Internationaler Fußball:Die Mutter aller Sensationen

Lesezeit: 3 min

Vor 20 Jahren verloren Österreichs Fußballer 0:1 gegen die Färöer, einen Gegner, der aus Nebel und Regen gekommen war - die Niederlage wirkt bis heute nach.

Holger Gertz

Der österreichische Schriftsteller Friedrich Achleitner hat sich eine schöne Sammlung von Sätzen zu Österreich ausgedacht, vor ein paar Jahren flimmerten sie auf einem Leuchtband über die Fassade der Kunsthalle in Wien. "Österreich ist zu klein für große Dinge", "Österreich ist zu klein für Großwildjäger", "Österreich ist zu klein für Österreich". Ob Achleitner die Färöer-Inseln im Sinn hatte, als er das schrieb, ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich. Österreich als Nation wie als Nationalmannschaft sucht nicht die emotionale Mittellage, Österreich pendelt zwischen Größenwahn und Depression, zwischen Glauben an Wunder und Angst vor der Schmach, zwischen Cordoba und Landskrona. In Cordoba haben sie 1978 die Deutschen besiegt, 3:2, in Landskrona haben sie gegen eine Inselgruppe aus dem Nordatlantik verloren, 0:1. Vor zwanzig Jahren, am 12. September 1990, war Österreich nicht zu klein für Österreich, sondern sogar für die Färöer. Es war einer dieser Momente, in denen Fußball unglaublich wird.

Wieder nur 1:1. Auch 19 Jahre nach dem denkwürdigen Debakel konnten die Österreicher nicht gegen die Faröer gewinnen. (Foto: imago sportfotodienst)

Der große Ernst Happel war da noch nicht Nationaltrainer, denn - so Achleitner: "Österreich ist zu schwach für starke Raucher." Auf der Bank saß Josef Hickersberger, der nach dem Spiel "Färöer-Pepi" genannt wurde, es ging um die Qualifikation für die EM. Österreich hatte gerade bei der WM in Italien mitgespielt, die Färöer waren soeben Mitglied der Uefa geworden. Für Österreich traten an Herzog, Polster und andere Großwildjäger, in der Nationalelf der Färöer spielten Fischer und Hausmeister und Eisverkäufer. Der Torwart, Jens Martin Knudsen, arbeitete als Gabelstaplerfahrer und trug eine weiße Wollmütze. Eigentlich hätte er nach einer Kopfverletzung einen Helm tragen sollen, wie jetzt Petr Cech, aber die Helme damals waren zu schwer, er nahm die Mütze: Die würde schon zusammenhalten, was zusammengehalten werden musste.

Die Österreicher trafen den Torwart, die Mütze des Torwarts; sie trafen alles und nichts. Andreas Herzog sagte später: "Leider ist dem Torwart nicht öfter mal die Mütze über die Augen gerutscht, vielleicht hätte dann sogar der Polster mal ein Tor geschossen."

Sie begegneten dem Pech, indem sie sich ihm ergaben. In der 62. Minute schnappte Torkil Nielsen sich den Ball, ließ einige stockbeinige Österreicher in Nichts rennen und schoss den Ball ins Tor, ein schöner Treffer. Die 100.000 Schafe von Färöer blökten, und ganz Färöer jubelte. Tatsächlich würde ganz Färöer mit seinen knapp 50.000 Einwohnern in ein mittelgroßes Bundesligastadion passen.

Es war die Mutter aller Sensationspleiten. Österreich hatte verloren gegen einen Gegner, der aus Nebel und Regen gekommen war. Das Lieblingswort dort ist "kanska", das bedeutet "vielleicht". Alles hängt vom Wetter ab: Wenn man sich etwas vornimmt, kann man es vielleicht machen. Auf den Inseln gab es damals keinen vernünftigen Rasenplatz, weshalb sie in Landskrona spielten, das liegt in Schweden. Österreich hatte verloren gegen die Kleinsten der Kleinen, Österreich war gescheitert an einem Torwart, der - um die Wucht des Scheiterns zu betonen - eine Mütze trug, mit einem weißen Knubbel obendrauf.

Österreich hat sich nicht richtig erholt von der Niederlage, und dass kaum einer der Nationalmannschaft etwas Großes zutraut, hat auch mit diesem Spiel zu tun. In der Qualifikation für die WM 2010 trafen die Österreicher noch einmal auf die gefürchteten Färinger, tatsächlich brachten sie es zustande, wieder nicht zu gewinnen. 1:1, Knudsen war inzwischen im Betreuerteam, er hatte seine Mütze dabei, sie ist sehr alt und wird von Klebestreifen notdürftig stabilisiert, aber sie hält. Das alte Spiel von 1990 wirkt bis heute. Wenn Österreich gegen einen Kleinen antritt, merkt man, dass Färöer im Kopf spukt, die Angst vor der Blamage. Es ist ein Trauma.

Gerade haben sie in der EM-Qualifikation gegen den Winzling Kasachstan gespielt, sie rannten und rackerten, aber sie wurden immer nervöser, erst in der Nachspielzeit schossen Linz und Hoffer die Tore zum 2:0. Es war ein Sieg, aber es war eine gefühlte Pleite, die ewige Fortschreibung des Dramas, der Kampf gegen das, was letztlich unausweichlich ist.

Österreich ist zu klein für große Sprünge? Armin Thurnher, der kluge Journalist von der Wiener Wochenzeitung Falter, hat auch dazu alles gesagt: "Österreich musste seine Niederlagen akzeptieren, denn ohne sie würde es nicht existieren."

© SZ vom 11./12.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

EM-Qualifikation, 2. Spieltag
:Portugal in der Krise

Norwegen schlägt Portugal mit 1:0, Frankreich feiert ein Erfolgserlebnis gegen Bosnien, Huntelaar erzielt erneut zwei Tore und Tschechien verliert gegen Litauen. Alle Ergebnisse des 2. Spieltags der EM-Qualifikation.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: