Fan-Krawalle:Kroatien warnt vor den "Staatsfeinden"

EURO 2016 - Group D Czech Republic vs Croatia

Da liegt etwas in der Luft: Die kroatischen Spieler Ivan Perisic, Ivan Rakitic und Vedran Corluka versuchen ihre Fans zu beruhigen.

(Foto: Yuri Kochetkov/dpa)

Die kroatischen Fan-Krawalle erschüttern die Mannschaft, es drohen Sanktionen durch die Uefa. Was ist los, dass Ultra-Gruppen das Team seit Jahren sabotieren?

Von Tobias Schächter, Saint-Étienne

Der Abend begann mit den Tränen von Darijo Srna. Der Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft hatte vergangene Woche seinen Vater beerdigen müssen. Am Freitag führte Srna in Saint-Étienne seine Mannschaft gegen Tschechien dennoch auf den Platz, er weinte beim Abspielen der Nationalhymne. Nach dem Spiel war er noch trauriger.

Kroatien trennte sich nach einer 2:0-Führung und einer bis zur 85. Minute starken Leistung von Tschechien noch mit 2:2. Statt ihrem Kapitän und ihren Torwarttrainer, dessen Vater ebenfalls in diesen Tagen verstarb, einen Sieg zu widmen, ist die kroatische Nationalmannschaft der große Verlierer. Viel schlimmer als der späte Ausgleich belasten die Umstände dieses Abends die Mannschaft.

In der 85. Minute flogen aus der Kurve der Kroaten plötzlich viele bengalische Feuer auf den Platz, ein Böller hätte fast einen Ordner getroffen. Anschließend kam es zu Schlägereien unter kroatischen Anhängern auf der Tribüne. Die bis dahin so souveräne Elf verlor nach der Unterbrechung drei sicher geglaubte Punkte. "Die Fans haben dem Spiel die Wende gegeben", meinte Ivan Rakitic, bester Spieler der Kroaten. Nach dem Wiederanpfiff kamen die Tschechen durch einen Elfmeter in der Nachspielzeit noch zum Ausgleich.

Rakitic fürchtet: "Vielleicht schicken sie uns jetzt auch nach Hause."

Die Vorkommnisse machen aus einem Geheimfavoriten auf den Turniersieg plötzlich eine verunsicherte Mannschaft, Rakitic befürchtet sogar: "Wir müssen sehen, ob wir überhaupt noch gegen Spanien spielen. Vielleicht schicken sie uns jetzt auch nach Hause." Die Uefa hat die Krawalle "nachdrücklich verurteilt", die Disziplinarkommission eröffnete ein Verfahren gegen den Verband HNS. Der Fall wird am Montag entschieden. Zur Last gelegt werden den Kroaten das "Zünden von Feuerwerkskörpern, Werfen von Objekten, Zuschauerausschreitungen sowie rassistisches Verhalten". Sogar das Staatsoberhaupt ächtete die Krawallmacher von Saint-Étienne. "Das sind Staatsfeinde, die ihre Mannschaft und ihr Land hassen", sagte Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic: "Schämt euch!"

Gewalt und rassistische Ausfälle auf den Rängen während der Spiele der "Vatreni" führen immer wieder zu Geldstrafen und Zuschauersperren. Aber was ist eigentlich los im kroatischen Fußball, dass Ultra-Gruppen ihre Mannschaft seit Jahren sabotieren, nun selbst bei einer Führung in einem EM-Spiel?

Trainer Ante Cacic sagte am Samstag: "Ich glaube, wir werden stärker aus dieser Situation herauskommen." Noch am Freitag hatte er die Provokateure als "Sport-Terroristen und Hooligans, die alles ruinieren", bezeichnet. Er erinnerte an ähnliche Vorfälle bei einem Qualifikationsspiel in Italien vor anderthalb Jahren. Damals, so Cacic, seien auf der Tribüne in Mailand Fans von Hajduk Split zu sehen gewesen, mit Nazi-Symbolen. Durch diese Aussagen suggerierte der 62-Jährige, dass Anhänger von Hajduk nun auch für die Missetaten in Saint-Étienne verantwortlich sein könnten.

Die Kroaten geben der Uefa eine Mitschuld

Womöglich auch um mildernde Umstände geltend zu machen, gaben die Kroaten der Uefa und den Sicherheitskräften am Samstagmittag eine Mitschuld. Schließlich habe der Verband "in der Vorbereitung auf die Partie alles getan, um Zwischenfälle zu vermeiden", steht in einer HNS-Stellungnahme: "Zu diesem Zweck wurden die Uefa und die Polizei vor Hooligans gewarnt." Bei einer Pressekonferenz sagte Miroslav Markovic, einer der Sicherheitsbeauftragten des kroatischen Verbands: "Wir hatten unsere Quellen. Wir wussten, was passieren kann. Wir haben die Polizei und alle relevanten Stellen darüber informiert." Und sein Kollege Kresimir Antolic ging noch weiter: "Wir haben die Szenen analysiert. Die Leute waren zwischen 18 und 25 Jahren alt. Sie kämpfen gegen die legitime Führung des Verbands - mit Elementen des Terrorismus. Das war ein Angriff auf Kroatien."

Viele Ultra-Gruppen stellen sich gegen den Verband. Die Bad Blue Boys (BBB) von Dinamo Zagreb beispielsweise hatten vor dem Spiel Aktionen angekündigt. Am Spieltag waren in der Stadt Männer zu sehen, mit T-Shirts, auf denen die Buchstaben des Fußball-Verbandes, HNS, rot durchgestrichen waren.

Die verfeindeten Gruppen eint der Hass auf den Verband

Fakt ist: Die verfeindeten Gruppen aus Split und Zagreb zum Beispiel eint aus unterschiedlichen Gründen der Hass auf die Spitze des kroatischen Fußballverbandes, die sie zu Fall bringen wollen. Die Ultras aus Split, die wiederum eine Art "Freundschaft" mit den Ultras aus Saint-Étienne, pflegen, glauben, dass die Vorherrschaft von Serienmeister Dinamo erkauft und auf dem Rücken ihres Klubs zementiert wurde. Der ehemalige kroatische Nationaltrainer und jetzige Coach von West Ham United, Slaven Bilic, erklärte als Experte des englischen TV-Senders ITV nach den Vorfällen am Freitag: "Es ist ein Konflikt Norden gegen Süden, zwischen Dinamo und Hajduk, ohne ins Detail gehen zu wollen. Diejenigen, die das tun, sind auf einer Art Mission." Bilic ist in Split geboren. Die BBB aus Zagreb boykottieren seit Jahren die Heimspiele ihres Klubs Dinamo, weil sie dem langjährigen Präsidenten Zdravko Mamic und seinem Clan vorwerfen, sich durch Spielertransfers zu bereichern und den Klub auszubeuten.

Verbandsboss Davor Suker gilt nicht nur diesen Ultragruppen als Marionette von Zdravko Mamic. Mamic ist Vize-Präsident im Fußballverband, er steht unter Anklage, in der Vergangenheit mindestens 15,5 Millionen Euro bei Transfers von Dinamo-Profis ins Ausland an der Steuer vorbei gelenkt zu haben. Auch Verbandssekretär Damir Vrbanovic steht in diesem Verfahren unter Verdacht, er war viele Jahre mit Mamic bei Dinamo tätig. Beide streiten die Vorwürfe ab. Der übel beleumundete Mamic ist zwar von seinen Ämtern bei Dinamo zurückgetreten, gilt aber noch immer als mächtigster Strippenzieher. Vor ein paar Wochen ist er aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Trainer Cacic, der in der Endphase der Qualifikation Niko Kovac abgelöst hatte, wiederum ist ein Mann ohne Meriten, aber mit Dinamo-Vergangenheit. In Kroatien heißt es, er sei der Trainer von Mamics Gnaden. Am Freitag saßen Mamic und Vrbanovic neben Suker im Stadion von Saint-Étienne.

Suker und Mamic machten noch am Freitag die kroatische Politik für die Zustände verantwortlich. Man werde seit Jahren mit dem Problem alleine gelassen, jammerte Suker. Erst vor zwei Tagen ist die Regierung in Kroatien abgewählt worden. Das Dilemma im Fußball ist: Die Gräben wirken unüberbrückbar. Der Vereinsfußball im Land findet wegen der bizarren Verhältnisse schon fast ohne Zuschauer statt. "Familien und Kinder trauen sich nicht mehr ins Stadion", klagt Bilic, der nach dem Debakel in Saint-Étienne fürchte: "Ich denke, das war nicht das letzte Mal, dass so etwas passiert ist."

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