Stabhochsprung:Die Tränen des Renaud Lavillenie

Stabhochsprung: Renaud Lavillenie umarmt Sam Kendricks nach dem Wettkampf.

Renaud Lavillenie umarmt Sam Kendricks nach dem Wettkampf.

(Foto: AFP)
  • Weltrekordler Renauld Lavillenie gewinnt bei der Leichtathletik-WM in London Bronze.
  • Bei den Olympischen Spielen wurde er noch vom Publikum ausgepfiffen und empfand das als "schlimm".
  • Das britische Publikum unterstützte jedoch alle Athleten. Lavillenie bedankte sich dafür ausdrücklich.

Von Saskia Aleythe, London

LondonEs war dann doch so, dass Renaud Lavillenie in den Armen seiner Betreuer lag und Tränen über sein Gesicht liefen. Stunden der Anstrengung lagen hinter ihm, es war Dienstagabend bei der Leichtathletik-WM in London, 22 Uhr Ortszeit, seit 19.42 Uhr hatte der Stabhochspringer gegen die Konkurrenz um Medaillen gekämpft. Bronze wurde es schließlich nach einer schwierigen Saison, Lavillenie war erleichtert, also weinte er. Spätestens diese Szene führte den Betrachter zu einem der prägenden Bilder der Olympischen Spiele von Rio zurück: Lavillenie, die Ikone seiner Disziplin, ausgebuht vom brasilianischen Publikum, brach damals bei der Siegerehrung vor Erschütterung in Tränen aus.

Ein Jahr liegt nun zwischen den Ereignissen, Rio sei abgehakt für ihn, sagte der Weltrekordhalter nach dem Wettkampf in London. Doch er merkte natürlich, dass die Unterschiede kaum größer hätten sein können zwischen dem, was in Rio passierte, und dem, was er nun erlebte. "Wir haben hier wirklich ein Publikum, das eine Leidenschaft für Leichtathletik hat", sagte der 30-Jährige, der 2012 an gleicher Stelle Olympiasieger geworden war. "Es schreit nicht nur für eine Nation, sondern feuert alle Athleten an." In Brasilien begegnete ihm ein fußballerfahrenes, aber leichtathletikfremdes Publikum, und das kennt die Verhaltensregeln im Sport halt so: Das Heimteam wird angefeuert, der Gegner ausgebuht. Und der Gegner war eben Lavillenie.

In Rio war er vor seinem ersten Versuch über 5,98 Meter mit Pfiffen begleitet worden, ebenso bei seinem finalen Versuch über 6,08 Meter, mit dem er dem Brasilianer Thiago Braz da Silva Gold weggeschnappt hätte. Lavillenie scheiterte, die Menge jubelte. "Was da passiert ist, war schlimm", resümierte Lavillenie und war "sehr glücklich", dass er die "tolle Stimmung hier in London erleben durfte. Das ist das, wofür wir trainieren". Sam Kendricks aus den USA nickte zustimmend, er hatte in Rio Bronze gewonnen und die Atmosphäre miterlebt, nun klappte es für ihn mit Gold, vor dem Polen Piotr Lisek. Da Silva war diesmal in London aus Formschwäche nicht angetreten. "Die Menge hat mich heute nach Leibeskräften unterstützt", sagte Kendricks. Was umso imposanter ausfiel, weil das Olympiastadion im Vergleich zu Rio täglich sehr gut gefüllt ist. Bis zu 700 000 verkaufte Tickets erwartet sich der Veranstalter nach den zehn Tagen.

Die Begeisterungswelle geht seit dem Eröffnungstag durchs Stadion, als Nationalheld Mo Farah über 10 000 Meter sein bislang sechstes WM-Gold gewann. Die Verehrung war trotz Dopingermittlungen gegen seinen Trainer grenzenlos. Bei US-Sprinter Justin Gatlin nahm es das Publikum damit genauer und buhte, er ist ja auch ein mehrfach überführter Dopingsünder.

Ausgepfiffen wurde danach bisher niemand mehr, am Dienstag genossen vor allem die Franzosen die Atmosphäre, 800-Meter-Läufer Pierre-Ambroise Bosse überraschte nicht nur sich selber mit seiner Goldmedaille. Der völlige entrückte 25-Jährige bedankte sich beim Publikum, das erheblich gelärmt hatte auf den letzten Metern. "Heute habe ich mich gefühlt, als wäre ich Brite", sagte Bosse. Gut, kann schon sein, dass die Menge auch deshalb so ausrastete, weil ein paar Meter hinter dem Franzosen noch Kyle Langford aus Watford zum Endspurt ansetzte und mit Rang vier beinahe in die Medaillenränge rannte. Aber so genau muss man jetzt auch wieder nicht sein.

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