Herthas wird seriös:Volley aus vollem Lauf

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  • Der VfB Stuttgart spielt auch in Berlin ganz ordentlich, verliert aber auch das vierte Saisonspiel.
  • Vor allem Herthas Treffer zum 2:1 durch Fabian Lustenberger bricht die Moral der Schwaben.

Von Martin Schneider, Berlin

Salomon Kalou sprach vom Töten, wirkte dabei aber wirklich glücklich. "Ich denke", sagte der Stürmer, "dieses zweite Tor hat ihren Kampfgeist gekillt." Es sei natürlich auch schon wichtig gewesen, früh zu treffen. "Gerade gegen ein Team, das schon dreimal verloren hat." Aber dieser zweite Hammer fast zeitgleich mit dem Halbzeitpfiff, der sei dann entscheidend für den 2:1-Sieg der Hertha gegen den VfB Stuttgart gewesen.

Dieser Hammer, das war ein Schuss von Fabian Lustenberger, den der, so Teamkollege Sebastian Langkamp "so nur einmal im Leben hinkriegt". Die Geschichte zum Schuss geht so: In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit bekommen die Berliner nochmal einen Eckball. Stuttgart ist zu diesem Zeitpunkt längst die klar bessere Mannschaft, als sich Lustenberger entscheidet, einen rausgeköpften Ball nicht zu stoppen, sondern volley aus vollem Lauf in die Maschen zu dreschen. Der Halbzeitpfiff geht im Jubel unter.

Diesmal bekam Stuttgart die Gegentore nicht in der zweiten Halbzeit

VfB-Trainer Alexander Zorniger sagte vor dem Spiel noch, man habe "nachjustiert". Der VfB hatte ja das bemerkenswerte Kunststück hinbekommen, gegen Köln, Hamburg und Frankfurt zu überzeugen, aber trotzdem mit null Punkten und mindestens drei Gegentoren vom Platz zu stapfen. "Wir haben uns nochmals intensiv mit den bisherigen Begegnungen beschäftigt und unsere Konsequenzen daraus gezogen", sagte Zorniger.

Dafür stellte er gezwungenermaßen um. In der Abwehrkette begannen Florian Klein und Neuzugang Toni Sunjic (kam aus Russland von Kuban Krasnodar) an Stelle von Daniel Schwaab und Timo Baumgartl, der mit Patellasehnen-Problemen ausfiel. Außerdem rückte Odisseas Vlachodimos ins Tor für den gesperrten Przemysław Tyton. Der hatte das bemerkenswerte Kunststück hinbekommen, in seinen ersten drei Bundesligaspielen zwei Elfmeter zu verursachen und fehlte in Berlin gesperrt.

Hammer von hinten: Berlins Lustenberger (M.) nimmt einen Abpraller von außerhalb des Strafraums volley und drischt ihn zum 2:1 gegen den VfB ins Tor. (Foto: Boris Streubel/Getty Images)

Das Nachjustieren sah dann gegen Hertha zunächst so aus, dass Stuttgart später attackierte als sonst. Zorniger ließ sein Team wieder im 4-1-4-1 verteidigen, allerdings mit der Vorgabe, die gegnerischen Verteidiger nicht sofort anzulaufen. Das sollte Kraft sparen, Zorniger hatte wohl erkannt, dass seine Art des Fußballs über 90 Minuten nicht durchzuhalten ist. Sieben seiner zehn Gegentore hatte der VfB bisher in Halbzeit zwei kassiert. Berlin auf der anderen Seite fürchtete die Gegenstöße des VfB und weigerte sich, das Spiel durch die Zentrale aufzubauen.

Das führte in den ersten Minuten zu der Situation, dass sich die Berliner Abwehrspieler so oft den Ball zuspielten, dass man Angst hatte, sie würden bis zum Ende des Spiels eine Art Trampelpfad in den Rasen passen. "Es war schon das Ziel, nicht so hoch zu stehen", erklärte Zorniger später. "Aber wir waren zu passiv."

Ausgespielt wie zwei Zehnjährige

Dann kam Mitchell Weiser. Der Zugang, vom FC Bayern gewechselt, setzte sich auf rechts gegen Filip Kostic durch und holte einen Einwurf raus. Den warf er selbst auf Vladimir Darida. Die Stuttgarter Emilio Insua und Filip Kostic hätten einfach stehen bleiben können und die Situation wäre unter Kontrolle gewesen, stattdessen liefen sie ungestüm auf Darida und Weiser zu und ließen sich ausspielen wie zwei Zehnjährige, die auf dem Bolzplatz gegen die älteren Jungs antreten müssen. Weiser passte auf Genki Haraguchi, der Adam Hlousek mit einer schnellen Drehung verlud und locker einschob. Ein Gegentor, das so in der Bundesliga nicht passieren darf. Da nützen auch alle taktischen Justierungen der Welt nichts.

Es tat dem VfB nach dem Gegentreffer sichtlich gut, mehr fürs Spiel tun zu müssen. Daniel Didavi übernahm Verantwortung, was übersetzt heißt: Er verzichtete zuweilen auf den sicheren Pass und riskierte dafür, durch einen Ballverlust schlecht auszusehen. Aber er sah selten schlecht aus, setzte vor allem Filip Kostic und Daniel Ginczek gut ein. In der 23. Minute versuchte Christian Gentner sogar eine Art Fallrückzieher.

Dass der Ausgleich dann auf die maximal einfache Weise fiel, dürfte keinen wirklich gestört haben. Martin Harnik holte an der Strafraumecke einen Freistoß raus. Flanke Didavi auf den kurzen Pfosten, wo Neuzugang Sunjic völlig frei einköpfte. In der 45. Minute musste dann Roy Beerens raus und Vedad Ibisevic, seit ein paar Tagen im Trikot von Hertha BSC, wurde vom Stuttgarter Anhang mit einem herzlichen Pfeifkonzert begrüßt. Als Alexander Zorniger sich wahrscheinlich schon eine Halbzeitrede mit den Schlagwörtern "Seht ihr", "Geht doch" und "Diesmal läuft es anders" zurechtgelegt hatte, kam Lustenbergers Kracher.

Ibisevic hätte Hertha höher gewinnen lassen können

"Ich bin sehr glücklich mit meiner Mannschaft, vor allem wegen der zweiten Halbzeit", sagte Hertha-Trainer Pal Dardai später. Denn da zeigte diese Hertha, dass aus ihr in dieser Saison mindestens mal ein seriöser Bundesligist geworden ist. "Wir haben gute Scouts und wussten, was wir gegen Stuttgart zu tun hatten", sagte Dardai.

Hertha tat dem VfB nicht den Gefallen, den Ball irgendwo leicht zu verlieren, sondern verteidigte ein bisschen höher als in Halbzeit eins. Kalou und Ibisevic hätten die Partie früh entscheiden können, scheiterten aber an Vlachodimos (Ibisevic) oder an den eigenen Füßen (Kalou). Und nachdem Zorniger Kostic wegen akuter Gelbrot-Gefahr und Didavi ausgewechselt hatte, flogen nur noch hohe Bälle in Richtung Hertha-Strafraum. "Das war vielleicht ein bisschen viel Kopf durch die Wand", sagte Zorniger.

So bleibt sich der VfB treu. Ein über weite Strecken ordentliches, teilweise wirklich gutes Spiel, aber am Ende: Nichts. Null Punkte und der vorletzte Tabellenplatz sind die Fakten. Zum ersten Mal in seiner langen Geschichte verliert der VfB die ersten vier Spiele hintereinander. "Das ist extrem bitter", sagte Zorniger. Sein aggressives Spielsystem mit dem hohen Pressing will er nicht in Frage stellen. Unter anderem mit dem berechtigten Argument, dass die Gegentore keine sind, die man wegen der Taktik kassiert habe.

Der überzeugende Toni Sunjic stand nach dem Spiel schulterzuckend vor den Mikrofonen und meinte: "Das ist natürlich schlecht für die Atmosphäre." Florian Klein entschied sich für Zweckoptimismus. "Wir hatten unsere Chancen und wir müssen jetzt eben an das glauben, was wir uns erarbeitet haben. Wenn wir in jedem Spiel was ändern, wird's erst recht schwierig."

Lustenbergers Kunstschuss war eine Wiederholung

Und Hertha? Ist so ein bisschen der Antagonist zum VfB Stuttgart. Wie schon gegen Augsburg am ersten Spieltag war der Sieg nicht zwingend. Aber am Ende war er eben da. "Wir müssen schon anerkennen, dass es ein Stück weit glücklich war", sagte Langkamp. "Das war in der ersten Halbzeit wirklich nicht gut." Es spricht wahrscheinlich auch eher für diese Berliner, dass sie auf Überschwang verzichteten. Als Lustenberger auf sein Tor angesprochen wurde, sagte er: "Ich hab ihn halt gut getroffen, und er ist eingeschlagen", in einem Tonfall, in dem er auch übers Schuhezubinden reden könnte.

Nur eine Sache, die war ihm noch wichtig. Gegen Karlsruhe 2009, da habe er schon mal so einen gemacht. Das war sogar das Tor der Hinrunde. Wenn "der Langkamp" also behaupte, so einen treffe er nur ein Mal im Leben, dann "soll er sich mal die Videos anschauen". Dann ändere er vielleicht seine Meinung.

© SZ vom 13.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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