Fußball-WM:Sehr, sehr großes Island

Lesezeit: 3 min

Erfolgreicher Flieger: Islands Torwart Hannes Halldorsson (Foto: Getty Images)
  • Island feiert das 1:1 bei der Fußball-WM gegen Argentinien wie einen Sieg.
  • Held des Tages ist Torwart Hannes Halldorsson, der einen Elfmeter von Lionel Messi pariert.
  • Hier geht es zum Spielplan der Fußball-WM.

Von Claudio Catuogno, Moskau

Bisweilen führt der Fußball, der ja bekanntlich verbindet, auch Dinge zusammen, die nun wirklich nicht zusammengehören. Auch nicht unter Aufbringung aller verfügbarer Fantasie. Zum Beispiel den FC Augsburg und Lionel Messi.

Aber so kann es gehen: Da stand am Samstagnachmittag also der fünfmalige Weltfußballer mit seiner argentinischen Nationalelf auf dem Rasen des Spartak-Stadions in Moskau, erster Gegner bei der WM, Gruppe D, war das sehr kleine Island. Die Isländer sind zwar auf gewisse Weise auch wieder sehr große Fußballer, über 1,85 Meter im Schnitt, aber sie spielen natürlich nicht in den ganz großen Klubs. Dafür gibt es einfach zu wenige von ihnen, insgesamt bloß 350.000 Einwohner.

Die Isländer stehen zum Beispiel bei Randers FC in Dänemark unter Vertrag wie der Torhüter Hannes Halldorsson oder bei Cardiff City in Wales wie der Kapitän Aron Gunnarsson, der allerdings immerhin in der Champions League der Bartträger mitspielt. Und Alfred Finnbogason spielt eben beim FC Augsburg. Die Leute kennen ihn dort als einen der besten Stürmer der Bundesliga, aber man tritt Lionel Messi nicht zu nahe mit der Vermutung, dass er von Alfred Finnbogason bisher noch nicht so viel gehört hatte.

"Ein Meilenstein für meine Mannschaft", sagt Trainer Hallgrimsson

Doch das Schöne am Fußball ist halt, dass Klein und Groß manchmal ein bisschen verrutschen, wenn die Heldengeschichten geschrieben werden. Und am Samstag war es in Moskau so, dass Finnbogason doch tatsächlich ein Tor gegen Argentinien erzielte, das 1:1 in der 23. Minute. Und dass Lionel Messi es dann auf dem Fuß hatte, dieses kleine Missgeschick aus Sicht des WM-Finalisten von 2014 wieder geradezubiegen - in der 64. Minute, per Elfmeter.

Doch Messi verschoss, oder besser: Hannes Halldorsson, der bereits erwähnte Torwart von Randers FC, eines Klubs, der, wie Kenner wissen, die Spielgemeinschaft der Vereine Dronningborg Boldklub, Hornbæk Sportsforening, Kristrup Boldklub, Randers Sportsklub Freja, Randers KFUM und Vorup FB bildet, Halldorsson also hielt Messis Elfmeter. Manchmal macht sich das Kleine wirklich sehr, sehr groß. Am Ende feierten die Isländer das 1:1 wie einen Sieg. Wobei: "Wartet erst mal", sagte hinterher der sehr lässige Trainer Heimir Hallgrimsson, "bis wir wirklich ein Spiel gewinnen, was das dann für eine Party wird."

Ganz aus dem Nichts sind die Isländer zwar auch nicht erschienen bei dieser Weltmeisterschaft in Russland: Man erinnert sich an den von vielfachen Huh-Rufen begleiteten Triumphzug bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren in Frankreich, ein Sieg gegen England im Achtelfinale inklusive. Und danach haben sie in der WM-Qualifikation sogar ihre Gruppe gewonnen, vor Kroatien, der Ukraine und der Türkei. Aber bei einer WM waren sie noch nie dabei, "dann ausgerechnet Argentinien als ersten Gegner", sagte Hallgrimsson - "und gleich ein Punkt. Das war sicher ein Meilenstein für meine Mannschaft." Jetzt folgen noch Nigeria und wieder Kroatien.

Dabei schien zunächst alles nach Plan zu laufen am Samstagnachmittag im Spartak-Stadion. Also für Argentinien. Die fünfte Minute: Freistoß Messi, halblinks, Kopfball Otamendi, knapp vorbei. Die achte Minute, Freistoß Messi, wieder halblinks, Kopfball Tagliafico, wieder knapp vorbei. Aber eine Mahnung hätte den Argentiniern schon jenes Abwehrdurcheinander sein müssen, an dessen Ende Birkir Bjarnason den Ball knapp neben das Tor von Wilfredo Caballero setzte (9.). Bjarnason, 30, spielt übrigens bei Aston Villa, zweite englische Liga.

Die Argentinier belagerten dann weiter den Strafraum der Isländer, und in der 19. Minute setzte Sergio Aguero (Manchester City) den Ball nach einer feinen Körperdrehung im Strafraum zur Führung ins Tor. Doch Finnbogason glich aus. Und am Ende verdichtete sich alles in Messis Elfmeter.

Apropos Verdichtung: Wenn schon Underdog-Fußball, dann richtig, das war auch diesmal das Erfolgsgeheimnis der Isländer. Zwei eng gestaffelte Viererketten, eine im eigenen Strafraum, eine knapp davor, für diese Spielweise ist mal der Begriff vom Betonanrühren erfunden worden. Und mal so gefragt: Wer sagt denn, dass Beton unbedingt schlechter sein muss als feinbemalte Keramik?

Island hat Spaß am eigenen Spiel

Ob das seinen Spielern eigentlich Spaß mache, wurde Hallgrimsson hinterher gefragt, dieses ständige Vermauern und Verspachteln aller verfügbarer Räume, immer in der Gewissheit, dass jede kleine Unaufmerksamkeit das Ende sein kann gegen die begnadeten Dribbler aus Südamerika? Hallgrimsson lächelte und entgegnete: "Um ehrlich zu sein, ich glaube: Ja, es macht ihnen Spaß. Wir haben diese klare Identität, alle sind da an Bord, nur so können wir das Spiel organisieren - aber so können wir es. Und für alle ist es doch mehr Genuss, so zu spielen und etwas zu erreichen, als anders zu spielen und nichts zu erreichen."

In jedem Fall haben die Isländer eine hübsche kleine Messi-Debatte ausgelöst. Trägt er wie immer zu viel von der Last bei den Argentiniern?

Man kann nicht sagen, dass Lionel Messi nicht alles versucht hätte, um irgendwie doch noch den Sieg zu erzwingen. Aber "das Tempo, die Kreativität haben gefehlt", sagte Jorge Sampaoli, der argentinische Trainer. Bis in die Nachspielzeit setzte Messi seine Bälle Richtung Tor, vergeblich. Derweil brachte der Trainer Hallgrimsson noch den Mittelfeldspieler Rurik Gislason, 30, was in diesem Lehrstück über Klein und Groß noch so eine kleine aber irgendwie auch große Pointe war. Rurik Gislason spielt beim SV Sandhausen.

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