Miralem Pjanic beim AS Rom:Pflaumenweiche Pässe vom neuen Totti

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Turbulentes Hinspiel: Roms Pjanic nach dem dritten Treffer der Italiener beim 4:4 gegen Leverkusen vor zwei Wochen. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Vor dem Champions-League-Rückspiel gegen Bayer Leverkusen vollzieht sich beim AS Rom ein Generationenwechsel.
  • Langsam aber sicher wird das Zeitalter nach dem Idol und nun schon lange verletzten Francesco Totti eingeläutet.
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Von Birgit Schönau

Wenn ein Papst stirbt, wählt man den nächsten, heißt es in Rom. Was bedeuten soll, dass ohne großes Federlesen jeder ersetzbar ist, sogar ein Pontifex Maximus. Im Fußball ist das naturgemäß viel schwieriger, besonders in Rom, handelt es sich dort doch um eine Art der Religion, deren Anhänger sehr viel fanatischer, ja fundamentalistischer sind als die der Sacra Chiesa Romana.

Francesco Totti, der Maestro des AS Rom, ist verletzt, seit Wochen schon. Langsam, aber unaufhaltsam nähert er sich dem Ende seines Rasen-Pontifikats, was aber - Gott bewahre! - noch niemand wahrhaben will. Leise und ohne Paukenschläge hat die Roma nun das Jahr eins nach Totti (1 n.T.) eingeläutet, das neue Zeitalter nach dem ewigen Kapitän, der seit 23 Jahren das unangefochtene Idol seiner Heimatstadt ist, bewundert und verehrt wie ein Volkstribun.

Jüngst hatten die Städtischen Verkehrsbetriebe Totti sogar zum 39. Geburtstag im September eine Fahrschein-Sonderedition gewidmet - diese Ehre war zuvor nur Papst Franziskus zuteil geworden.

Das Unaussprechliche wagen sie ihn Rom nicht zu sagen

Totti bestimmte bislang, ob ein Trainer kam und erst recht, ob er blieb. Nicht, weil er als einziger Spieler Anteile am Klub besitzt. Sondern, weil an seinen Auftritten die ganze Stadt hing. Politiker aller Couleur mussten um seine Gunst buhlen, wenn sie bei den Wählern punkten wollten, und natürlich ist Totti eine Werbe-Ikone. Sein Hemd mit der "10" wird bis heute häufiger verkauft als alle anderen Trikotnummern zusammen. Aber die "15" holt auf. Der neue Pirlo, loben sie in Rom, weil sie das Unaussprechliche nicht sagen wollen: der neue Totti.

Tatsächlich drechselt Miralem Pjanic Freistöße, die an den nach New York verzogenen Juve-Künstler Andrea Pirlo erinnern. Auch ins Tor von Bayer Leverkusen wie beim atemberaubend verrückten 4:4 vor zwei Wochen. Eine Neuauflage dieser Vorstellung mit fantastisch irrlichternden Abwehrreihen soll an diesem Champions-League-Mittwoch in Rom tunlichst vermieden werden.

Und doch soll Tottis Erbe zaubern, soll pflaumenweiche Pässe spielen und Samtflanken setzen. So kunstvoll, wie nur er das kann. Pianist nennen sie ihn, kleiner Prinz und Giotto, nach jenem Maler, der zwischen Mittelalter und Renaissance eine neue Epoche in der Kunstgeschichte einleitete. Einen solchen Spitznamen muss man sich erst mal verdienen.

An guten Tagen malt Pjanic, 25, in leuchtenden Farben, an seinen schlechten spielt die Roma grau in grau. Am Samstag war so ein schlechter Tag, die Römer verloren gegen Inter Mailand und purzelten von der Tabellenspitze. Giotto kassierte die gelb-rote Karte, vor lauter Nervosität hatte er den Schiedsrichter zuerst mit Protestgeheul genervt und war dann beim Handspiel ertappt worden.

In der neuen Ära soll Florenzi das Herz der Roma sein und Pjanic der Kopf

Prompt war die Klubleitung sehr verschnupft, sogar Trainer Rudi Garcia, der seinen Regisseur über die Maßen schätzt. Weil Pjanic das Derby gegen Lazio am Sonntag von der Tribüne sehen muss, wird er gegen Leverkusen alles geben. Wenn nur die Nerven mitmachen.

Pjanic ist Bosnier, er besitzt aber auch die luxemburgische Staatsangehörigkeit und spielte in der Jugend-Nationalelf des Großherzogtums, bevor er sich für die alte Heimat entschied. Er spricht neben seiner Muttersprache noch Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch, das aber mit allergrößter Zurückhaltung. Die Sätze kommen wie die Pässe, fein herausgemeißelt in gesuchter Perfektion, nie zufällig oder spontan. Ein Idol kann so einer in Rom kaum werden.

Pjanic hat weder die typisch römische Wurstigkeit von Kapitän Totti noch dessen verschmitzte Selbstironie. Er ist keiner, den das Publikum vor lauter Liebe erdrücken würde - dieses Risiko besteht eher für den Irrwisch Alessandro Florenzi, neben Totti und dessen ewigem Vikar Daniele De Rossi der dritte Römer im Team. In der neuen Ära soll Florenzi das Herz der Roma sein und Pjanic der Kopf. Das Problem von Trainer Garcia ist allerdings, dass sein Team derzeit noch zu wenig Rückgrat zeigt.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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