Jupp Heynckes:"Er ist ein Crack von großer Ritterlichkeit"

Das DFB-Pokal-Finale wird das endgültig letzte Spiel von Jupp Heynckes als Trainer sein. Weggefährten erinnern sich an Biertage in Bilbao, seine Haltung zur Friedensbewegung und einen Anruf bei Hermann Gerland.

Protokolle von SZ-Autoren

Rainer Bonhof

Gefühl für die Einfachheit "Ich würde gerne mal die Story loswerden, wie ich als junger Bursche zur Borussia kam. Wir reden von Juni oder Juli 1970, und Jupp war gerade von seinen drei Jahren in Hannover zurück nach Mönchengladbach gekommen. Er hat mich in seinem Auto mit ins Trainingslager nach Süchteln gefahren, und wir haben dabei über unsere Pläne und Ziele im Leben gesprochen. Ich habe mir das alles aufmerksam angehört, Jupp war ja schon ein gestandener Nationalspieler, und ich war noch ganz schön grün hinter den Ohren. Kurz bevor wir dann in Süchteln eingetroffen sind, hat Jupp zu mir gesagt: "Ich glaube, dass du eine ganz große Karriere machen wirst." Jetzt, nach 100 Jahren Einsamkeit, kann man sagen: Der Jupp hatte schon damals ein Blick für Talente. An dieses Gespräch habe ich immer wieder gedacht, so nach dem Motto: Mensch, der Alte hat wirklich recht gehabt. Eine andere Eigenschaft, die ihn als Trainer ausmacht, war bei ihm als Spieler übrigens auch schon zu erkennen: dieses Gefühl für die Einfachheit des Spiels. Wenn er mal zwei, drei Spiele nicht getroffen hatte, dann ist er immer viel ruhiger geworden, und noch viel fordernder gegenüber sich selbst. Er hat dann nach dem Training noch Torabschlüsse, Kopfbälle und so weiter geübt, und das hat er so lange gemacht, bis er wieder getroffen hat. Zum Glück machten wir damals ja reichlich Tore, so hatte er auch oft Zeit für andere Dinge." Rainer Bonhof, 66, ist zweiter Vizepräsident von Borussia Mönchengladbach, dem Verein, für den er von 1970 bis '78 gemeinsam mit Heynckes spielte. 1978 wechselte Bonhof zum FC Valencia, Heynckes beendete seine Spielerkarriere.

Ewald Lienen

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(Foto: imago sportfotodienst)

Nichts gegen die Friedensbewegung "Ich hatte das Glück und konnte ihn noch ein Jahr lang als Mitspieler erleben, ehe ich Jupp als Trainer hatte. Er hatte in seinem letzten Jahr als Profi leider gesundheitliche Probleme, trotzdem konnte man sehen, was für ein guter Fußballer er war. Er war mit einer unglaublich guten Technik gesegnet und hatte großartige Torjägerqualitäten. Ich habe viel von ihm gelernt. Er war ein junger Trainer, aber er hat von vornherein verstanden, eine Struktur in die Mannschaft zu bekommen. Ich selbst war ja ein Spieler, der nicht immer pflegeleicht war als Mensch. Ich war politisch und sozial stark engagiert in der Friedensbewegung. Ich habe sogar für den Landtag in Nordrhein-Westfalen kandidiert und bin durchs Land gereist und habe viele Vorträge gehalten und an Diskussionen teilgenommen, in Schulen, in Kirchengemeinden. Jupp hat das alles akzeptiert, weil er wusste, dass mir das wichtig war und somit mir auch als Fußballer half. Ich habe mich bei Jupp zu Hause gefühlt und konnte so meine Leistung abrufen. Hätte ich nur Fußball ausleben dürfen, wäre ich nicht gut gewesen. Jupp war natürlich damals auch ab und zu emotional, er hat da ja auch seine Entwicklung erlebt. Wenn bestimmte Dinge passiert sind, ist er deutlich geworden. Als wir nach dem 5:1-Hinspiel-sieg gegen Real Madrid das Rückspiel mit 0:4 verloren hatten, hat er ein paar Tage lang nicht mit uns gesprochen. Heute können wir darüber herzlich lachen, damals war das aber so." Ewald Lienen, 64, ist Technischer Direktor des FC St. Pauli. Er spielte von 1979 bis '81 und von 1983 bis '87 für Mönchengladbach. Heynckes war von 1979 bis '87 Trainer der Borussia. Von 1995 bis '97 war Lienen Heynckes' Co-Trainer bei CD.

Rainer Zobel

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(Foto: Dominique Leppin/dpa)

Ein 4:1 und Uli Hoeneß' größter Fehler "Jupp Heynckes habe ich in Hannover kennengelernt, als ich noch ein ganz junger Spieler war. Heynckes ist zwar nur zwei, drei Jahre älter als ich, aber mit Hans Siemensmeyer und Josip Skoblar war er schon einer der Etablierten, die mich super aufgenommen haben. Er hat mir vieles gesagt, das mir geholfen hat: wie ich mich in die Mannschaft einzufügen hatte, welche Laufwege die besten waren, wo er den Ball hinhaben wollte, solche Dinge. Dass ich Jahre später, 1991, als ich Trainer bei den Stuttgarter Kickers war, der Auslöser für seine Entlassung bei den Bayern wurde - tja, was soll ich sagen? Es ist nie schön, wenn ein Kollege entlassen wird, aber schuldig fühle ich mich nicht. Uli Hoeneß hat danach oft gesagt, sein größter Fehler sei gewesen, nach unserem 4:1-Sieg nicht an Heynckes festgehalten zu haben. Die Bayern waren schlecht in die Saison gestartet, und ich kann mich noch erinnern, dass wir ihre Abseitsfalle aushebelten. Ich weiß gar nicht mehr, ob er direkt nach dem Spiel oder am Tag danach entlassen wurde. Aber dass etwas im Schwange war, das wusste man. Woran ich mich erinnere, ist, dass wir länger im Stadion waren, weil wir geplant hatten, mit der Mannschaft aufs Oktoberfest zu gehen. Zwei, drei Stunden nach dem 4:1 kam der damalige Bayern-Präsident Willi O. Hoffmann zu mir und fragte - scherzhaft -, ob ich Lust hätte, Bayern-Trainer zu werden. Axel Dünnwald-Metzler, der Kickers-Präsident, war auch dabei. "So viel Geld, um den zu bezahlen, habt nicht mal ihr ...", flachste er. Wir sind dann auf die Wiesn, das Bier schmeckte besonders gut. Und was Jupp anbelangt: Es verlangt mir einen Riesenrespekt ab, was er geleistet hat, auch jetzt mit 73 Jahren. Ich weiß, was das heißt, in dem Alter. Ich bin als Trainer in Lüneburg ja quasi der Heynckes der Regionalliga." Rainer Zobel, 69, ist Trainer des Regionalligisten Lüneburger SK Hansa. Von 1968 bis '70 spielte er mit Heynckes für Hannover 96. Die Stuttgarter Kickers trainierte Zobel von 1990 bis '92, Heynckes war von 1987 bis '91 das erste Mal Bayern-Trainer.

José Julián Lertxundi

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(Foto: Getty Images)

Ritterlichkeit im San Mamés "Was mich zum Schmunzeln bringt, wenn ich an meinen Freund Jupp denke? Ein Trainingslager von Athletic Bilbao in Oberstaufen im Allgäu. Der Vizepräsident, der Generaldirektor und ich sind dorthin gefahren, und es herrschte eine barbarische Hitze. 38 Grad. Unglaublich. Wir haben uns ins Restaurant des Mannschaftshotels gesetzt und erst einmal drei große Biere bestellt. Als die Kellnerin mit den Krügen kam, stand Jupp auf und machte die Order rückgängig. "Biere sind nur an jedem zweiten Tag erlaubt, und heute ist kein Biertag", sagte er. Der Generaldirektor, Fernando Otxoa, sagte ihm noch: "Míster, das ist der Vereinspräsident!" Jupp sagte: "Genau deswegen! Wenn einer mit Beispiel vorangehen muss, dann der Präsident!" Das war Jupp in Reinform. Ich hatte ihn 1992 geholt. Wir hatten bei Athletic eigentlich immer Trainer mit Stallgeruch gehabt; auch wegen unserer Philosophie, nur baskische Spieler einzusetzen. Aber wir wollten einen Qualitätssprung, ich wollte einen deutschen Coach, weil Deutschland damals in Europa führend war und sich Gary Linekers berühmter Spruch - "Elf gegen elf, und am Ende gewinnen die Deutschen" - bei mir eingebrannt hatte. Generaldirektor Otxoa lud Heynckes nach Barcelona ein, zu einem Spiel bei Espanyol. Die Mannschaft spielte fürchterlich, Jupp kam ins Grübeln. Wir haben ihn dann überzeugt, inkognito zu uns nach Bilbao zu kommen, zum Basken-Derby gegen San Sebastián. Da hat er das alte, mythische San Mamés kennengelernt, unser enges, fast englisches Stadion, und unsere Klubzentrale, die in einem Palast aus dem 19. Jahrhundert untergebracht ist. Es war ein Segen, dass er sich für uns entschied. Er ist ein Crack von großer Ritterlichkeit. Wir hatten alles per Handschlag verabredet, und er stellte keinerlei Nachforderungen. Er modernisierte unser Spiel. Anfangs half ihm ein Deutscher, der in Bilbao geboren war. Der hatte in seinem Leben keinen Ball gesehen - aber die Ideen Jupps übersetzte er fantastisch. Aber der lernte rasch Spanisch. Zuletzt haben wir uns in Madrid gesehen, beim Champions-League-Spiel der Bayern. Da hab ich ihn gefragt, ob er nicht noch mal ... Aber das war ein Spaß. Was ich möchte, ist, dass er noch mal nach Bilbao kommt, damit wir ihn im neuen San Mamés feiern können." José Julián Lertxundi, 76, war Präsident von Athletic Bilbao von 1990 bis 1994.Heynckes war von 1992 bis '94 Athletic-Coach und zog dann weiter über Eintracht Frankfurt (1994-'95) und CD Teneriffa (1995-'97) zu Real Madrid.

Ernesto Valverde

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(Foto: Alex Caparros/Getty Images)

Inspiriert von seinem Charakter "Dass er zu Athletic kam, war für uns eine unglaubliche Nachricht. Er hatte so wichtige Titel mit dem FC Bayern gewonnen - und wir waren nicht so gut drauf. Er war dann sehr fordernd, sehr auftrittsstark. Und je länger er da war, desto besser wurde unsere Beziehung zu ihm. Er wollte den Stil der Mannschaft ändern, er hat uns viel Vertrauen gegeben, deswegen war es kein Zufall, dass wir zwei sehr gute Spielzeiten hinlegten: Wir qualifizierten uns zwei Mal für europäische Wettbewerbe. Er setzte auf ein sehr offensives Spiel, auf Angriffsfußball, und hat junge Spieler wie Julen Guerrero oder Juanjo Valencia hochgezogen. Jenseits von allen Titeln, die er außerhalb Bilbaos holte, blieb uns allen vor allem sein persönlicher Umgang in Erinnerung, sein wunderbarer Charakter. Er hat nicht von ungefähr ein großartiges Image in Bilbao. Er wird dort sehr geliebt. Ich habe viele sehr gute Trainer gehabt: Javier Clemente, Johan Cruyff oder eben Heynckes. Für mich ist er einer der besten Trainer Europas, und natürlich hat er mich, wie die anderen genannten Trainer auch, in meiner Arbeit beeinflusst. Vor allem die Art, wie er Spielern Selbstvertrauen gab, hat mir imponiert - und sein Anspruch an sich selbst, den er mit Cruyff gemein hat." Ernesto Valverde, 54, ist Trainer des FC Barcelona. Von 1992 bis '94 spielte er unter Heynckes für Athletic Bilbao.

Christian Panucci

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(Foto: Hektor Pustina/AP)

Der Fußball muss ihm dankbar sein "Für mich bleibt Jupp Heynckes natürlich mit der berühmten "Séptima" von 1998 verbunden, dem siebten Sieg von Real Madrid in der Königsklasse. Das war für mich als Italiener allein deshalb besonders, weil der Gegner im Finale in Amsterdam Juventus Turin war. Wir hatten alle einen enormen Druck. Vor allem Heynckes, immerhin waren seit Reals letztem Triumph 32 Jahre vergangen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich erinnere mich an etwas ganz Besonderes. Aber die Sicherheit und Ruhe, die er ausgestrahlt hat, ist haften geblieben. Ebenso die Verständlichkeit seiner Botschaften, seine absolute Gewissheit, dass wir gewinnen würden. Ich weiß, dass in der Presse immer wieder davon die Rede ist, dass die Mannschaft ihn nicht wollte. Im Gegenteil: Wir haben ihn immer wieder gegen Angriffe verteidigt. Er hat bei allen wunderbare Erinnerungen hinterlassen. Seine Lebensleistung ist einfach beeindruckend. Der Fußball muss ihm dankbar sein. Ich bin es jedenfalls." Christian Panucci, 45, ist Nationaltrainer Albaniens. 1998 gewann er unter Jupp Heynckes mit Real Madrid die Champions League. Heynckes musste in Madrid trotz des Sieges gehen.

Hermann Gerland

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(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Und jetzt Marmelade einkochen "Ich kenne Jupp seit 1972, aus unseren Spielen mit Bochum gegen ihn und Gladbach. Gegen Jupp hast du nie gerne gespielt - war das ein überragender Stürmer. Kopfballstark, beidfüßig, schnell. Keine Schwächen. Als Gegenspieler hatten wir uns aber immer respektiert, deswegen sind wir uns auch später verbunden geblieben. 1990 hat er mich dem FC Bayern empfohlen, wo ich seitdem wunderschöne Jahre habe. Ich bin ihm da nach wie vor dankbar. Letzten Herbst hat er mich dann angerufen und gesagt: "Bayern will mich, aber ich komme nur, wenn Peter Hermann und du wieder mitmachen." Ich habe keine Sekunde gezögert: "Jupp, ich bin dabei, du kannst dich auf mich verlassen." Obwohl ich Jupp schon so lange kenne, hat er mich danach überrascht. Er hatte sich in den vier Jahren im Ruhestand weiterentwickelt. Der ist in meinen Augen noch souveräner geworden! Der Jupp hat einfach eine Art, die Seele der Spieler zu erreichen. Das kommt ja nicht von ungefähr, dass Franck Ribéry jetzt gesagt hat: "Wir wollen den Pokal auch für Jupp gewinnen." Jupp spricht mit den Menschen. Er sagt ihnen auch, wenn ihm etwas nicht passt, aber immer in einer Art, dass die Spieler das auch verstehen. Die merken, dass er sie respektiert. Welcher Trainer würde sonst noch zur Meisterfeier den gesamten Verein einladen, vom Busfahrer bis zu denen, die unten die Kabinen säubern? Jupp hat eine natürliche Autorität, er nimmt jeden ernst, er fällt immer saubere Urteile. Wir werden ihn hier alle vermissen, wenn er auf seinem Hof im Schwalmtal den Garten pflegt, wenn er mit seinem Hund spazieren geht, wenn er Marmelade einkocht." Hermann Gerland, 63, ist Assistenztrainer von Jupp Heynckes beim FC Bayern. 2013 gewannen sie gemeinsam das Triple.

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