Hannover 96: Martin Kind:"Wir agieren am Limit zur Unvernunft"

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Hannovers Klub-Präsident Martin Kind über die Dreiklassengesellschaft in der Bundesliga und die Notwendigkeit, Investoren zuzulassen.

Interview: Jörg Marwedel

SZ: Herr Kind, wie finden Sie es, dass sich der Getränkehersteller Red Bull den fünftklassigen Klub SSV Markranstädt "gekauft" hat, um als RB Leipzig - offiziell Rasen Ballsport - in den Profifußball aufzusteigen?

Sinn fürs Geschäft: Martin Kind, 65, leitet Hannover 96 sowie einen Hörgeräte-Hersteller. (Foto: Foto: Getty)

Martin Kind: Ungewöhnlich. Es ist aber eine klare Strategie erkennbar. Ich bin schon dafür, dass auf diese Weise auch Vereine sich entwickeln können, die sonst keine Chance hätten. Der Standort Leipzig ist mit Tradition verbunden und hat eine moderne Fußball-Arena. Es wäre für den ostdeutschen Fußball ein großer Erfolg, wenn auf diese Weise wieder ein Klub in die Bundesliga käme.

SZ: Sollte RB in der dritten Profi-Liga ankommen, hätte er allerdings ein Problem mit dem DFB und der DFL.

Kind: Wenn dann noch die 50+1-Regel gilt (die Regel, dass ein Verein die Mehrheit an seiner ausgelagerten Profi-Abteilung halten muss/Anm.), müsste er sich unterordnen, eventuell die Verträge modifizieren.

SZ: Sie haben Dietmar Hopp immer gelobt, der mit seinen Millionen aus dem Dorfverein TSG Hoffenheim einen international beachteten Klub gemacht hat. Ist Hopp, der aus Hoffenheim stammt und einst selbst dort gespielt hat, nicht ein völlig untypischer Investor?

Kind: Ich weiß nicht, ob es untypische Investoren gibt. Es bestätigt aber meine Theorie, dass bei ausreichender Kapitalausstattung, gutem Management und erstklassigem Trainer eine Mannschaft in die Bundesliga geführt werden kann, die sonst in der sechsten Liga wäre.

SZ: Im Herbst wird wohl von den 36 Profiklubs darüber abgestimmt, ob der Fußball für Investoren geöffnet wird. Sie benötigen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also 25 Mitstreiter, die es ähnlich sehen wie die Chefs Karl-Heinz Rummenigge (FC Bayern) oder Wolfgang Holzhäuser (Bayer Leverkusen). Würde die 50+1-Regel fallen, gäbe es dann bald mehr Vereine wie den VfL Wolfsburg, der eine hundertprozentige VW-Tochter ist?

Kind: Mittel- und langfristig wird es mehr Vereine geben, die von einem Eigentümer oder Investor geführt werden.

SZ: Und dann gibt es Vereine, die zum Beispiel Audi München heißen?

Kind: Bei meinem Vorschlag steht drin, dass die Marke eines Vereins nicht verändert werden darf. Es bliebe immer Bayern München. Es darf auch nicht so sein, dass ein Klub aus München die Lizenz hat und dann nach Hamburg delegiert wird. Das wäre Selbstmord. Im übrigen: Keiner muss, jeder kann.

SZ: Sie sagen: Mit einem Etat von 50 Millionen Euro kann ein Bundesligaklub keine Gewinne machen, um die Mannschaft zu verstärken, dafür benötigt man mindestens 70 Millionen. Warum?

Kind: Bayern München erwirtschaftete in der vergangenen Saison etwa 250 Millionen Euro, wir nur 53 Millionen. Es gibt eine Empfehlung für Bundesligaklubs, dass die Personalkosten nicht mehr als 50 Prozent vom Umsatz ausmachen dürfen. Bayern kann da locker mal 40 Millionen investieren, ohne dass sie irgendein Problem haben. 96 erwirtschaftet keine Gewinne. Das heißt, dass wir aus eigener Wirtschaftskraft nicht investieren können.

SZ: Ihr Kollege Heribert Bruchhagen aus Frankfurt sagt: "Wir haben eine Tradition zu verteidigen, die auf dem Gedanken des Sports fußt und nicht auf dem des Shareholder Value."

Kind: Mit Herrn Bruchhagen bin ich in Vielem einig, nur bei den Konsequenzen nicht. Auch Eintracht Frankfurt kann ja nicht investieren. So kommt man an einen Punkt der Stagnation. Bei der Tradition bin ich bei ihm und habe auch vorgeschlagen, dass Haltefristen vereinbart werden, damit Spekulationen oder Renditeerwartungen gar nicht erst zum Tragen kommen.

SZ: Ist das der Riegel für unliebsame Geldgeber?

Kind: Die Vereine müssen überlegen: Wie viel Prozent geben wir ab? Wenn Bayern München zehn Prozent an Adidas abgibt, bleiben sie doch Herr des Verfahrens. Das kann man doch entscheiden.

SZ: Viele Fans sind gegen solche Geldgeber. Der Frankfurter Fan-Anwalt Stefan Minden befürchtet, dass Fans "genauso überflüssig werden wie Nokia-Arbeiter in Bochum". Viele Fans befürchten, dass die Eintrittspreise weiter steigen, Stehplätze wegfallen und es noch mehr Anstoßzeiten gibt.

Kind: Die neuen Anstoßzeiten gibt es ja schon mit 50+1-Regel. Ich bin da Pragmatiker. Der Fernsehsender Sky muss das Geld erst mal wieder verdienen, das er der Bundesliga gibt. Das wird schwer. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Partner eine Refinanzierung ihrer Investitionen erreichen. Dass sie dann Einfluss nehmen auf Spielpläne, ergibt sich zwangsläufig. Das muss ich akzeptieren.

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Kind: Die Fans machen die Stimmung, sind für die Emotionen im Fußball wichtig. Sie haben eine hohe Bindung an den Verein. Es sind eben keine Kunden. Deshalb haben wir sieben Jahre lang unsere Preise in der Nordkurve nicht erhöht, als Signal der Anerkennung. Aber für die wirtschaftlichen Entscheidungen sind sie eher sekundär. Da ist der Kunde, der bei uns eher auf der Ost-, West- und Südtribüne sitzt, wichtiger.

SZ: Was können Geldgeber denn außer Werbung erwarten von einem Investment in einen Bundesligaklub?

Kind: Beim Fußball kann der Renditegesichtspunkt nur eine untergeordnete Rolle spielen. Erst ab einem Etat von 80 Millionen könnte man über Verzinsung und Ausschüttung nachdenken.

SZ: DFL-Präsident Reinhard Rauball sagt, wenn man Investoren ins Boot hole, verlasse man die Solidargemeinschaft.

Kind: Es gibt doch schon zwei Ausnahmen mit Wolfsburg und Leverkusen, dazu Hoffenheim. Daran sieht man, dass Investoren eine erfolgreiche Entwicklung einleiten können. Wolfsburg ist Meister geworden. Super. Hätten sie ohne VW nicht geschafft. Borussia Dortmund wiederum hat trotz der 50+1-Regel 150 Millionen Euro an der Börse eingesammelt. Sind das keine Wettbewerbsverzerrungen? Im übrigen: Die Zentralvermarktung kann ja bleiben.

SZ: In England sieht man, wie neue Besitzer die Vereine verändern. Oligarchentum und Leute, die einen Klub eine Zeitlang als Spielzeug nehmen, können ja auch nicht in Ihrem Sinne sein.

Kind: Es ist ein bisschen unappetitlich, dass man immer die englischen Beispiele missbraucht. Wir sollten uns am deutschen Markt orientieren. Die Engländer haben viel früher eine Unternehmenskultur im Fußball entwickelt. Deshalb ist das für die auch normal, dass Klubs ge- und verkauft werden.

SZ: In England haben Fans den FC United of Manchester gegründet, aus Protest gegen einen US-Investor bei United...

Kind: Aber der FC Chelsea, wo Herr Abramowitsch eingestiegen ist, spielt heute Champions League, hat ein neues Stadion. Vorher war Chelsea eine graue Maus, mit Abramowitsch hat es sich zu einer internationalen Marke entwickelt.

SZ: Mit einer Schuldenlast von mehr als 700 Millionen Pfund.

Kind: Abramowitsch kann natürlich sagen: Die Finanzierungskosten lege ich auf diese Gesellschaft. VW würde die Finanzierungskosten bestimmt nicht auf den VfL Wolfsburg legen.

SZ: Ist die Bundesliga so gesund, wie sie sich im internationalen Vergleich gerne macht?

Kind: Die Bundesliga lügt sich in die Tasche. Wir haben viele Vereine, die wie 96 immer am Limit zur Unvernunft agieren. Die Schulden sind natürlich auch viel höher als gesagt. Wer, wie 96, ein Stadion gebaut hat, lagert die Verbindlichkeiten in eine Gesellschaft aus. Diese Zahlen tauchen in den zur Lizenzierung eingereichten Unterlagen gar nicht auf.

SZ: Bei einer Ablehnung Ihrer Vorschläge steht als letzter Schritt der Gang vor das EU-Gericht an?

Kind: Alle juristischen Gutachten, die ich kenne - mit Ausnahme von Auftragsgutachten - bestätigen, dass wir gute Chancen haben, dass unsere Sichtweise dort bestätigt wird. Wie bei Bosman. Allerdings: Wenn wir vor Gericht gewinnen, sind alle Verlierer. Der DFB, die DFL und sogar wir. Ich will ja eigentlich gar kein Urteil, an das man sich dann konkret halten muss. Ich empfehle, die Zukunft lieber gemeinsam zu gestalten.

SZ: Was passiert, wenn die Investoren auch in Deutschland machen dürfen, was sie wollen?

Kind: Sie können die Strukturen aufbrechen. Bisher haben wir eine Dreiklassengesellschaft. Sechs Vereine, die auf Grund ihrer Umsätze gut aufgestellt sind. Dann Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim. Das untere Drittel hat ohne Investoren niemals eine Chance, in das obere Drittel zu kommen. Das ist fast festgezurrt. Dabei zeigt Hoffenheim: Die Zuschauer honorieren Leistung und Erfolg.

SZ: Letztes Jahr haben Sie gesagt, sie wollten mit Hannover 96 den nächsten Schritt Richtung Europa machen.

Kind: Das ist bei der derzeitigen Lage offenbar unrealistisch. Ich will keine Lex 96, aber wir würden, wenn die 50+1-Regel fällt, hier eine regionale Lösung finden mit hoher Identifikation, eine Art kleines Hoffenheim. Fällt die Regel nicht, kann ich aufhören. Mein Antrieb ist, 96 in die oberen Ränge zu bringen. Aber das geht ohne Investoren nicht.

© SZ vom 1.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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