Fußball-EM:Die Fan-Krawalle sind exportierte Konflikte

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Split gegen Zagreb - diese seit Jahren wütende Städteschlacht wurde von der Adria zur EM exportiert. (Foto: dpa)

Wer nach den Ausschreitungen bei der Fußball-EM Schreckensbild an Schreckensbild reiht, ist viel zu schnell bei einer Chaostheorie. Man kann die Sache auch anders sehen.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Nur nicht verallgemeinern. Wer verallgemeinert, hat schon verloren. Wer nach Ansicht der qualmenden Bilder aus St. Étienne die Frage ableitet, ob ein Stadionbesuch mit der Familie inzwischen generell viel zu gefährlich ist, diskutiert zwar eine berechtigte Sorge, sollte aber vor einer kapitulierenden Antwort die Fakten des Vorfalls genau studieren.

Handelte es sich doch beim Kroaten-Krawall um einen Regionalkonflikt, der sich mit der Arroganz derer, die ihn ständig ausprügeln, an den Fernseh-Objektiven vorgedrängelt hat. Split gegen Zagreb - diese seit Jahren wütende Städteschlacht wurde von der Adria zur EM exportiert. Und in einem Europa, das um seine Zukunft bangt, das ob des Terrors zittert, dient nun jeder Bengalo, der ins Stadion fliegt, als nützliches Indiz dafür, dass es mit dem Zusammenhalt doch eh nicht klappt.

Die EM spiegelt die Realität in den Stadien auf dem Kontinent

Man kann es aber auch so sehen: Dieses Stadion-Feuerwerk ist ein Kollateralschaden eines Turniers, das organisatorisch bislang relativ gut funktioniert. Jedenfalls angesichts der gewaltigen Kräfte, die an ihm zerren, die alles daran setzen, dass da was auseinanderbricht. Tut doch das Turnier auch nichts anderes, als die harte und tief gespaltene Stadion-Realität auf diesem Kontinent zu spiegeln.

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Es gibt jene Ligen wie in Kroatien oder Russland, da traut sich kaum jemand mehr hin, da haben Schläger die Tribünenmacht - und die Familie bleibt zu Hause. Und es gibt Ligen wie die Premier League in England oder die Bundesliga in Deutschland, da zahlt man inzwischen zwar etwas mehr, auch da kann es immer mal zu unangenehmen Szenen kommen, aber der Stadionbesuch ist in der Regel keine pure Mutprobe mehr wie er dies in beiden Ländern zu härtesten Hooligan-Zeiten auch schon war.

Zu Zeiten, in denen in England jene Glatzen regierten, die am ersten EM-Wochenende die Nachrichtensendungen dominiert hatten. Als sie sich in Marseille von einem eingeflogenen russischen Kampfgeschwader verprügeln ließen. 150 stocknüchterne Adrenalin-Junkies aus Moskau und Umgebung verdroschen eine alkoholisierte Überzahl der Alt-Hooligans von der Insel. Die waren noch einmal vom Sofa gestiegen, hatten aber die eigenen Rest-Kräfte falsch eingeschätzt. Erschwerend kam hinzu, dass die Ringrichter ausgefallen waren, dass Frankreichs Sicherheitskonzept noch nicht griff, weil es am Anfang auf Terror-Abwehr angelegt war, weshalb die Schläger-Problematik unterschätzt wurde.

Wer jetzt Schreckensbild an Schreckensbild, Bengalo an Bengalo, Böller an Böller reiht, ist viel zu schnell bei einer neuen Chaostheorie. In der bereits Abschied genommen wird von jener Familien-Oase Fußball, in der man es sich hierzulande nach dem "Sommermärchen 2006" bequem eingerichtet hatte. Dabei ist es wahrlich keine Heldentat, als Partysprenger anzutreten. Der Feigling versteckt sich in der Gruppe, wer es drauf anlegt, Feuerwerk eng an den Körper geklebt auf die Tribüne zu bringen, um die Leute zu erschrecken, ist nur schwer herauszufiltern. Die EM, dieses Treffen von Millionen souveräner Europäer, muss das aushalten. Sie läuft nicht Gefahr, zu scheitern, weil da und dort ein schlechter Gast die Tür zuknallt.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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