DFB gegen England:Gerechtigkeit für Mario Gomez

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Mario Gomez hatte eigentlich zwei Tore erzielt - doch nur eines zählte. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Der "Chancentod" sei sein "Stempel", klagte Mario Gomez früher. Nun zeigt der Stürmer, dass er sein Image beim DFB korrigieren kann.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es gibt kein Phänomen im Fußball, das man nicht über den verstorbenen Johan Cruyff erklären könnte. Das gilt sogar für Mario Gomez, den spanisch-stämmigen Stürmer der deutschen Nationalmannschaft, der gerade in der Türkei bei Besiktas Istanbul spielt und die Torjägerliste der Süper-Lig anführt. Phänotypisch erinnert Gomez ein bisschen an einen Spieler, den Cruyff gleichermaßen schätzte und verdammte: Julio Salinas, den Cruyff von 1988 bis 1994 beim FC Barcelona trainierte.

Er schätzte ihn, weil er "aus allen Lagen treffen" konnte. Und er verfluchte ihn mitunter, weil er auch "aus allen Lagen verschießen" konnte. Ein ähnlicher Ruf verfolgt Gomez, 30, seit der EM 2008, als er in Österreich das Tor aus einem Meter Entfernung verfehlte. Seither, klagte er einmal, sei "Chancentod mein Stempel", die kollektive Vorstellungswelt ist manchmal unerbittlich.

Beim 2:3 gegen England in Berlin deutete der frühere Bundesligaprofi (VfB Stuttgart, FC Bayern München) aber mehr als nur an, dass er vielleicht doch noch in der Lage sein wird, seinen Leumund zu korrigieren. Er meldete sich zurück. In der 57. Minute beendete er eine 1382 Tage währende Durststrecke im Nationalmannschafts-Trikot. Im Vorrundenspiel der EM 2012 hatte er einen Doppelschlag gegen die Niederländer gelandet, seine DFB-Tore 24 und 25 erzielt. Am Samstagabend traf er per Kopf, nach einem Lupfer von Kapitän Sami Khedira, mit dem er schon 2007 beim VfB Stuttgart bestens harmonierte: 2:0, Gomez-Treffer 26!

Ein Tor, das für ein bisschen Gerechtigkeit sorgt

Bei diesem Tor tat Gomez genau das, was er schon den ganzen Abend aufgeführt hatte: Er forschte die reichlich vorhandenen Räume aus, die die Mitglieder einer porösen englischen Viererkette ihm ließen. Er stahl sich auf der linken Angriffsseite im Rücken von Innenverteidiger Gary Cahill davon - und war auch vom herbeieilenden Rechtsverteidiger Nathaniel Clyne nicht mehr zu stoppen. Gomez schraubte sich in die Höhe und setzte den Ball genau an den rechten Pfosten, unerreichbar für den kurz vor der Halbzeitpause eingewechselten Torhüter Fraser Forster.

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Das Tor sorgte insofern für eine Art von Gerechtigkeit, als Gomez in der 27. Minute ein regulärer Treffer verweigert worden war. Schiedsrichter Gianluca Rocchi annullierte den Treffer. "No!", war auf den Lippen von Gomez zu lesen. Und in der Tat: Er hatte Recht, Englands Kapitän Cahill stand auf gleicher Höhe. Draußen an der Seitenlinie drehte sich Bundestrainer Joachim Löw mit geballter Faust weg. Und das ließ sich leicht interpretieren als eine Geste, die ausdrückte, wie sehr er Gomez einen Treffer gegönnt hätte.

Der hätte das bewiesen, was Löw ihm im Vorfeld der Partie bescheinigt hatte: neues Selbstvertrauen, das er in der Türkei getankt hat. Er hat nicht umsonst in 26 Ligaspielen für Besiktas 19 Tore erzielt: "Das merkt man auch in den Trainingseinheiten, seinen Bewegungen, an seiner Ausstrahlung und seiner Körpersprache", hatte Löw gesagt.

Wie sehr der Bundestrainer mit seiner Beobachtung Recht hatte, war bei dem annullierten Treffer fast noch beser zu beobachten als bei dem Tor, das später zählen sollte. Denn auch in der 27. Minute hatte sich Gomez diskret und instinktsicher in den Rücken der Abwehr gestohlen, um den Ball flach am zweiten Pfosten zu platzieren - außerhalb der Reichweite des später verletzt ausgewechselten Keepers Jack Butland.

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"Ich habe wieder die Power, zu gehen", sagte Gomez nach der Partie im ZDF. Dort erklärte er auch, dass er eine gewisse Läuterung erfahren habe. Es gehe ihm jetzt, da er 30 ist, nicht mehr allein darum, Tore zu erzielen: "Ich sehe meine Rolle mehr darin, der Mannschaft mit allem zu helfen".

Löw lobt Gomez, das Publikum applaudiert

Tatsächlich betrieb Gomez am Samstag erheblichen Aufwand - sei es, um seinen Mitspielern Räume zu verschaffen, indem er die Verteidiger auf sich zog. Sei es, um selbst den Abschluss zu suchen. In der 13. Minute sorgte er nach einer Flanke von Emre Can per Kopf für Gefahr; unmittelbar danach trat er allerdings nach einem Zuspiel von rechts von Spielmacher Mesut Özil am Ball vorbei.

Das freilich war längst vergessen, als er in der 79. Minute gegen Mario Götze ausgewechselt wurde. Er heimste Anerkennung ein, von Bundestrainer Löw, von den Spielern auf der Bank, vor allem aber von den Zuschauern im Olympiastadion, die ihn mit Applaus verabschiedeten. Das war nicht immer so, und auch deshalb wirkte es ein klein wenig wie eine Versöhnung, die ihn einer Berufung zur EM in Frankreich näherbringen dürfte. Denn so viele Stürmer vom Stile eines Mario Gomez hat Löw nicht im Sortiment.

© SZ vom 27.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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