WM-Gold im Kugelstoßen:Schwanitz veredelt die Saison ihres Lebens

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Weltmeisterin: Christina Schwanitz nach ihrem Sieg in Peking, China. (Foto: Franck Fife/AFP)
  • Da ist die erste deutsche Goldmedaille in Peking: Christina Schwanitz wird Weltmeisterin im Kugelstoßen.
  • Im Finale muss sie bis zum Ende zittern.
  • Mit der Goldmedaille veredelt sie, was sie vor dem Wettkampf bereits als "Saison meines Lebens" überschrieben hat.

Von Johannes Knuth, Peking

Der letzte Versuch geriet ein wenig zu kurz. Die Ausholbewegeung sah vielversprechend aus, aber dann war der Wurf zu steil und der Wind erledigte den Rest. Die deutsche Fahne, die Kugelstoß-Trainer Sven Lang der Kugelstoßerin Christina Schwanitz entgegen werfen wollte, plumpste in den Graben zwischen Laufbahn und Tribüne.

Kurz darauf war die neue Kugelstoß-Weltmeisterin dann doch noch vorschriftsmäßig eingekleidet, Schwanitz lächelte, es war so ein befreites Lächeln. "Als ich im sechsten Versuch in den Ring gestiegen bin, da dachte ich an Istanbul, an Daegu", sagte Schwanitz; bei der Hallen-WM 2012 und Freiluft-WM 2011 hatten Vorleistung und Ertrag noch nicht so recht zusammengepasst. Oder in Schwanitz' Worten: "Wo ich nervlich komplett versagt habe." Und jetzt? "Jetzt bin ich Weltmeisterin. Das ist unglaublich."

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Das gab es seit 1983 nicht mehr: Mit Julian Reus erreicht wieder ein deutscher Sprinter ein WM-Halbfinale. Usain Bolt muss sich dafür nur mäßig anstrengen - Mo Farah beeindruckt.

Die Mannschaft des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) ist am Samstag ziemlich gut reingekommen in diese WM in Peking. Nicht alle waren zufrieden, 100-Meter-Sprinter Sven Knipphals (10,31 Sekunden) blieb ebenso in der ersten Runde hängen wie Robin Schembera über die 800 Meter (1:48,04 min) und Carlo Paech im Stabhochsprung (5,65 m); auch Arne Gabius war mit seinem 17. Platz über 10 000 Meter (28:24,74 min) nicht ganz happy.

Dafür rückte Julian Reus wie veranschlagt ins Halbfinale über 100 Meter vor (10,14), Dreispringerin Kristin Gierisch (13,95 m) sowie die Stabhochspringer Tobias Scherbarth und Raphael Holzdeppe (je 5,70) qualifizierten sich für ihre Finals. Und der Bringer war natürlich Christina Schwanitz, 29, die sich im Kugelstoßen mit 20,37 Metern knapp vor die Chinesin Lijiao Gong setzte (20,30). Es war ihr erster WM-Titel.

Die Chinesin Lijiao kommt besser in den Wettkampf

Schwanitz war die Favoritin, eine der wenigen im deutschen Team. Sie hat viel Berufserfahrung als Gewinnerin, 2013 war sie WM-Zweite, im vergangenen Jahr gewann sie Gold bei einer EM, bei der die Deutschen bis dato nicht so richtig viel gewonnen hatten. Mit jedem Erfolg wuchsen die Erwartungen, mit diesem "Rucksack", wie sie sagt, läuft sie seit einer Weile herum.

In Peking war Christina Schwanitz trotzdem abgeklärt. 19,80 Meter bot sie im ersten Versuch an, 20,00 im Zweiten, weniger als Gong, was Schwanitz laut eigenem Befinden aber nicht störte: "Ich arbeite lieber nach", sagte sie. Das tat sie im dritten Versuch. Anschließend stellte sie mit stiller Genugtuung fest, dass der Chinesin plötzlich die Technik entglitt. Schwanitz sagte: "Ich wusste, dass Lijiao nicht so nervenstark ist."

Vor einer Weile hätte man das auch über Christina Schwanitz sagen können. Ihr entglitt bei wichtigen Wettkämpfen immer mal wieder das Können, als habe sie ein auswendig gelerntes Gedicht plötzlich vergessen. Schwanitz hatte keine Furcht, sich diese Schwäche einzugestehen, es half ihr sogar dabei, ihren Kopf in eine Stärke zu verwandeln. Grit Reimann grub ein wenig in ihrer Seele, die Psychologin hob ein Problem, das Schwanitz bis dato nicht als solches erkannt hatte: Sie hatte einst eine Realschulprüfung verhauen, Blackout, und immer, wenn künftig Stress aufflammte, kroch die Unsicherheit in ihren Kopf zurück. "Meine Psychologin hat mir das aus dem Kopf einfach weggemacht", sagte Schwanitz. "Seitdem kann ich in starken wie schwachen Momenten meine Leistung abrufen."

In Peking gab es durchaus den einen oder anderen Moment, in denen diese Sicherheit getestet wurde. Schwanitz ärgert es schon, dass ihre größte Konkurrentin im eigenen Land herangezogen wurde. Gong trainierte bis zuletzt bei Dieter Kollark in Neubrandenburg. Kollark hat einst seine DDR- und Stasi-Vergangenheit ausgesessen, ehe er Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss und Diskuswerferin Franka Dietzsch zu Titeln führte. Dann verließ er den DLV.

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Es ist die erste Goldmedaille überhaupt für sein Land: Der 19-jährige Ghirmay Ghebreslassie läuft bei brütender Hitze der hochkarätigen Konkurrenz davon.

Dass er jetzt die Gastgeber dieser WM drillt, "dann sagt das ja sehr viel über den Charakter. Deswegen freut es mich heute umso mehr, dass ich Weltmeisterin geworden bin", findet Schwanitz. Wobei Kollark wohl nicht freiwillig ging, wie er der FAZ zuletzt steckte: "Der deutsche Verband hat mir den Stuhl vor die Tür gestellt, ohne mit mir zu sprechen. Das motiviert mich schon." Und indirekt nun wieder Schwanitz.

Auch eine Knie-OP bringt sie nicht aus dem Konzept

Christina Schwanitz hat am Samstag in Peking das veredelt, was sie vor dem Wettkampf bereits als "Saison meines Lebens" überschrieben hatte. Sie hatte sich im Winter am Knie operieren lassen, sie kann mittlerweile auch aus solchen Phasen stark zurückkommen. "Man darf nicht übervorsichtig sein", sagt sie. Es schadet sicherlich auch nicht, dass sie seit einer Weile mit Sven Lang zusammenarbeitet, Lang hat in Schwanitz und Kugelstoßer David Storl zwei unterschiedliche Charaktere parallel in die Weltspitze geleitet. Storl verteidigt am Sonntag seinen WM-Titel.

"Heute im Wettkampf, das war die geilste Kommunikation in meiner sportlichen Karriere mit einem Trainer. Schöne, knackige, kurze Sätze, ich konnte das auffassen, umsetzen, es war einfach geil", sagte Schwanitz. Sie wird darauf auch im Olympiajahr 2016 bauen, "vielleicht ist Valerie (Adams, Anm. der Redaktion) bis dahin zurück", sagt Schwanitz; sie meint die Olympiasiegerin aus Neuseeland, die ihre Saison nach einer Operation etwas zu früh aufgenommen und sich für Peking entschuldigt hatte. Wenn die Neuseeländerin zurückkehrt, wird es wieder ein nettes Duell der Nerven geben, und Schwanitz weiß, dass es nicht schaden kann, erstmals einen WM-Titel als Referenz mitzubringen.

© SZ vom 23.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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