Manchester United:Van Gaal: "Ich bin nicht Gott"

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Mit Sorgen gegen Wolfsburg: Manchester United ist mit Trainer van Gaal (rechts) und Zugang Bastian Schweinsteiger unter Druck. (Foto: Carl Recine/Reuters)
  • Fader Fußball, van Gaal mit angekratztem Selbstverständnis - und Bastian Schweinsteiger ohne Zielstrebigkeit: ManUnited droht in Wolfsburg das Champions-League-Aus.

Von Raphael Honigstein, London

Eine englische Fußballweisheit besagt, dass es für einen Trainer immer dann besonders gefährlich wird, wenn ihm sein Verein öffentlich das Vertrauen ausspricht. The Dreaded Vote of Confidence, "das gefürchtete Treuebekenntnis", heißt der Fachbegriff für diese Verzweiflungsmaßnahme, von der es in der Regel nicht mehr weit ist bis zum Rauswurf.

Ganz so brenzlig ist die Lage für Louis van Gaal bei Manchester United noch nicht. Doch der Niederländer dürfte vor dem entscheidenden Spiel in der Champions-League-Gruppe beim VfL Wolfsburg - wo nur ein Auswärtssieg das Weiterkommen garantiert - mit einiger Sorge notiert haben, mit welcher Ausdrücklichkeit sich der Klub in den vergangenen Tagen zumindest inoffiziell hinter ihn gestellt hat.

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Man sei so glücklich mit dem 64-Jährigen, dass es nicht das geringste Interesse gebe, ihn durch den vom FC Bayern eventuell scheidenden Pep Guardiola zu ersetzen, verbreitete der Vorstand; knapp 280 Millionen Euro stünden für van Gaal für die nächste Einkaufstour im Sommer parat. Er sei "ein genialer Trainer", sagte ein Verantwortlicher dem Observer.

Schweinsteiger droht eine Sperre

Van Gaal sieht das vermutlich genauso, aber Fans und neutrale Berichterstatter konnten zuletzt höchstens Spurenelemente von Genie und Einfallsreichtum in den Vorführungen des Tabellenvierten der Premier League erkennen. Das 0:0 gegen West Ham United, bereits das fünfte tor- lose Unentschieden in den vergangenen neun Wochen, bot am Samstag eine neuerliche Serie an Unzulänglichkeiten im Angriffsspiel, wenn auch mit ein paar mehr Torchancen als in den Partien zuvor. "Viele Spieler haben heute Chancen verpasst, wir sollten keine große Sache daraus machen", plädierte van Gaal für Nachsicht, er wähnt die "Red Devils" 18 Monate nach seinem Amtsantritt weiter auf dem richtigen Weg.

Der von ihm eingeleitete und viel beschworene "Prozess" hat dank extrem hoher Ballbesitzwerte tatsächlich die Abwehr stabilisiert - zehn Gegentore weisen United als defensivstärkstes Team in England aus. Aber zugleich wurde in den vorderen Gefilden Dynamik gebremst.

Van Gaals Positionsspiel ist ob seines immer gleichen Schemas und verzagten Tempos für die Gegner leicht zu durchschauen und aktuell ebenso einfach zu unterbinden, da es rund um den Strafraum an individueller Qualität für die Eins-gegen-eins-Duelle mangelt. Kapitän Wayne Rooney ist komplett außer Form und darüberhinaus verletzt.

Dem 50-Millionen-Mann Anthony Martial fehlt mit 20 Jahren noch ein wenig die Erfahrung in der zentralen Angriffsrolle; Flügelstürmer Memphis Depay, der vor seiner Verpflichtung vom PSV Eindhoven auch vom FC Bayern intensiv gescoutet worden war, bekommt keine Konstanz in seine Leistungen. Der 21-Jährige genieße fernab des Platzes ein bisschen zu sehr das Profi-Leben, munkelt man.

Michael Carrick und Bastian Schweinsteiger sind im defensiven United-Mittelfeld angehalten, nicht zu stark aufzurücken. Die Offensivabteilung bleibt so im Inneren des Spielfeldes auf sich allein gestellt. In seiner Not hat van Gaal seine Kurzpass-Philosophie zuletzt sehr häufig verraten und den langen Maroune Fellaini als Abnehmer für lange Bälle auf den Platz geschickt.

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Das Ergebnis dieser hemdsärmeligen Bemühungen trieb Nostalgikern die Tränen in die Augen. United, Dauermeister mit Wucht und Spielkultur unter Alex Ferguson, spiele nurmehr "langweiliges Zeug" das keinen Spaß mache, sagte der ehemalige Feinfuß der Roten, Paul Scholes: "Man hat das Gefühl, dass die Spieler in der Offensive Todesangst beschleicht."

Schweinsteiger sieht das anders. Nicht die Furcht, den strengen Zuchtmeister aus Amsterdam zu verstimmen, sei das Problem, so der Weltmeister, sondern "die richtige Mischung: Der erste Pass stimmt nicht, der letzte Pass stimmt nicht", so der einstige Münchner. Als Musterprofi und Strukturen-Geber funktioniert der 31-Jährige bereits gut, "er kann die Mannschaft führen und steuern", lobt van Gaal.

Man habe aber "noch nicht den Bastian Schweinsteiger vom FC Bayern gesehen", fügte der Trainer kritisch an. Der Deutsche könne "besser" spielen, findet van Gaal - soll heißen: zielstrebiger, entscheidender in den Aktionen nach vorne. Doch wenn Schweinsteiger Pech hat, muss er fürs Erste in der Liga pausieren: Ihm droht nach einem nicht geahndeten Ellbogenschlag gegen West Hams Winston Reid eine Sperre.

Eine Versetzung in die Europa League (durch Platz drei in der Champions-League-Gruppe) wäre für van Gaal peinlich, angeblich aber kein Kündigungsgrund; eher bemühe sich der Klub mit dem von sich überzeugten Trainer über 2017 hinaus zu verlängern, heißt es im Old Trafford - vielleicht auch nur zu Propagandazwecken.

Das Murren an der Basis wird jedenfalls mit jeder Nullnummer lauter, und Uniteds anhaltende Stumpfheit scheint mittler- weile sogar van Gaals Selbstverständnis ein wenig durcheinander gerüttelt zu haben: "Ich kann nicht vorhersagen, dass wir in Wolfsburg gewinnen, ich bin nicht Gott", teilte er vor dem Abflug nach Niedersachsen ziemlich überraschend mit.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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