Kommentar:Ein Rassismus-Vorwurf? Ausgerechnet von Benzema?

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Erst reden alle über den Skandal um ein Sexvideo, nun erhebt Karim Benzema Rassismus-Vorwürfe gegen Frankreichs Nationaltrainer. Da ist einer sehr, sehr uneinsichtig.

Kommentar von Claudio Catuogno

Auf den Moment, an dem der Stürmer Karim Benzema "sein Schweigen bricht", haben in Frankreich viele gewartet. Es hatte sich ja einiges aufgetürmt. Die Justiz ermittelt gegen den 28-Jährigen, weil Bekannte Benzemas versucht haben sollen, dessen Nationalelf-Kollegen Mathieu Valbuena mit einem Sexvideo zu erpressen - Benzema soll Valbuena bedrängt haben, damit er bezahlt. Es ist eine Geschichte, die von Jugendfreunden handelt, von denen einer heute Millionär ist und die anderen kleinkriminell. Es ist aber auch eine Geschichte aus dem Herzen der Équipe Tricolore. Erpressung! Unter Kollegen!

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Zu den Vorwürfen hat Benzema auch etwas gesagt in dem Interview, welches er nach dem Champions-League-Sieg mit Real Madrid der spanischen Marca gegeben hat. Er hält alles für ein Missverständnis. In erster Linie hat Benzema aber erreicht, dass Frankreich anderthalb Wochen vor Beginn der Heim-EM nicht über Sexvideos oder Erpressung diskutiert. Sondern: über Rassismus.

Benzema ist in Bron-Terraillon aufgewachsen, einer rauen Gegend vor den Toren Lyons. Die Eltern stammen aus Algerien. Und diese nordafrikanische Herkunft, glaubt Benzema, habe ihn den Platz im EM-Team gekostet. Der Nationaltrainer Didier Deschamps, der ihn nicht nominiert hat, weil der Verband FFF ihn zuvor für "unnominierbar" erklärt hatte, sei sicher kein Rassist. Aber, glaubt Benzema, "er hat sich dem Druck eines rassistischen Teils von Frankreich gebeugt". Er habe Rücksicht darauf genommen, dass der rechtsextreme Front National "bei den letzten beiden Wahlen die zweite Runde erreichte".

Mehrheit der französischen Nationalspieler hat dunkle Haut

Man kann den Vorwurf für absurd halten. Die Hälfte der französischen Nationalspieler hat dunkle Haut und Vorfahren aus Mali, Guinea oder Senegal. Allerdings trifft die Debatte auch in Frankreich gerade auf einen gesellschaftlichen Nährboden. Auch der ehemalige Nationalspieler Eric Cantona glaubt, Deschamps habe etwas gegen Spieler mit nordafrikanischen Wurzeln. Zudem hatten sich führende Politiker eingemischt - und ist es in rauen Zeiten wie diesen völlig abwegig, dass Entscheidungen auch mit dem Hintergedanken getroffen werden, extremistischen Parteien gar nicht erst die Möglichkeit zu geben, sie für sich auszuschlachten?

Es kann keiner Gesellschaft schaden, sich immer wieder zu hinterfragen, wie es um die Teilhabe von Minderheiten tatsächlich steht. Wenn aber jetzt ausgerechnet Karim Benzema empört "Rassismus!" schreit, ist das einfach nur sehr, sehr uneinsichtig.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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