Leichtathletik-WM:Ich? Weltmeister?

Lesezeit: 2 min

Karsten Warholm kann seinen Sieg nicht fassen. (Foto: dpa)
  • Karsten Warholm aus Norwegen gewinnt das überraschendste Gold des Tages bei der Leichtathletik-WM.
  • Nach dem Zieleinlauf über 400 Meter Hürden schaut er völlig entsetzt in die Kameras. Er kann nicht glauben, dass er Weltmeister ist.
  • Möglicherweise hatte er als Norweger einen Vorteil durch den Londoner Dauerregen.

Von Saskia Aleythe, London

Stundenlang hatte sich der Regen ergossen über dem Londoner Olympiastadion, es war der kälteste Tag bei der Leichtathletik-WM, dieser Mittwochabend hatte gerademal 15 Grad. Die Kugelstoßerinnen schlüpften zwischen ihren Versuchen in üppige Daunenjacken, es war kein Wetter für Leichtathletik, den Sommersport. Was fast alle so sahen, außer halt Karsten Warholm. "Für mich war das wie ein guter norwegischer Sommertag", sagte der 21-Jährige. Als er um 21.34 Uhr sein Finale über 400 Meter Hürden lief, waren es in seiner Heimatstadt Ulsteinvik elf Grad.

Norweger holen in der Regel Medaillen im Biathlon, Skispringen oder Langlauf, im Handball vielleicht oder beim Schach. In der Leichtathletik-Historie sind es 14, eine davon kommt nun von Warholm. Er spurtete an diesem Abend in London mit 48,35 Sekunden zu Gold und sorgte dann für Bilder, die von dieser WM in Erinnerung bleiben werden. Absolut ungläubig schaute er auf die Anzeigetafel, riss Augen und Mund weit auf, die Hände halb im Gebiss. Dann schaute er seine Konkurrenten an, als würde er von ihnen die Bestätigung suchen. Ich? Weltmeister? Als er am Stadionmikrofon wieder zur Sprache fand, schrie er hinein wie bei einem Popkonzert. "Thank you, London!", rief Warholm, lange Pause, "ich kann es wirklich gar nicht glauben".

Leichtathletik-WM
:Makwala feiert Halbfinaleinzug mit sieben Liegestützen

Beim regulären Vorlauf über 200 Meter durfte der Sprinter aus Botswana wegen Magen-Darm-Problemen nicht antreten. Allein lief er nun in die nächste Runde - und reagierte mit Wut und Spott.

Für den Rest des Abends konnte man den jungen Norweger dann ganz gut von den anderen Athleten unterscheiden. "Sie erkennen ihn vielleicht, er ist der mit dem Helm", kommentierte die Moderatorin der Pressekonferenz seine Anwesenheit, er hatte sich schon für seine Stadionrunde einen Wikingerhelm aus dem Publikum geschnappt, aufgesetzt und dann nicht mehr abgelegt. "Ich hoffe, die Menschen in Norwegen sind heute so glücklich wie ich", sagte Warholm, eingehüllt in die norwegische Flagge. 2009 hatte es zuletzt WM-Gold für das Land gegeben, 1987 das letzte in einer Laufdisziplin. Und im 400-Meter-Hürden-Sprint, da ist es ohnehin eine Premiere.

"Die Zeiten waren nicht so gut, wahrscheinlich wegen des Regens", sagte Warholm, es habe sich für ihn angefühlt, als sei er im Vorteil gewesen wegen der nordischen Kälte. Dann kam der Zweitplatzierte Yasmani Copello aus der Türkei zu Wort, "für mich war es ein bisschen schwierig, ich komme aus einem warmen Land", sagte Copello und lachte, "ich bin nicht an solche Temperaturen gewöhnt". Woraufhin der Sieger Warholm auch gleich eine Einladung aussprach: "Du kannst nach Norwegen ins Trainingslager kommen."

Aus der Sache mit dem Wetter machten sie sich an diesem Abend einen Spaß, aber dass Karsten Warholm ein Guter ist, weiß die Szene längst. 2013 gewann er bei der Junioren-WM Gold im Achtkampf, mit dem sich Nachwuchstalente auf den späteren Zehnkampf vorbereiten. Kaum vier Wochen ist es her, dass er bei der U23-WM mit zwei Medaillen nach Hause ging, Gold über 400 Meter Hürden und Silber über die gleiche Distanz im Sprint. "Er ist ein Talent und hat das heute gezeigt", sagte dann auch Olympiasieger Kerron Clement, 31, aus den USA, der in London nun Bronze gewann. Für ihn war die Kälte im Finale nach eigener Aussage kein Problem, er hatte sich gesagt: "Red dir ein, dass es Sommer ist."

Erst vor einem Jahr hatte Warholm den Mehrkampf aufgegeben, um sich auf die Hürden zu spezialisieren. Offensichtlich keine schlechte Entscheidung. In der Weltjahresbestenliste liegt er auf Rang sechs, von denen, die in London im Finale standen, waren nur Copello und Clement in den vergangenen Monaten schon mal schneller unterwegs gewesen. "Mein ganzer Dank geht an meinen Trainer", sagte Warholm noch, er nennt ihn "Doktor Sprint". Als Warholm gefragt wurde, ob er wegen der nassen Strecke eine andere Rennstrategie erwogen habe, sagte er noch einen schönen Satz unter seinem Wikingerhelm. "Ich bin jung, ich bin dumm, ich bin einfach schnell gelaufen", meinte Warholm, "das hat funktioniert."

© Sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Stabhochsprung
:Die Tränen des Renaud Lavillenie

Der Stabhochsprung-Weltrekordler wurde bei Olympia in Rio als Zweiter ausgepfiffen. In London bei der WM gewinnt er Bronze und wird gefeiert. Das rührt den Franzosen.

Von Saskia Aleythe

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: