Philipp Kohlschreiber bei den US Open:Ende der Ballschubserei

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Mental und körperlich fit: Philipp Kohlschreiber präsentiert sich bei den US Open in guter Verfassung. (Foto: REUTERS)

Mutiger, aggressiver, aber auch entspannter: Mit 30 Jahren hat Tennisprofi Philipp Kohlschreiber seine Spielweise bewusst verändert. Im Achtelfinale der US Open trifft er heute auf Novak Djokovic - und sagt, dass er dessen Hilfe benötige, um zu gewinnen.

Von Jürgen Schmieder, New York

Natürlich ist es völliger Unfug, ein Grand-Slam-Turnier in zwei Zeitzonen zu unterteilen. Sieben wäre angesichts der Anzahl der Spielrunden eine vernünftige Zahl, aber doch nicht zwei. Dennoch messen etliche Akteure ihr Abschneiden bei Grand-Slam-Turnieren daran, ob sie in der zweiten Woche noch im Spielplan vermerkt sind. Dann, wenn die Bezeichnung des Abschnitts bereits ein "Finale" beinhaltet. Achtelfinale, das hört sich schon ein bisschen wie Endspiel an. Dritte Runde dagegen klingt wie eine Bestellung an der Kneipentheke.

Philipp Kohlschreiber wird nach seinem 7:6 (4), 4:6, 7:6 (2), 7:6 (4) gegen John Isner noch dabei sein in der zweiten Woche, er ist der Einzige von 14 deutschen Teilnehmern, der es in diese bedeutende Zeitzone geschafft hat.

Mit 30 feilt Philipp Kohlschreiber an seinem Spiel herum

Am Freitagabend waren Angelique Kerber (gegen Belinda Bencic), Andrea Petkovic (gegen Caroline Wozniacki) und Sabine Lisicki (gegen Maria Scharapowa) jeweils ohne Satzgewinn gescheitert, was Bundestrainerin Barbara Rittner durch drei braune Kringel auf ihrer Twitter-Seite grafisch zum Ausdruck brachte und auch verbal klar kommentierte: "Ich habe vorher gesagt, dass es gute US Open wären, wenn ich in der zweiten Woche deutschen Spielerinnen zugucken kann - also war es ein enttäuschendes Turnier."

Für Kohlschreiber war die Partie gegen Isner - im dritten Jahr nacheinander in der dritten US-Open-Runde - auch deshalb ein Gradmesser der eigenen Leistungsfähigkeit, weil er in den beiden ersten Runde zunächst nicht gefordert worden war und dann von einer Verletzung profitiert hatte. Er wählte gegen den an Rang 13 gesetzten Hünen die Taktik, die eigenen Aufschlagspiele und am Ende eines Durchgangs den Tie-Break für sich zu entscheiden.

"Er hat noch besser serviert als in den beiden vergangenen Jahren", sagte Kohlschreiber über den Gegner, der 42 Asse schlug: "Doch ich war ruhig bei meinen Aufschlägen und habe in den Tie-Breaks kaum Aufschlag-Punkte abgegeben." Wie 1991 Michael Stich gegen Stefan Edberg im Wimbledon-Halbfinale gewann Kohlschreiber nun, ohne ein Break zu schaffen.

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Auffällig war bei Kohlschreiber aber nicht nur diese Ergebnis-Anomalie, sondern auch die Veränderung in der Spielanlage. Es ist eine bewusste Entwicklung, die er im Alter von 30 Jahren für notwendig hält. Er gehört noch immer zu den überaus fitten Vertretern seiner Zunft, doch hat er sich ein wenig gewandelt vom laufstarken und fehlerarmen Zurückschubser zu einem mutigeren Akteur, der näher an der Grundlinie agiert, aggressiver retourniert und während eines Ballwechsels früher die Kontrolle zu übernehmen versucht.

Am Samstag etwa attackierte er, wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, er rückte häufiger ans Netz als sein Gegner, und ihm gelangen aus dem Spiel heraus mehr Gewinnschläge. Es sind kleine, aber doch bemerkbare Veränderungen.

Seit Wochen feilt Kohlschreiber weniger an Physis und Technik als vielmehr am Verhalten während der Ballwechsel und der Gestaltung kompletter Partien. Er positioniert dazu eine Kamera in verschiedenen Positionen auf dem Spielfeld und analysiert danach, wie er sich in bestimmten Situationen eines Trainingsmatches verhalten hat: "Ich werde dadurch keine beidhändige Rückhand mehr lernen", sagt er, "es geht eher um Kleinigkeiten wie Fußstellung und Positionierung auf dem Feld. Diese Kleinigkeiten fallen dann irgendwann einmal auf."

Kohlschreiber wirkt entspannt

Zudem wirkt Kohlschreiber in diesen Tagen äußerst entspannt, ja beinahe locker. Während der Partien zeichnen sich auf seiner Stirn weniger Falten ab, gegen Isner blieb er auch in kniffligen Situationen gelassen, von zwölf Breakbällen gegen sich wehrte er elf ab. "Diese Partie war für mich vor allem geistig sehr fordernd, weil ich mich so stark auf meinen eigenen Aufschlag konzentrieren musste", sagte Kohlschreiber danach: "Aber ich war mental stark."

Diese Mischung aus Lockerheit und Fokussierung entdeckte er unter anderem auch durch Einheiten mit prominenten Partnern. Mit Roger Federer etwa feixte er vor wenigen Tagen um einen knappen Ball, danach ging es sofort wieder ernst zur Sache. Er trainierte übrigens auch mit Novak Djokovic, besuchte ihn am Dienstag in dessen Domizil in New Jersey und besorgte sich sogar Tipps von Djokovic' Trainer Boris Becker. Über den sagt Kohlschreiber: "Es ist interessant, wie er Tennis denkt. Es ist nett, dass wir ein Krümelchen davon abbekommen können."

Am Montag muss er im Achtelfinale gegen seinen Trainingspartner Djokovic antreten. "Es wird keine Überraschungen geben - ich kenne ihn, und er kennt mich. Er hat keine Schwäche und seinen Aufschlag zu einer Waffe gemacht. Ich brauche Hilfe von ihm, um zu gewinnen", sagte Kohlschreiber. Er ist dabei in der zweiten Woche des Turniers, er kann diese US Open bereits als Erfolg bewerten und die Partie gegen den bislang überaus souverän agierenden Djokovic als Chance auf eine Überraschung sehen.

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Von Jürgen Schmieder

Für Djokovic, der in seinen bisherigen drei Partien gerade einmal 18 Spiele abgegeben hat, gibt es natürlich auch zwei Zeitzonen bei diesem Turnier - allerdings verläuft die Grenze bei dem Serben an einer anderen Stelle. Damit Djokovic die US Open als Erfolg bewerten wird, muss er auch in der dritten Woche noch dabei sein - das Finale der Männer wird am kommenden Montag ausgetragen.

© SZ vom 01.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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