Österreich nach dem 2:6-Debakel:"Wenn a Trainer nix gwinnt, wird er entlassen"

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Nach der schlimmen Pleite gegen die Deutschen steht Österreichs Coach Dietmar Constantini vor dem Aus. In der krisenerprobten Alpenregion glauben sie längst nicht mehr an das Konzept des mürrischen Tirolers - dabei scheint das Hauptproblem gar nicht der Trainer zu sein.

Thomas Hummel, Gelsenkirchen

Es lief die erste Halbzeit in Gelsenkirchen, es stand 0:3. Ein Debakel mythischen Ausmaßes kündigte sich für Österreichs Fußballer an, wieder gab es eine Ecke für die erbarmungslosen Deutschen. Da lief Marko Arnautovic an die Seitenlinie und ließ sich eine Trinkflasche geben. Arnautovic trank, Schluck um Schluck, Toni Kroos legte sich inzwischen den Ball zurecht, lief an. Arnautovic trank immer noch. Wie viel doch in so eine Flasche passt! Der große, starke Fußballer mit den vielen Tätowierungen sog gewaltig an dieser Flasche. Der Ball segelte in den Strafraum, ein Kopfballduell, ein Getümmel.

ÖFB-Coach Dietmar Constantini könnte seinen Job bald los sein - nach dem 2:6 in Gelsenkirchen wirkte er ratlos.  (Foto: REUTERS)

Arnautovic ließ langsam von der armen Trinkflasche ab, warf sie einem Betreuer zu und trabte an der Mittellinie langsamst wieder ins Spielfeld hinein. So, als hätte er einen gewaltigen Wasserbauch mitzuschleppen. Einem Mitspieler gelang es, das 0:4 per Befreiungsschlag zu verhindern, die panischen Österreicher wären nun froh gewesen, hätte ein Marco Arnautovic an der Mittellinie um den Ball gekämpft, ihnen ein wenig Zeit verschafft. Doch der mitunter etwas komplizierte Bremer Profi trabte mit seinem Wasserbauch noch immer am Rande des Spielfelds, Philipp Lahm hatte den Ball schon gestoppt und sogleich den nächsten deutschen Angriff eingeleitet.

Das Schöne ist, dass Österreicher bisweilen recht direkt miteinander umgehen. Der Journalist Christian Russegger fragte den Nationaltrainer Dietmar Constantini später, wie er Arnautovics Leistung bewerte. "I waaß, du mogst'n eh ned", antwortete Constantini in feinster Tiroler Mundart und strafte den Fragensteller mit jener Art von Blick, der die Missachtung aller Kritiker ausdrückt. Bis vor kurzem mochte auch Constantini den schwierigen Charakter Arnautovic nicht, nach einer Keilerei in der Kabine mit einem Mitspieler hatte er ihn nicht mehr nominiert und erst zu diesem Spiel in Schalke zurückgeholt. Jetzt urteilte er: "Er hod a Tor gmacht, aber er kannt sich no mehr bewegn."

Es war das einzige Mal, als auch die Österreicher an diesem schlimmen Freitagabend lachen mussten. Sie hatten ja mit einer Niederlage gegen die Deutschen gerechnet. Aber 2:6? Wäre es ganz dumm gelaufen - nicht auszudenken. Selbst für die leiderprobten Österreicher war das zu viel.

"DFB-Elf versenkt Österreich" titelte die Kleine Zeitung aus Graz auf ihrer Internetseite, Wienerzeitung.at spricht vom "Abend der Hydranten" und meinte die eigenen Abwehrspieler. Der Standard stellte fest: "Deutschland watscht Österreich ab" und packte das nun allseits Erwartete in eine Online-Umfrage: "Soll Constantini als Trainer abgelöst werden?" Die Antwortmöglichkeit eins, "Ja. Mit den aktuellen Spielern wäre viel mehr drin. Der Trainer soll auf jeden Fall gehen.", klickten konstant mehr als 70 Prozent an.

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Außer den Verteidigern haben die meisten deutschen Spieler gegen Österreich ihren Spaß - Miroslav Klose macht sich allerdings des Torraubes schuldig, Mesut Özil begeht einen Anfängerfehler und Bastian Schweinsteiger betätigt sich als Zwischen-Zwischenspieler zwischen dem Zwischenspieler. Die deutsche Nationalmannschaft in der Einzelkritik.

Boris Herrmann und Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Dietmar Constantini weiß, was auf ihn zukommt. Der selbstbewusste Innsbrucker versuchte zwar, am Freitagabend noch von sich abzulenken. Er verwies darauf, dass seine Spieler seine Anweisungen nicht umgesetzt hätten. Statt kompakt zu verteidigen, hätten "ein, zwei Spieler zu viel gewollt und vorne am Strafraum attackiert", erklärte der 56-Jährige. Dadurch schenkte seine Elf dem Gegner im Mittelfeld große Räume zur Entfaltung. "Da stehst du dann heraußen und schreist und mich wundert, dass ich noch eine Stimme hab'."

Hängende Köpfe: Marko Arnautovic (re.) traf zwar zum 1:3, doch auch er konnte die Pleite der Österreicher nicht verhindern.  (Foto: Bongarts/Getty Images)

Zudem zog Constantini das unabänderliche Schicksal heran: "Jeder hat gesehen, dass es einen Riesen-Unterschied zwischen Deutschland und Österreich gibt." Darauf sind die Österreicher in der Regel stolz. Nur im Fußball würden die Österreicher lieber etwas deutscher sein. Doch im Vergleich zum sehr ansehnlichen 1:2 in Wien im Juni hechelten die Spieler in Gelsenkirchen so wenig Müller-Özil-Schweinsteiger-haft über den Rasen, dass der brummige Happel-Wiedergänger Constantini weiß, was ihn erwartet: "Wenn a Trainer nix gwinnt, wird er entlassen." Der Trainer Constantini hat zuletzt in acht Spielen sieben Mal nix gewonnen - er hat gar sieben Mal verloren.

Sein Verbandspräsident Leo Windtner hatte die Entlassung des Tiroler Querkopfs schon im August vorweggenommen. Im Standard sagte er damals: "Wenn die Entwicklung im zweiten Länderspiel-Halbjahr auch resultatsmäßig klar nach oben zeigt, dann wird es wahrscheinlich wenig Diskussionen geben. Wenn die Entwicklung nach unten geht, dann wird's auch keine Diskussionen geben."

Resultatsmäßig gab es in Schalke keine Diskussionen. Einen Rücktritt lehnte Constantini in Gelsenkirchen ab, er wolle seinen Vertrag bis 31. Dezember erfüllen. Doch er ahnt, dass es nach dem Spiel am Dienstag gegen die Türkei in Wien "wohl ein Gespräch geben wird".

Paradoxerweise hat seine Mannschaft immer noch eine kleine Chance auf den zweiten Platz in der Qualifikationsgruppe A zur Europameisterschaft 2012. Dazu müsste sie die Türkei mit mindestens zwei Toren Unterschied schlagen und auch in Kasachstan und Aserbaidschan gewinnen, während Türken und Belgier ihre Spiele gegen Deutschland verlieren - nicht unbedingt eine Aussicht aus dem Reich der Fabel. Doch wer will diesen Österreichern schon drei Erfolge in Serie zutrauen? In Österreich jedenfalls niemand mehr. Und so stehen die Nachfolger für Constantini bereit.

U21-Nationaltrainer Andreas Herzog würde wohl sofort zusagen. Christoph Daum soll im Gespräch sein. Doch Windtner nannte zuletzt die Namen der ehemaligen Nationalspieler Peter Schöttel (Trainer und Sportdirektor bei Rapid Wien) und Walter Kogler (Trainer bei Wacker Innsbruck), auch der Grazer Meistertrainer Franco Foda soll ein Kandidat sein. Mit Foda, dem Pfälzer, wäre immerhin die Hoffnung verbunden, dass sie in der Alpenregion fußballerisch ein wenig deutscher würden.

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