Juventus Turin:Plötzlich ist die alte Dame nackt

Juventus FC v US Citta di Palermo - Serie A

Gegen Palermo noch im Einsatz, gegen Porto auf die Tribüne verbannt: Juve-Verteidiger Leonardo Bonucci.

(Foto: Getty Images)
  • Beim 2:0-Sieg gegen Porto sitzt Juventus Turins Verteidiger Leonardo Bonucci nur auf der Bank - Grund ist ein Streit mit Trainer Massimiliano Allegri.
  • Der öffentliche Schlagabtausch bei Juventus kommt einer Kulturrevolution gleich.
  • Obwohl Juve seine Spiele gewinnt, gärt es im Klub - es heißt, Allegri wolle in die Premier League.

Von Birgit Schönau

Man kann den Teufel angeblich mit Weihwasser austreiben und den Fado-Fluch vielleicht mit dem Heiligen Geist. Wenn der aber leider beim FC Porto auf der Bank sitzt - in Gestalt von Nuno Espírito Santo, dem Trainer mit dem schönsten Namen im Weltfußball -, dann muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Etwa, die bösen und die guten Geister einfach einzulullen, sie in Sicherheit zu wiegen, bis sie sanft hinwegdämmern - und dann blitzschnell zuzuschlagen. So hielt es Juventus Turin, und siehe da: Der Fado-Fluch, der seit einem Vierteljahrhundert noch jeden italienischen Sieg in Porto verhindert hatte, wurde im Estádio do Dragão mit einem glatten 2:0 im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales gebannt.

Sicher, der Platzverweis für den Italo-Brasilianer Alex Telles, 24, war ein Geschenk des Himmels. Innerhalb von 80 Sekunden kassierte der Porto-Profi nach üblen Fouls gegen Juan Cuadrado und Stephan Lichtsteiner zwei gelbe Karten, was seine Aussichten auf einen Platz in der Squadra Azzurra erst einmal verschlechtert haben dürfte. In der 27. Minute war Telles aus dem Spiel - und hätte ab diesem Moment mit einem altgedienten Azzurro Fado singen können, der bereits zuvor auf der Tribüne Platz genommen hatte.

Juve-Verteidiger Leonardo Bonucci war vor der Partie dorthin beordert worden, weil er es gewagt hatte, seinen Trainer Massimiliano Allegri zu beschimpfen. Während des Ligaspiels gegen Palermo hatte Bonucci die Auswechslung seines Teamgefährten Claudio Marchisio gefordert. Allegri reagierte ungehalten, nach Spielende gerieten Trainer und Spieler aneinander. Weil sich Bonucci nicht entschuldigen wollte, statuierte Allegri ein Exempel: Der Verteidiger musste nach Porto mitreisen, wurde aber aus der Mannschaft ausgeschlossen und mit einer Geldbuße belegt. Im Gegenzug spendete Allegri freiwillig einen Betrag an einen Wohltätigkeitsverein.

"Diese Regel galt insbesondere für Ehebrecher und für Juventus-Manager"

Öffentlicher Schlagabtausch bei Juventus - eine Kulturrevolution! "Aus einer Betonwand wird eine Glasscheibe und dahinter sehen wir die Juve - nackt", fantasierte La Repubblica. Italiens Leitartikler wähnten das Ende von "hundert Jahren Abschirmen, Totschweigen und Heuchelei", bei einem großbürgerlichen Klub, für den Disziplin immer die wichtigste Tugend war und der deshalb dafür sorgte, dass über Reibereien hinter den Kulissen nichts nach außen drang: "Immer alles abstreiten, diese Regel galt insbesondere für Ehebrecher und für Juventus-Manager."

Bis Massimiliano Allegri, der Sohn eines Hafenarbeiters aus Livorno, jetzt das ungeschriebene Gesetz brach, um seine eigene Autorität wiederherzustellen. Denn bei Juve gärt es, obwohl die Siegesserie nicht abreißt. Gerade marschiert der Rekordmeister fast unangefochten zum sechsten Titel in Serie, steht außerdem im Pokal-Halbfinale - und hat mit dem Sieg in Porto bereits einen Fuß im Champions-League-Viertelfinale.

Das historische Triple ist also kein Hirngespinst, auch wenn die Konkurrenz in Europa härter ist als zu Hause. Schon lange nicht mehr war die Mannschaft taktisch so solide und physisch derart in Form, da wäre es gefährlich, wenn ausgerechnet jetzt die Motivation nachließe. Und doch wird seit Wochen die Gerüchteküche befeuert. Allegri befinde sich auf dem Sprung in die Premier League, heißt es, die Arbeitsbeziehung in Turin sei am Ende, verschlissen und verbraucht.

Eine unerhörte Entzauberung für Juve

Bonucci war nicht der erste, der den Coach herausforderte, "sonst hätte ich ihn nicht so hart bestraft", gab Allegri unumwunden zu. Nun waren Juve-Trainer traditionell stets eher pragmatische, auch mal autoritäre Dompteure als feingeistige Fußballtheoretiker. Aber dies öffentlich anzusprechen, ist in der Tat eine unerhörte Entzauberung für einen Klub, der sich zum europäischen Fußball-Hochadel zählt. Das Management um Präsident Andrea Agnelli schwieg beredt - und Leonardo Bonucci bekam auf der Tribüne einen Hocker zugeteilt, in Sicherheitsabstand von der eigenen Führungsriege. Da saß er dann, ganz in Schwarz gekleidet und mit düsterem Gesicht und sah zu, wie seine Kollegen dem Gegner langsam alle Energie aussaugten.

Denn eine Stunde lang war Juve zwar unbestritten die Herrin auf dem Platz, machte aber keine Anstalten, das deutlicher zu markieren. Langsam, hölzern, ja phlegmatisch schoben sich die Spieler den Ball zu: sagenhafte 77 Prozent Ballbesitz - nichts sonst. Die Partie trudelte einem Nullzunull entgegen, Weltmeister Sami Khedira verwaltete sein Mittelfeld mit roboterhafter Gleichförmigkeit, die Torhüter-Legenden Gigi Buffon (Juve) und Iker Casillas (Porto) warteten vergebens auf einen Auftritt, nur der Schweizer Juve-Profi Lichtsteiner fiel durch unangemessenen Übereifer auf, als er Hector Herrera brutal auf den Fuß trat. Der Mexikaner erlitt zwei tiefe Schnitte, die mit 17 Stichen genäht werden mussten. Trotzdem hielt er bis zum Schluss durch, als Held in Portos Team. Der schneidige Lichtsteiner bekam Gelb und wurde kurz darauf von Allegri ausgewechselt.

Allegri geht als strahlender Sieger vom Platz

Der Trainer brachte den Brasilianer Dani Alves, der Kroate Marko Pjaca ersetzte Cuadrado. Und dieses Duo machte nun sehr kurzen Prozess mit Porto und dem Fado-Fluch. Dem 21 Jahre alten Dribbelkünstler Pjaca gelang der erste Streich (72.), Routinier Dani Alves folgte sogleich (74.). Das 2:0 riss den finsteren Bonucci, der beim ersten Treffer noch demonstrativ sitzen geblieben war, endlich jubelnd von seinem Hocker. Und Massimiliano Allegri ging als strahlender Sieger vom Platz. Alles richtig gemacht, mit sehr viel Taktik, sehr viel Geduld und dem Gespür für den richtigen Mann zur richtigen Zeit. Und mit Dusel, so viel Dusel, dass sich sogar Espírito Santo geschlagen geben musste.

Bonucci habe sich übrigens entschuldigt, erzählte Allegri später. Das klang aber sehr nebenbei. Am Samstag gegen Empoli muss der Sünder wohl weiter büßen. Bonucci auf der Tribüne bringt ja Glück.

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