Gladbach-Duelle gegen FC Bayern:Zurück in die goldenen Jahre

Lesezeit: 6 min

Protagonisten einer großen Rivalität: Franz Beckenbauer (li., Bayern) und Günter Netzer (Gladbach) vor einem Ligaspiel in der Saison 1972/1973. (Foto: Werek/Imago)

Schulterlange Matten, betäubte Gegner, Fußball in Perfektion: Das Aufeinandertreffen von Borussia Mönchengladbach und dem FC Bayern weckt Erinnerungen an die Siebziger. Unser SZ-Autor beschreibt, wie er Gladbach-Anhänger wurde - und blieb.

Von Joachim Käppner, Mönchengladbach

In der Erinnerung verklärt sich manches, deshalb habe ich mir lange ganz fest eingebildet, ich hätte Günter Netzer noch bei der Borussia spielen sehen. Wehende blonde Mähne, geniale Flanken, ein Mann, der unter seinesgleichen wirkte wie ein Gentleman in der Eckkneipe. Ich war ganz sicher, dass dieser Günter Netzer im Dezember 1975 im neu errichteten Müngersdorfer Stadion zu Köln jene Borussia angeführt habe, welche die Jungs vom FC mit 4:0 nicht nach Hause schickte, denn da waren die Kölner ja bereits, sondern ihnen mal zeigte, wer Herr im Hause ist.

4:0! 1:0 Allan Simonsen, 2:0 Jupp Heynckes, dann zwei Mal Henning Jensen. Die Borussia siegte souverän, und ich war mit meinem Großvater im Stadion dabei. Natürlich spielte Netzer damals längst in Madrid, was ich aber über die Jahre verdrängte. Wahrscheinlich hatte ich ihn im Fernsehen gesehen, ich war noch ein Junge und der Fernseher schwarz-weiß, mit abschließbarer Schiebetür vor dem Bildschirm. Den Schlüssel hatte mein Vater, und der rückte ihn selten heraus, aber zuverlässig immer zur Sportschau.

Ich lebte im Rheinland, und an meiner Schule gab es eigentlich nur vier Vereine, für die man sein durfte, ohne als Sonderling geächtet zu werden. Das waren der 1. FC Köln und für jene, die cool sein wollten, Fortuna Köln - und sehr cool musste man bei aller Liebe zu den Kleinen auch sein, um das Gekicke dieses Südstadtvereins zu ertragen. Die wahre Rivalität herrschte aber zwischen den Fans des FC Bayern und Borussia Mönchengladbach, den beiden Vereinen, die sich fast die gesamten Siebziger Jahre hindurch Meisterschaften und Pokale teilten.

Mit dem Time Tunnel zurück in die Goldenen Jahre

Das ist lange, lange her. Für meine Generation gab es auch eine Fernseh-Kultserie: "Time Tunnel". Deren Helden reisten mittels einer nicht ganz zielsicheren Zeitmaschine durch Raum und Zeit, auf die Titanic, nach Troja, in die Zukunft. Genau so fühlen sich ältere Gladbach-Fans jetzt: "Fußball-Gipfel", "Bundesliga-Spitzenspiel!" "Bayernjäger mit breiter Brust" schreiben die Zeitungen und Online-Dienste. Borussia Mönchengladbach ist Zweiter in der Tabelle, noch ungeschlagen, hat allein in dieser Woche 3:0 in Hannover und 5:0 in der Europa League gewonnen - dabei kannten jüngere Fans internationale Wettbewerbe bloß von den ewigen Erzählungen der Alten. Der Time Tunnel hat uns zurück in die goldenen Jahre befördert, nur dass die Spieler heute Tattoos tragen statt schulterlanger Matten.

Aber Hand aufs Herz: Wenn einer der neuen Helden, Stürmer André Hahn, von "Bayernjäger" nichts hören will, hat er ja so recht. Unter dem Konzepttrainer Lucien Favre hat die Borussia seit 2011 eine wundersame Wiederauferstehung erfahren. Sie beweist, dass auch in Zeiten, in denen der Fußball längst den Haifischgesetzen der Global Economy gehorcht, Spaß am Spiel, gute Ideen und gute Typen mit Wir-Gefühl viel mehr ausrichten können als man denkt. So gesehen ist der zweite Platz in der aktuellen Tabelle die Krönung konsequenter Arbeit. Aber das Dauerduell der Siebziger wird nicht wiederkommen, zumindest nicht jetzt und hier. Dafür sind die Bayern bereits viel zu entrückt.

FC Bayern gegen Gladbach
:Schlager ohne Robben

Ein Kräfteverhältnis wie in den siebziger Jahren: Die derzeit besten Bundesligisten FC Bayern und Borussia Mönchengladbach treffen am Sonntag aufeinander. Arjen Robben fehlt verletzt - dafür hat Gladbach jede Menge pfeilschnelle Spieler.

Aber damals war die Borussia genauso gut wie die Bajuwaren, nicht so nüchtern und effizient, nicht so reich - doch sie bot den Großen aus dem Süden ein Jahrzehnt lang Paroli, mit stürmischem Hurra-Fußball, wild gelockten Stars und unwiderstehlichem Drang auf Gegners Tor. "Gegen diese Mannschaft hätte heute niemand auf der Welt gewonnen. Das war Fußball in höchster Perfektion", sagte schon 1971, als die Borussia zum zweiten Mal die Meisterschale holte, ein gegnerischer Trainer. In den Siebzigern waren sie fünf Mal Meister, 1975 und 1979 holten sie den Uefa-Cup. Zehn Jahre auf Augenhöhe mit Bayern: Das müssen die Dortmunder erst mal schaffen.

Für uns Jugendliche - wir fuhren mit dem Regionalzug oft zum Bökelberg, dem kleinen, legendenumwobenen Stadion von Mönchengladbach, mit Fahnen, Fanschals, Tröten - war die Borussia Kult, wie man heute sagen würde. Aber nicht nur wegen ihres unvergleichlichen Spielstils, der ihr das ewige Etikett der "Fohlen" einbrachte; die Sportjournalisten gebrauchten es noch zwei Jahrzehnte später gern, als die Spieler vom Niederrhein längst wie müde Klepper über den Rasen stolperte.

Wir waren zu jung, um groß politisch zu sein; aber die Kerle da auf dem Rasen verkörperten irgendwie Freiheit, das Ungezwungene, Unangepasste, so gar nicht Spießige. Ihre Siege feierten die Jungs in Netzers Discothek "Lover's Lane". Wir liebten Bonhof, Kleff, den Zauberzwerg Simonsen dafür, dass sie cool waren und sich unsere Verwandten über die Frisuren und die "Langhaardackel" furchtbar aufregten. Gladbach, schwarz, grün, weiß, war nie ein reicher Verein, die Heimatstadt der Elf tiefe Provinz - aber die Borussia stand dafür, dass es gute Typen mit Gemeinschaftsgeist und einem genialen Fußballkonzept den ganz Großen zeigen konnten. Genau das, was heute wieder möglich erscheint, selbst wenn das Spitzenspiel am Sonntag nicht ganz so toll ausgehen sollte.

Gladbach hatte immer echte Typen, selbst in den dunklen Jahren, die mit den Achtzigern einsetzten. Was dem Verein an Geld und Masse fehlte, hatte er immer durch Esprit wettgemacht. Aber nach 1979 reichte das nicht mehr, trotz mancher Hoffnungsträger, welche die Hoffnung so lange trugen, bis sie verschwand.

Da war Uwe Rahn, der geniale Knipser, Torschützenkönig 1986/87, der eines Tages Land, Fußball und Verein verließ, aus Verdruss an allen dreien oder aus Liebeskummer, wer weiß das noch; er soll nun glücklich in Italien leben.

Da war Hans-Jörg Criens, einer der sympathischsten Kicker, die je in der Bundesliga spielten, er schoss bis 1993 immerhin 92 Tore für die Borussia. Es heißt, so habe ich das jedenfalls in Erinnerung, die ja wie erwähnt täuschen kann, er habe als einziger Fußballer je aus freien Stücken eine Einladung als Gast im "Aktuellen Sportstudio" abgelehnt, und das in der Zeit vor dem Internet, als ein spätsamstagabendlicher Auftritt im ZDF eine Art Ritterschlag war. Keine Zeit. Seine Freundin habe ihn zum Essen eingeladen.

Da war der Stürmer Igor Belanow, der erste von vielen vermeintlichen Rettern der späteren Jahre, 1989 für teures Geld aus Russland geholt und ein Totalausfall. Er blieb nur in Erinnerung, weil seine Gemahlin beim Klauen in der City erwischt wurde. Das Diebesgut fand sich im Kofferraum von Belanows schwarzem Luxusmercedes. Vergeblich beteuerte Frau Belanow, man habe dem Paar die Sachen untergeschoben: "Vielleicht ein Konkurrenzklub, der Angst vor den Toren meines Mannes hat?" Die Tore blieben aus, Trainer kamen und gingen sehr bald, mit der Borussia ging es bergab.

Ein Proletarier und zwei bubenhafte Knilche

Das konnte nicht einmal Stefan Effenberg verhindern, die verkörperte Erinnerung daran, dass Fußball einmal ein echter Proletariersport war. Titel seiner Memoiren: "Ich hab's allen gezeigt." Mit Torhüter Kamps, einem anderen Großen dieses aussterbenden Milieus, drehte er einmal einen Werbespot, welcher die beiden am Pinkelbecken zeigte. Aber Effenberg war ein Komet am Ball, deswegen ging er auch zum FC Bayern, und die Borussia stieg in die zweite Liga ab.

Und da waren zwei kleine, fast bubenhafte Knilche namens Marco Reus und Patrick Herrmann, von denen nur Experten je gehört hatten und die Bayer Leverkusen im Sommer 2010 so schwindelig spielten, dass Borussia die BayArena mit einem 6:3-Triumph verließ. Ein halbes Jahr später stand sie aber weit abgeschlagen auf Platz 18. Dann kam Favre.

Vor ihm sah die typische Saison viele Jahr lang ungefähr so aus: Sie beginnt mit einem qualvollen 1:1 daheim gegen, sagen wir, die Stuttgarter Kickers, lässt ein 0:2 gegen Bochum folgen sowie ein 0:4 in München, wenn es gut geht. Wenn nicht: 0:6. Nach zehn Spieltagen ist die Borussia auf dem 14. Platz, der Rest ist Abstiegskampf, nach dessen wundersamem Ende mit einem 14. oder 15. Platz die wenigen, die kicken konnten, ohne über den Ball zu fallen, den Verein wechselten.

Wenn ich gelegentlich meinen alten Freund Andreas treffe, dauert es nie länger als eine halbe Stunde, bis er mit einem tückischen Glitzern in den Augen fragt: "Was macht eigentlich die Borussia?" Wir saßen einst, vor fast 30 Jahren, in unserer WG-Küche, ein tonnenschwerer Röhrenfernseher aus Sperrmüllbeständen zeigte in erstaunlich scharfen Bildern, wie die Borussia in Madrid gegen Real 0:4 verlor. Null-zu-vier.

Gut, hätte man in den Jahren danach gesagt, nicht schön, ein Null-zu-vier, klar, dass man sich da nicht freut, aber gegen Real, das hätte schlimmer kommen können. Konnte es aber nicht: Das Hinspiel hatte Mönchengladbach 5:1 gewonnen, das Publikum sang berauscht Karnevalslieder, und die Stars von Real schlichen wie betäubt vom Platz. Aber Gladbach vergeigte das Rückspiel mit 0:4, und Real kam weiter wegen des eines Auswärtstores; so wie Gladbach es nach 1979 immer und immer wieder vergeigte, wenn der Ball plötzlich lief und die treuen Fans von der Wiederkehr der großen Jahre träumten, einen kurzen Augenblick nur.

2:8 im Herbst - geht es noch schlimmer?

Abstiege, Aufstiege, Ketten peinlicher, quälender Schlappen: einmal 2:8 zu Hause gegen Leverkusen, es war ein kalter Herbstabend 1998. "Geht das überhaupt noch schlimmer?" fragte eine Zeitung. Oh ja, das geht: Nächster Spieltag: 1:7 in Wolfsburg. Umgekehrt ging wenig. Im Stadion erzählten sich die Zuschauer Witze: "Fernseh-Übertragungen von Gladbach-Spielen werden immer beliebter. Ein Drittel der Bundesbürger schaltet regelmäßig ein. Der Rest greift auf herkömmliche Schlafmittel zurück."

Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, haben wir Gladbach-Fans gehofft. Wir haben Effenberg-Interviews ertragen, den Abriss des Bökelberges und das grässliche Maskottchen "Jünter". Wir haben, als es noch kein Internet gab, nachts aus dem Urlaub den telefonischen Ergebnisdienst der Post angerufen, einmal am Deich aus einer sturmumwehten gelben Telefonzelle heraus, und gehört: 2:0-Heimsieg gegen Nürnberg.

Ganz oft schon, wenn die Borussia lichte Moment erwischte, haben wir fest daran geglaubt, dass endlich wieder alles gut wird. Und jetzt ist es soweit. Ein echter Fan fühlt das ganz genau.

© Sport am Wochenende - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: