Olympia:Abfahrt der Knatschgesichter

Pyeongchang 2018 Winter Olympics

Lindsey Vonn war nicht happy diesmal - bei ihr gab's Tränen.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)
  • Das Abfahrtsrennen der Frauen wird bei Olympia zur großen Show von Sofia Goggia.
  • Die Italienerin gewinnt vor einer Norwegerin und Lindsey Vonn.
  • Die Deutsche Vicky Rebensburg verabschiedet sich mit einer unglücklichen Vorstellung von den Olympischen Spielen.

Von Jonas Beckenkamp

Als sie im Ziel war und dieses komplizierte Rennen einordnen sollte, machte Viktoria Rebensburg dieses für sie typische Gesicht: Sie sah ein wenig knatschig aus, unzufrieden, irgendwie war es nicht so gelaufen, wie sie wollte. Dass es vermutlich ihre letzten Olympischen Spiele waren, dass sie also keine weitere Chance bekommen wird auf eine erneute Medaille, das spielte sicher eine große Rolle. In diesem Moment kann eine so ehrgeizige Sportlerin wie sie nicht fröhlich sein. Platz neun und das mit 1,42 Sekunden Rückstand auf die Siegerin, das hätte sich Rebensburg anders gewünscht.

Und so musste sie zuschauen, wie Sofia Goggia, die unschlagbare Italienerin, ihren Olympiasieg feierte. Und wie Lindsey Vonn ihre Enttäuschung ebenfalls nur schwer kaschieren konnte. Die Amerikanerin war mit noch größeren Hoffnungen nach Pyeongchang gereist, Gold sollte es sein, die Bestätigung ihrer Dominanz der vergangenen Jahre. Doch es wurde nur Bronze. Vonn schwankte zwischen Tränen und dem Gefühl des "immerhin Platz drei" - Rebensburg war schlicht enttäuscht. Fast eine ganze Sekunde fehlte ihr auf Vonn, die ihrerseits beinahe eine halbe Sekunde hinter Goggia landete. Damit verpasste die Amerikanerin ihr zweites Abfahrtsgold nach 2010 und damit ihren großen Auftritt bei diesen Spielen.

Sofia Goggia also, die 25 Jahre alte Taktikkönigin aus Bergamo, sie freute sich im Zielbereich, herzte alles und jeden. Kein Wunder nach diesem schlau umgesetzten Lauf auf der Olympiastrecke in Jeongseon, der mit seinen lang geschwungenen Kurven einer Gleiterin wie ihr entgegen kam. Goggia setzte sich letztlich knapp vor der Überraschungszweiten Ragnhild Mowinckel aus Norwegen durch und bejubelte hinterher ein Novum. "Ich bin natürlich stolz, dass ich die erste italienische Abfahrts-Olympiasiegerin bin", sagte die erste Italienerin mit Olympiagold seit Daniela Ceccarellis Sensationsfahrt 2002 im Super-G. Wie knapp es letztlich war, sei ihr durchaus bewusst gewesen: "Als Mowinckel gefahren ist, habe ich mir nur gedacht: Bitte, Jesus, lass mir die Goldmedaille." Die blieb ihr - so wie den Deutschen die hinteren Plätze blieben.

Immerhin Kira Weidle zeigte eine ordentliche Leistung, sie fuhr ruhig und sicher, das große Risiko wollte sie nicht gehen, dafür konnte sie als Elfte zufrieden sein. Doch am Ende zählt eben auch das Gesamtergebnis, und das liest sich nun sehr mäßig: Das deutsche Alpin-Team hat in Südkorea weiter kein Edelmetall im Reisegepäck. Rebensburg hatte in ihrer Lieblingsdisziplin Riesenslalom als Vierte und im Super-G auf Rang zehn schon keine besonderen Glücksgefühle erlebt - und nun reifte bei ihr das Gefühl, dass es das schon gewesen sein könnte mit olympischen Erfolgen.

In Südkorea hatte die 28-jährige Riesenslalom-Olympiasiegerin von 2010 angekündigt, dass sie bei den Winterspielen in Peking 2022 nicht mehr an den Start gehen will. "Das hat sich nicht verändert", sagte Rebensburg nach dem Rennen im ZDF. "Man soll niemals nie sagen. Aber so, wie jetzt aktuell mein Gefühl ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich in vier Jahren noch aktiv Ski fahre." Ihr Gesicht verriet dabei: Die ganze Quälerei, das Training, die Konzentration - all das will sie nicht noch einmal aufbringen müssen, um dann mit möglicherweise 32 erneut hinterher zu fahren.

Feine Unterschiede bei Siegerin Goggia

Der Skisport kann brutal sein, wer am Fernseher zuschaut, erkennt kaum die feinen Unterschiede, die zwischen Platz eins und Platz neun entscheiden. Aber an diesem sonnigen Tag stach Goggias Fahrt heraus. Sie legte mit Startnummer 5 die Bestzeit vor - weil sie die Piste als Gleitzone verstand. Die Skier laufen lassen, den Kurs eng fahren. Wie auf Schienen bretterte die zweifache Weltcupsiegerin dieses Jahres den Hang hinunter, während ihre Konkurrentinnen nach ihr allesamt kleine Wackler zeigten.

So auch Vonn, deren Rückstand im Laufe ihrer Fahrt immer größer wurde, weil sie jenes kleine bisschen Zurückhaltung nie ganz ablegen konnte. Die volle Attacke blieb aus, im Ziel warf die 33-Jährige den Kopf in den Nacken, zog die Schultern hoch und zeigte mit dem Finger auf Goggia, die in der Box der Führenden stand und grinste. Anschließend umarmten sich die beiden großen Kontrahentinnen dieses Winters, die mehrfach ihren Respekt füreinander geäußert hatten. Lang und innig, zumindest das bekam die enttäuschte Vonn noch hin. "Es ist schwierig! Ich habe viele Emotionen. Ich bin aber sehr stolz, was ich geleistet habe. Die letzten acht Jahre waren nicht einfach für mich", sagte sie und betonte: "Ich habe alles gegeben - man kann nicht mehr als 100 Prozent geben."

Unerwartet schob sich schließlich noch Mowinckel zwischen die beiden Topfavoritinnen, die Norwegerin raste Richtung Ziellinie und holte wie im Riesenslalom Silber. Kurzzeitig schrien die Zuschauer sogar noch einmal auf, denn: Mowinckel lag am Ende nur 0.09 Sekunden hinter Goggia.

Lindsey Vonn rutschte damit auf den Bronzerang, auch das dürfte dazu beigetragen haben, dass sie immer wieder schluchzen musste. Nur Bronze, das ist bei ihren Ansprüchen ein Grund für solche Gefühlsäußerungen. Das Drama begleitet bekanntlich ihre lange Karriere wie die treusten Skiwachser. Damit bleibt es für Vonn bei diesen Erfolgen - es sind ja doch ein paar: Neben Abfahrts-Bronze jetzt in Pyeongchang, steht bei ihr ein Olympiasieg und Super-G-Bronze vor acht Jahren in Vancouver in den Büchern.

Insgesamt war die Schussfahrt in Südkorea das 13. Rennen in Vonns olympischer Karriere, die neben zwei Höhepunkten auch Rückschläge prägen. 2014 in Sotschi musste sie verletzt verzichten, beim Super-G in Pyeongchang am Samstag verschenkte sie Edelmetall und womöglich Gold durch einen schweren Fehler kurz vor Schluss.

Dass auch sie bald keine Lust mehr aufs Skifahren verspürt, dass sie ihren geschundenen Körper nicht mehr pushen möchte, das ist dagegen nicht zu erwarten. Sie will vor ihrer Ski-Rente unbedingt noch Ingemar Stenmarks Siegrekord im Weltcup brechen. Zu den 86 Erfolgen des Schweden fehlen Vonn nur noch fünf. Sollte sie das schaffen, wird man sie wieder mit Strahlegesicht sehen. Doch an diesem Tag, dem Tag der Tränen und der Knatschigkeit in Jeongseon, wirkte ihr kurzes Lächeln eher aufgesetzt.

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