1860-Verteidiger Vallori:Guillermo's Eleven

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Eigentlich hatte Guillermo Vallori den Profi-Fußball längst abgeschrieben und als Grundschullehrer Kinder in Spanisch, Mathe und Biologie unterrichtet. Doch der Abwehrspieler ist ein Mann für die Überraschungsmomente - zuletzt auch beim Unentschieden gegen Erzgebirge Aue.

Matthias Mederer

Da stand er. Die Arme stützten in den Hüften, der Kopf neigte sich leicht zur Seite, der Blick senkte sich zum Boden. Sein Gesichtsausdruck ließ fast auf körperliche Schmerzen schließen. Guillermo Vallori sieht kurz nach dem Zweitliga-Spiel gegen Erzgebirge Aue aus, als habe er zwei Tore verschuldet, noch ein Eigentor verursacht und sei zur Krönung des Spiels mit Rot des Platzes verwiesen worden. Mindestens.

Tatsächlich aber sollte der Abwehrspieler gerade etwas zu seinem Treffer zum 1:1-Ausgleich für den Zweitligisten 1860 München sagen und ob er sich denn über sein zweites Tor in dieser Saison und den einen Punkt freuen könne. Vallori hielt kurz inne, dann bestätigte er mit knappen Worten, was seine Körpersprache längst mit Inbrunst hinaus schrie: "Nein. Ich merke trotz des Tores keine Freude." Zumindest in dieser Situation überraschte Vallori niemanden mehr.

Dabei kennt der 30-jährige Spanier sich mit Überraschungen aus. Bei ihm gehören sie praktisch zum Repertoire. So wie bei Cristiano Ronaldo der Übersteiger. Mal schießt Vallori aus 70 Metern ein Tor, dann zeigt er ungeahnte technische Fertigkeiten bei einem Heber und wird mit seinem Treffer sogar in die Wahl zum Tor des Monats aufgenommen. Für Vallori sind Überraschungen normal. Er zeigt sie gerne und er erfährt sie gerne. Anders wäre seine Karriere auch gar nicht möglich gewesen.

Denn die war eigentlich beendet bevor sie begonnen hatte. Noch in der Jugend bei Real Mallorca trainierte Vallori teilweise mit den Profis des Erstligisten. Unter anderem mit Samuel Eto'o. Doch der Verein wollte Vallori nicht mehr und so kickte er mit Anfang 20 in der dritten spanischen Liga, studierte nebenbei und wurde Grundschullehrer. "Ich kann Kinder von sechs bis zwölf Jahren unterrichten. Spanisch, Mathe, Biologie", sagt er. Drei Monate hat er in der Praxis gearbeitet. "Das war unglaublich anstrengend. Fußballspielen ist nichts dagegen."

Und aus eben diesem Nichts kam 2007 dann das Angebot des Grasshopper Club Zürich. Mit 25 Jahren wurde Vallori doch noch Fußballprofi. Fünf Jahre kickte er in der Schweiz. Im Winter 2012 lud ihn dann der TSV 1860 München ein. Nach ein paar Wochen Probetraining wurde Vallori ein Löwe. Der 1,91 Meter große Innenverteidiger etablierte sich neben Necat Aygün.

TSV 1860 München in der Einzelkritik
:Buchhalter unter Narkose

Necat Aygün freut sich über sein "gutes Heilfleisch", bei Grigoris Makos flutscht es trotz geweihtem Öl aus Griechenland noch nicht, Daniel Halfar beißt sich die Zähne aus und Benny Lauth scheitert als Gärtner. Der TSV 1860 München beim 1:1 gegen Erzgebirge Aue in der Einzelkritik.

Matthias Mederer

Im Spiel gegen Erzgebirge Aue war die Zeit mal wieder reif für eine Überraschung. Dachte zumindest Vallori. Vergeblich hatte sich seine Mannschaft gegen einen zweikampfstarken und aggressiven Gast aus der unteren Tabellenregion bemüht, ein Tor zu erzielen. Vallori also nahm sich vor, kurz vor Ende des ersten Durchgangs, nochmal etwas zu versuchen. Er rückte bis zur Mittellinie auf, attackierte seinen Gegenspieler früh, nahm ihm den Ball ab und marschierte los.

Als er auf Widerstand traf, versuchte er einen Übersteiger - und überraschte damit vor allem sich selbst. Der Ball sprang schlicht zu weit weg, der Ausflug war beendet. Nach dem Spiel blieb Vallori nur ein nüchternes Fazit: "Die ersten zehn, fünfzehn Minuten waren gut. Da waren wir aktiv, hatten viel Präsenz", sagte Vallori, "aber dann haben wir zu viele Fehler bei den Kombinationen gemacht."

Insgesamt fehlten Vallori und seiner Mannschaft die oft zitierten Überraschungsmomente, um einen diszipliniert verteidigenden Gegner in defensive Verlegenheit zu bringen. Ein Fallrückzieher von Stürmer Benny Lauth und ein Kopfball von Moritz Stoppelkamp an die Latte, das war es aber auch schon. Vallori ärgerte sichtlich stärker, als den ein oder anderen Kollegen. Selbst sein Trainer Reiner Maurer sprach lediglich von einem "etwas enttäuschenden Ergebnis", während Vallori noch immer aussah, als ob er auf dem Weg zu einer Beerdigung sei.

"Die ganze Mannschaft war nicht gut. Das Ergebnis reicht uns nicht." Da tröstete Vallori selbst der eine Punkt nicht. Dass er das Tor gemacht hatte, interessierte ihn schon gar nicht. Vallori will in die erste Liga, doch da Braunschweig, Berlin und Kaiserslautern voll punkteten verlor der TSV 1860 München am vergangenen Spieltag zwei Zähler auf die Konkurrenten. Wiedergutmachung steht an und Vallori und seine Kollegen sehen ihre Chance bereits an diesem Wochenende. Am Freitag geht es für die Löwen nach Cottbus, das einen Punkt vor den Münchnern rangiert und Hertha BSC Berlin spielt gegen den Tabellenführer Braunschweig, womit nicht beide Konkurrenten voll punkten können.

Im Sommer verlängerte der Verein den Vertrag mit Vallori vorzeitig bis 2015. Schon vor dem Spiel gegen Aue sagte der 30-Jährige: "Wir haben unser zehntes Finalspiel." Gegen Cottbus folgt jetzt das Elfte. Der Spanier weiß, dass seine Karriere endlich ist. Er weiß aber auch, was im Fußball alles möglich ist. Und mit Überraschungen kennt er sich bekanntlich aus.

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