Fußball: WM in Deutschland:Frau oder Mann?

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Hat sich das afrikanische Land die WM-Teilnahme erschlichen? Genoveva Añonma aus Äquatorialguinea ist schnell, trickreich, torgefährlich - und ein Mann, sagen die Konkurrenten.

Boris Herrmann

Genoveva Añonma hat lange überlegt, ob sie ihre Mutter alleine lassen kann. Sehr lange. Sie ist ja das einzige Kind, und der Vater hat sich schon seit Jahren nicht mehr zu Hause blicken lassen. Añonma erzählt, ihre Mutter habe drei Tage und drei Nächte geweint, als sie sich schließlich entschlossen habe, die Koffer zu packen. "Aber was soll man machen, wenn das Schicksal ruft?"

Von Äquatorialguinea ins Paradies nach Jena: Genoveva Añonma. (Foto: imago sportfotodienst)

Das Schicksal hat Genoveva Añonma, 21, aus Äquatorialguinea ins Paradies gerufen. Nicht in das, in dem die verbotenen Äpfel wachsen, aber immerhin in eines, das sich unweit des Bahnhofs Jena-Paradies befindet. In Añonmas Paradies steht eine graue Baracke, die vom Fortschritt der vergangenen zwanzig Jahre übersehen wurde. In dem Büro rechts hinten sitzt der thüringische Alpenverein, das Zimmer auf der linken Seite ist Sitz des Frauenfußball-Bundesligisten FF USV Jena.

Wenn es das Schicksal mit Añonma gut meint, dann wird sie den Klub auch in dieser Saison wieder vor dem Abstieg retten und sich gleichzeitig um seinen Ruhm in den Tropen verdient machen. Laut Augenzeugen ist der USV Jena inzwischen der mit Abstand beliebteste Klub Äquatorialguineas - weil in Jena nun einmal die einzige bekannte Sportlerin des Landes spielt. "Als ich das letzte Mal zu Hause war, musste ich einen ganzen Koffer mit blau-weißen Trikots mitbringen", erzählt sie.

Die Heizung in der Geschäftsstelle gibt alles, Genoveva Añonma lässt ihren Anorak trotzdem an. Sie ist im Winter 2009 nach Thüringen gekommen, mit den Temperaturen weiß sie inzwischen umzugehen. Sie wundert sich aber bis heute darüber, weshalb sich die Menschen in Deutschland so freuen, wenn es schneit. "Wenn es schneit", sagt Añonma, "kann ich nicht laufen. Ich muss ständig meine Schuhe wechseln. Ich leide wie ein Huhn."

Für eine Frau, die immer wieder von Heimweh übermannt wird und die Schrecken des Eises und der Finsternis inbrünstig beschreibt, sieht Añonma recht glücklich aus. Für eine Frau, der gerade entgegenschlägt, dass sie gar keine Frau sei, wirkt sie fast schon tiefenentspannt.

Genoveva Añonma stammt aus einem Dorf nahe der Hauptstadt Malabo. Sie ist eine Straßenfußballerin, die bis vor wenigen Monaten von taktischen Systemen keine Ahnung hatte. "Ich habe nie gelernt Fußball zu spielen. Ich bin damit geboren worden." Mittlerweile gilt sie als eine der besten Stürmerinnen Afrikas. Sie ist schnell, trickreich und torgefährlich. Mit 19 Jahren schoss sie Äquatorialguinea - ein Land, das bis dahin auf der Karte des Weltfußballs nicht existierte - zum Gewinn des Afrika-Cups.

Im Herbst dieses Jahres hat sich das Team mit der inzwischen 21-jährigen Spielführerin Añonma für die WM 2011 in Deutschland qualifiziert. Manch einer fühlt sich angesichts ihres Spiels an Cristiano Ronaldo erinnert. Allerdings nicht nur, weil sie wie der Portugiese aus vollem Lauf hinter dem eigenen Standbein flanken kann. Seit einigen Wochen kursiert das Gerücht, Añonma spiele vor allem deshalb so männlich, weil sie ein Mann sei.

Die Fußballgroßmacht Nigeria, die ebenfalls an der WM in Deutschland teilnimmt, hat offiziell Beschwerde beim Kontinentalverband CAF eingereicht. Der will die Sache prüfen. Neben Añonma werden auch die Schwestern Biliguisa und Salimata Simpore verdächtigt, für das falsche Nationalteam Äquatorialguineas im Einsatz zu sein. "Ich bin die Spielführerin, ich kenne alle Spielerinnen, ich wüsste doch, wenn wir bei uns Männer dabei hätten", sagt Añonma.

Der Fall der südafrikanischen 800-Meter-Läuferin Caster Semenya hat offenbart, wie schwer sich der Sport mit ungelösten Geschlechterfragen tut. Auf der einen Seite steht das Gebot des fairen Wettkampfes. Auf der anderen Seite steht der zum Teil entwürdigende Umgang mit jungen Menschen, die möglicherweise selbst nicht genau wissen, in was für einem Körper sie stecken. Es ist nämlich gerade nicht so, dass sich die gesamte Menschheit ohne weiteres nach wissenschaftlichen Merkmalen in Männlein und Weiblein einteilen ließe. Der Sport jedoch ist auf solche objektiven Kriterien angewiesen, und weil das so ist, macht er sich an den Grenzen dieser Kriterien grundsätzlich auch für Betrug anfällig.

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Die Frage, ob sich Äquatorialguinea die WM-Teilnahme tatsächlich mit unlauteren Mitteln erschlichen hat, wird der afrikanische Verband hoffentlich mit dem nötigen Erkenntniseifer und dem gebotenen Einfühlungsvermögen untersuchen. Über Genoveva Añonma lässt sich sagen: Sie sieht aus wie eine Frau, sie spricht wie eine Frau, sie kleidet sich wie eine Frau. Wenn man ihr gegenübersitzt, käme man nicht im Traum auf die Idee, ihre Weiblichkeit anzuzweifeln. "2006 kamen diese Gerüchte erstmals auf, da haben sie mich getestet", sagt sie mit einem Lächeln, "wenn sie wollen, können sie mich jederzeit wieder testen."

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Añonma glaubt, dass die Geschichte auch mit Neid zu tun haben könnte. "Wir sind das kleinste Land Afrikas. Niemand interessiert sich für uns. Und plötzlich sind wir bei der WM. Ist doch klar, dass da viele misstrauisch werden", sagt sie. Es passe ins Bild, dass ausgerechnet die nigerianische Trainerin Eucharia Uche aus ihrem Misstrauen eine öffentliche Anklage machte. "Wir sind die einzige Mannschaft, die Nigeria in Afrika stoppen kann. Deshalb versuchen sie mit allen Mitteln, uns Probleme anzudichten."

Woher kommt dann diese Leistungsexplosion? Guineas Frauenmannschaft trug ihr erstes Länderspiel erst im Jahr 2002 aus. Schon damals saß Añonma auf der Bank, sie war zwölf. Seitdem kann das Team die für einen Anfänger unheimliche Bilanz von zwölf Siegen und acht Niederlagen vorweisen. Gott, sagt Añonma, habe Guinea in den vergangenen Jahren eben ausnahmsweise einige Momente des Glücks geschenkt. Sie hat aber noch einen anderen - eher weltlichen - Erklärungsansatz parat: "Wir haben nur drei Spielerinnen aus Guinea."

Alle anderen seien Söldnerinnen, vorwiegend aus Südamerika, die sich gegen Zahlung einer Aufwandsentschädigung aus dem Sportministerium hätten einbürgern lassen. Die meisten Nationalspielerinnen haben laut Añonma weder Familie noch Vorfahren in Guinea, sie seien nur des Fußballs wegen in Afrika. Wenn das so einfach geht, weshalb ist dann die Männermannschaft noch nicht auf dieselbe Idee gekommen? "Männer einzukaufen, ist viel teurer", glaubt Añonma.

Möglicherweise gibt dieses Team vor der WM in Deutschland noch so manches Rätsel auf, jenseits der Gender-Debatte. Äquatorialguineas Fußballverband (Feguifut) ließ eine SZ-Anfrage zu seinem ungewöhnlichen Modell der Kaderplanung unbeantwortet. Genauso wie die Frage, wer im Moment eigentlich Nationaltrainer ist. Beim Weltverband Fifa wird weiterhin der Kongolese Jean-Paul Mpila als Coach geführt. Añonma behauptet allerdings felsenfest, dass Mpila gefeuert wurde

"Jetzt haben wir einen Portugiesen", sagt Genoveva Añonma. Wie der heißt? Das weiß sie auch nicht so genau.

© SZ vom 11.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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