Fußball-WM:Einst ein Küken, heute Russlands große Hoffnung

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Wer Alexander Golowin ausschaltet, macht es Russland viel schwerer. Saudi-Arabien ist das im Eröffnungsspiel nicht ganz so gut geglückt. (Foto: Getty Images)
  • Im heutigen Spiel gegen Ägypten kann Russland vorzeitig das Ticket fürs Achtelfinale lösen.
  • Entscheidend dafür könnte auch die Leistung des wohl besten Spielers der Russen sein: Alexander Golowin.
  • Der 22-Jährige Mittelfeldmann ist die größte Hoffnung im russischen Fußball.

Von Johannes Aumüller, Sankt Petersburg

Es ist nicht lange her, da war Alexander Golowin das Symbol für die Krise des russischen Fußballs. Wenn auch unfreiwillig. Im dritten Gruppenspiel der EM 2016 war das, gegen Wales. In der 52. Minute kam er für Kapitän Roman Schirokow, bekam dessen Spielführerbinde in die Hand gedrückt - und suchte dann auf dem Platz verzweifelnd und fast vergeblich nach jemandem, dem er nun die Binde überreichen konnte. Irgendwie, so hatte es den Anschein, wollte an diesem Tag und bei diesem schlechten Turnier (nur ein Punkt, letzter Platz in der Vorrundengruppe) niemand Kapitän dieses schwachen Teams sein.

Und jetzt, keine zwei Jahre später, ist Alexander Golowin das Symbol für die Hoffnungen des russischen Fußballs.

Im Stadion von Sankt Petersburg, diesem gigantisch teuren Komplex, der etwa eine Milliarde Euro kostete, hat sich Russlands Elf am Montag zum Training versammelt. Es herrscht gute Stimmung; als sich ein Reporter in der Pressekonferenz nach der Qualität des Balles erkundigt, will Trainer Stanislaw Tschertschessow ein Exemplar von der Tribüne hinunterwerfen. Die Sbornaja bereitet sich aufs zweite Spiel gegen Ägypten vor (Dienstag, 20 Uhr), sie könnte nach dem 5:0 gegen Saudi-Arabien die Qualifikation fürs Achtelfinale fix machen. Über Top-Angreifer Mo Salah wollen sie sich nicht zu viele Sorgen machen. "Wir spielen gegen Ägypten und nicht gegen ihn", sagt Tschertschessow: "Ich vertraue meinen Spielern und bin sicher, dass wir es hinbekommen werden." Neben dem Vertrauen in die Abwehr liegt die Zuversicht vor allem an jenem Alexander Sergejewitsch Golowin, Mittelfeldspieler, 22 Jahre alt und derzeit der wohl beste Feldspieler Russlands.

Der Bergarbeiter-Sohn mit der steilen Karriere

Es ist eine ungewöhnlich steile Karriere, die Golowin in den vergangenen Jahren hingelegt hat. Aus dem 20 000-Einwohner-Städtchen Kaltan in der Region Kemerowo in Sibirien stammt er, "Küken" nannten sie ihn dort in der Jugendauswahl, mit 16 Jahren landete er bei ZSKA Moskau, dem besten russischen Klub der vergangenen Jahre. Er war Teil eines Jahrgangs, der aufhorchen ließ mit dem Titel bei der EM der U17 im Jahr 2013 und Platz zwei bei der EM der U19 zwei Jahre später. Schon als 19-Jähriger etablierte er sich als Stammspieler seines Vereins.

Es gibt ein ungewöhnliches Bild von Golowin aus jenen Tagen. 2016 erhielt er eine Auszeichnung als bester Nachwuchsspieler des Jahres, und zur Preisverleihung erschien er in kompletter Bergarbeiter-Ausrüstung, mit rußgeschwärzten Wangen und Stirnlampe. Es sollte ein Gruß an seine Heimat sein, der Vater war ein sogenannter Schachtjor, ein Bergarbeiter, sein erster Trainer auch.

Insbesondere Leonid Sluzkij erwies sich in diesen Jahren als großer Förderer. Der charismatische Übungsleiter, inzwischen Co-Kommentator im Fernsehen, war lange Trainer von ZSKA Moskau (2009 - 2016) und für kurze Zeit auch in der Nationalelf (2015/16). Er habe in seinem letzten Jahr als Klubcoach eigentlich kaum noch Motivation verspürt, so berichtete es Sluzkij mal dem Sport Express, aber um Golowin entwickeln zu können, habe er noch ein Jahr drangehängt. Sluzkij nahm seinen Lieblingsspieler dann sogar mit zur EM 2016, wo er in allen drei Gruppenspielen zum Einsatz kam. Seitdem steigerte sich Golowin noch mal so sehr, dass ihn die Experten vor einigen Wochen zum besten Spieler der Saison kürten.

Es gibt nicht viele andere Talente, die im russischen Fußball in den vergangenen Jahren nachrückten. In Russland sind daher gerade viele Hymnen zu vernehmen. Golowin ist in der Tat ein ziemlich kompletter Spieler, sehr beweglich, technisch stark und mit guter Übersicht, in der Nationalmannschaft etwas offensiver unterwegs als im Verein. Im Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien bekam zwar der eingewechselte Doppel-Torschütze Denis Tscheryschew die Auszeichnung "Spieler des Spiels", aber das war eine typische Entscheidung der Inspektoren vom Weltverband, die besonders die Torschützen im Auge haben. Tatsächlich war Golowin der beste Mann, als ständiger Bällebinder und -verarbeiter, als Vorbereiter von zwei Treffern und als Schütze eines feinen Freistoß-Tores zum 5:0-Endstand.

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Sbornaja-Trainer Stanislaw Tschertschessow will, wie immer, nicht zu überschwänglich klingen, wenn es um Golowins Fähigkeiten geht. Er weiß genau, wie viele junge russische Spieler schon hoch gehandelt worden sind, um dann doch zu enttäuschen. "Er hat bestimmte Aufgaben, die er ausfüllen kann. Wir geben ihm die Möglichkeit, seine Qualitäten zu zeigen", sagte Tschertschessow also: "Sein erstes Spiel war gut, jetzt hoffen wir, dass es die nächsten auch werden."

Längst ist Golowin bei internationalen Großklubs ins Visier geraten. Die russischen Beobachter halten einen Wechsel nach der WM für abgemacht. Golowins Agent Oleg Artjomow gehört zu den einflussreichsten Figuren auf dem russischen Spielermarkt. Insbesondere Juventus Turin steht hoch im Gerüchte-Kurs. Doch als sich nach dem ersten WM-Spiel im Moskauer Luschniki-Stadion ein italienischer Reporter nach den Absichten erkundigte, wiederholte Golowin auch auf die fünfte Nachfrage hin stoisch, über seine Zukunft denke er jetzt nicht. Das kann ja auch sein Agent Artjomow für ihn übernehmen.

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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