "Sternstunde Philosophie" auf SRF.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 02.01.2017

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