Griechenland im Achtelfinale:Frische Sympathien für den Spielverderber

Lesezeit: 3 min

Griechenland bei der WM: Überraschend im Achtelfinale (Foto: AP)

Zu schnöde und unspektakulär: Spiele der Griechen sind nicht gerade ein Publikumsmagnet. Doch der Einzug ins Achtelfinale bringt dem Team neue Fans - es ist der verdiente Erfolg einer Mannschaft, die erst Rückschläge überwinden musste.

Von Thomas Hummel, Fortaleza

Wenn Fernando Santos spricht, wirkt er griesgrämig und in sich gekehrt. Er schaut seine Gegenüber selten an, mit der rauen, dunklen Stimme wirkt der grauhaarige Portugiese wie ein alternder Literat, der in einer Bar an der Ecke die Welt erklärt. An diesem Dienstag in Fortaleza zogen sich die Falten besonders tief in sein Gesicht, was vielleicht daran lag, dass in der Nacht zuvor ein Hubschrauber über sein Hotel gekreist war und er draußen am Balkon zwei Zigaretten geraucht hatte, weil er nicht schlafen konnte.

Nach dem Spiel am Dienstagabend im Estádio Castelão wurde ihm eine Frage auf Englisch gestellt: Was er denn dazu sage, dass die Fußballwelt ihn und seine Mannschaft nicht möge, weil sie so destruktiv spiele. Santos hörte mit ernstem Blick die portugiesische Übersetzung an. Dann öffnete sich plötzlich sein Gesicht und er lachte laut los. Die griechische Nationalmannschaft hatte gerade 2:1 gegen die Elfenbeinküste gewonnen, zum ersten Mal steht das Land in der K.-o.-Runde einer Weltmeisterschaft. Und dann hört der Trainer, dass sie niemand mag.

Griechenland im Achtelfinale
:Wie damals unter Rehakles

So geht echter Minimalismus: Den Griechen reichen zwei Tore gegen schwache Ivorer, um ins Achtelfinale einzuziehen. Dass das entscheidende 2:1 per Elfmeter in der Nachspielzeit fällt, erinnert an hellenische Heldentaten aus vergangener Zeit.

Von Thomas Hummel

Es ist ein wenig wie 2004. Bei der EM damals hatte mit dem Team auch keiner gerechnet

Nach dem Lachen zogen sich allerdings wieder Falten in Santos' Gesicht. Er antwortete rau und tief: "Im Fußball gibt es zwei Basiselemente, die man beherrschen muss: Defensive und Offensive. Wir verteidigen gut, und diesmal hatten wir über den Konter auch viele Chancen." Die Frage solle lieber den Italienern gestellt werden, die ihre Heimreise antreten werden. Die hätten das wohl nicht so gut hinbekommen.

Tatsächlich hatten die Spiele der griechischen Mannschaft zuvor wenig von einem Spektakel gehabt. 0:3 gegen Kolumbien und ein 0:0 gegen Japan in Unterzahl. In sieben von acht WM-Partien hatten sie kein Tor erzielt, die Griechen galten als Spielverderber. Wenn hinten die gute Abwehr um den Dortmunder Sokratis und Konstantinos Manolas von Olympiakos Piräus alles dicht macht und vorne die Stürmer stümpern, dann ist der Event-Zuschauer unzufrieden. Kommentatoren und Fans wünschten sich die Griechen schnell nach Hause an die Akropolis. Doch nun kam alles anders.

Frisurentrends der Fußball-WM
:Disco-Schnauzer, Lockenköpfe und martialische Irokesen

Seit wann trägt der brave Kroate Pranjic einen Irokesen? Und weshalb hat sich Cristiano Ronaldo einen Streifen in die rechte Kopfseite rasiert? Bei der Fußball-WM tun sich einige Spieler mit gewagten Haarexperimenten hervor. Ein Überblick über die prägenden Frisurentrends in Brasilien.

Die Griechen haben am letzten Spieltag der Gruppe C Tore geschossen und 2:1 gewonnen. Weil gleichzeitig Japan nicht gewann, landeten sie auf Platz zwei der Abschlusstabelle. Der Sieg war weder ermauert noch erduselt. Sie waren im Vergleich mit den hoch eingeschätzten Afrikanern um Didier Drogba, den Touré-Brüdern, Gervinho und Salamon Kalou die bessere Mannschaft. Sie kamen verdient weiter. Auch wenn der entscheidende Treffer erst in der dritten Minute der Nachspielzeit durch einen Elfmeter fiel. Selbst der Strafstoß war einwandfrei. Georgios Samaras verwandelte ihn sicher.

"Ich habe nichts gedacht, sondern nur versucht, den Ball ins Netz zu schießen und unseren Leuten etwas Glück zu geben. Ich bin so stolz auf unser Team", sagte Samaras. Er erinnerte sogleich an das größte Kapitel des heimischen Fußballs: "Wir sind eine Einheit, in guten wie in schlechten Zeiten. So, wie wir es auch im Jahr 2004 waren." Wie damals unter Trainer Otto Rehhagel, als Griechenland überraschend die Europameisterschaft gewann, traut der Mannschaft auch in Brasilien niemand was zu. Wie damals will sie auch hier niemand sehen angesichts der auf Sicherheit bedachten Spielweise und der wenig glamourösen Profis. Diese Außenansicht hat intern offenbar eine Einheit geschaffen. Auch an Rückschlägen mangelte es nicht.

Kapitän Konstantinos Katsouranis fehlte ohnehin wegen der gelb-roten Karte gegen Japan. Dann zog sich Panagiotis Kone vom FC Bologna, bislang einer der Besten, nach zehn Minuten eine Muskelverletzung zu. Torwart Orestis Karnezis folgte keine Viertelstunde später mit Rückenbeschwerden in die Kabine. Doch je mehr Widrigkeiten auf die Griechen einstürzten, desto mehr Mut zeigten sie. Von der 30. Minute an suchten und fanden sie den Weg in die Offensive, womit die Ivorer nicht gerechnet hatten. Der Favorit aus Afrika wirkte ratlos.

Am Ende schossen die Griechen zwei Tore, trafen dreimal Latte oder Pfosten und vergaben eine Vielzahl weiterer guter Möglichkeiten. So schufen sie in einem Spiel mehr Torchancen als in ihrer ganzen bisherigen WM-Geschichte zusammen. Wobei ihnen allerdings auch die Disziplinlosigkeit der Ivorer half.

Statt nach Hause fliegt die griechische Nationalmannschaft nun bald nach Recife, wo sie am Sonntag im Achtelfinale auf den Sieger der Gruppe C trifft, Costa Rica. Das Duell der Außenseiter weckt in Griechenland den Traum, dass es sogar noch weitergehen könnte im Turnier.

Fernando Santos gab sich nach dem Schlusspfiff erst einmal seinen Vorlieben hin, rauchte zwei Zigaretten und kündigte an, in der Nacht noch drei bis vier Bier trinken zu wollen. Er werde sich mit Freunden über den Erfolg unterhalten, sagte er, außerdem sei sein Sohn in Fortaleza, was ihm sehr wichtig sei. Es gibt also durchaus Menschen, die Fernando Santos und seine Mannschaft mögen. Seit Dienstagabend sind es sogar ein paar mehr.

© SZ vom 26.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK