Karriereende von Magdalena Neuner:Überragend, fehlbar

Der Karriereabschluss von Magdalena Neuner im Massenstartrennen von Chanty-Mansijsk war das passende Beispiel für ihre besondere Wettkampfweise. Die deutschen Biathleten verlieren nun ihre Hauptdarstellerin, Neuner wird fehlen. Wer kann diese Rolle übernehmen?

Volker Kreisl

Vielleicht, sagte Magdalena Neuner, sei sie am Schluss doch zu aufgeregt gewesen. Vielleicht habe sich dann doch die Bedeutung dieses Augenblicks bemerkbar gemacht, denn schließlich "macht man nicht jeden Tag sein letztes Rennen". Am liebsten hätte sie dies gewonnen, doch aus diesem letzten Triumph wurde nichts. Dafür entpuppte sich der Karriere-Abschluss der Biathletin im Massenstartrennen von Chanty-Mansijsk in Westsibirien als letztes passendes Beispiel für die besondere Wettkampfweise dieser Sportlerin.

Biathlon-Weltcup in Khanty-Mansiysk

Das war's: Magdalena Neuner sagt tschüss.

(Foto: dapd)

In der ersten Runde setzte sich Neuner an die Spitze des Feldes und machte Tempo, im ersten Schießen blieb sie fehlerfrei. In der zweiten Runde baute sie dann ihren Vorsprung aus, auch im zweiten Schießen blieb sie fehlerfrei. Weiter ging es so, in der dritten Runde baute sie den Vorsprung weiter aus, aber als ein Sieg immer wahrscheinlicher wurde, schoss sie im dritten Schießen vier Strafrunden und fiel fast hoffnungslos zurück.

In der vierten Runde arbeitete sie sich wieder auf eine Minute Rückstand heran, im vierten Schießen hielt sie zumindest den Abstand, den sie auf der letzten Runde mit einem fulminanten Schlussspurt weiter verkürzte, sodass sie doch noch in die Blumenstrauß-Ränge kam. Darja Domratschewa aus Weißrussland gewann. Neuner wurde Sechste und lächelte.

Dieses Auf und Ab, das Vorneweg und Hinterher, die Spannung der nie ganz vollkommenen Sportlerin, die überlegen führen und sich immer noch selber besiegen kann - das war in den fünf Jahren ihrer Karriere ein Teil der Marke Neuner und ein Grund für ihre Beliebtheit. Seriensieger sind langweilig, dominante Siegertypen mit bleibenden Schwächen nicht. Neuner hat irgendwie beides geschafft: Sie war am Ende überragend und trotzdem fehlbar. Immer sicherer hat sie getroffen, etwa bei ihrem WM-Sieg im Sprint von Ruhpolding, aber ihre Konkurrentinnen durften bis zuletzt auf einen Einbruch im letzten Schießen hoffen.

Und doch hat Neuner alle Ziele so früh erreicht, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung schon mit 25 Jahren eine Fortsetzung der Karriere erübrigte. Zu viele Nachteile barg der aufwändige, reise- und medienintensive Sport für zu wenige bleibende Herausforderungen. In Chanty-Mansijsk packte sie endgültig Ski, Gewehr und Blumenstrauß ein und flog am nächsten Tag vom Biathlon nach Hause.

Schwere Zeit nach Neuner

"Mein großer Traum war es, zum dritten Mal die große Kristallkugel zu gewinnen", sagte Neuner, "und den habe ich mir erfüllt." Außer dreimalige Gesamtweltcup-Gewinnerin ist Neuner auch zwölfmalige Weltmeisterin und zweimalige Olympiasiegerin, am Anfang war sie fünfmalige Junioren-Weltmeisterin, und dazwischen in Deutschland zweimal Sportlerin des Jahres. Weil Neuner von Anfang an ziemlich ehrgeizig war, blickt sie also auf insgesamt 16 Jahre Leistungssport zurück.

Für die anderen deutschen Biathletinnen wird die kommende Zeit eher schwer, auch das war erwartungsgemäß eine Erkenntnis von Neuners letztem Auftritt. Talente sind zwar da, aber ob sie rechtzeitig für die Olympiasaison in eineinhalb Jahren bereit stehen, ist fraglich. Auch jenen Deutschen, die schon im Weltcup dabei sind, steht in den kommenden Monaten weitere Arbeit bevor, vor allem am Schießstand.

Miriam Gössner und Tina Bachmann hatten zum Abschluss der WM vor einer Woche zwar ordentlich gezielt und entscheidend zum Staffel-Titel beigetragen; aber zum Abschluss der Saison dann eben doch wieder mit breiterer Streuung geschossen. Bachmann wurde 20. mit sechs Fehlern, Gössner 29. mit neun Fehlschüssen. Bleibt Andrea Henkel, 34, die in den kommenden Jahren dank ihrer Erfahrung die Stütze des Teams sein wird, auch wenn sie sich am Sonntag beim ersten Schießen auf die falsche Matte gelegt hatte und mitten im Anschlag nach nebenan umziehen musste.

Möglich, dass sie Neuner heimlich vermissen werden, vielleicht aber wachsen Gössner, Bachmann und die tendenziell viel zu langsame Franziska Hildebrand auch daran, dass Blicke, Kameras und Aufnahmegeräte nur noch auf sie gerichtet werden. Entlastung ist immerhin von der Männerabteilung zu erwarten. Arnd Peiffer beendete die Saison in Chanty-Mansijsk mit drei zweiten Plätzen, Andreas Birnbacher gewann die Saisonwertung im Massenstart.

Im Grunde war dieses letzte Rennen in Sibirien also ein logischer Schlusspunkt unter eine Biathlon-Saison mit bekannten deutschen Stärken und Schwächen, und so schien es folgerichtig, dass auch die Hauptdarstellerin den Sonntag zunächst eher als Arbeitsalltag beschrieb. Neuner sagte: "Es war mir unterwegs gar nicht bewusst, dass das mein letztes Rennen war."

Bis, ja, bis sie dann doch dieser Gedanke einholte: "In der letzten Runde", sagte Neuner, "kam mir in den Kopf: Mensch, jetzt geht es zum letzten Mal diesen Anstieg hoch."

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