Fußball-WM:Belgien ist gerührt vor Stolz

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Kevin De Bruyne: Nahm das WM-Aus erstaunlich gelassen (Foto: AP)
  • Die Belgier wirken nach dem verlorenen Halbfinale gegen Frankreich erstaunlich aufgeräumt - sie sind mit ihrem Abschneiden höchstzufrieden.
  • Tatsächlich war das Team im Turnier eine der Mannschaften, die einen aufregenden, positiven Fußball geboten hatten.
  • Für das defensive Verhalten der Franzosen zeigen die Spieler Verständnis. "Wir hätten das doch auch gemacht", sagt Kevin De Bruyne zum Zeitspiel der Franzosen aus der Schlussphase.

Von Javier Cáceres, Sankt Petersburg

Wer Kevin De Bruyne schon mal nach Niederlagen erlebt hat, bei Werder Bremen oder beim VfL Wolfsburg zum Beispiel, der konnte sich Dienstagnacht in Sankt Petersburg nur wundern. Denn da stand er nun, der Mann, der so oft der Inbegriff desjenigen war, der keine Niederlage verarbeiten konnte, der nach Pleiten innerlich immer so dampfte, dass man meinen konnte, jemand habe ihm eine heiße Fango-Packung aufs Gesicht gelegt, bis die Haut so rot war wie die Haare. Nun aber stand er da, und er war entspannt.

Belgien hatte soeben 0:1 gegen Frankreich verloren und damit den Einzug ins Finale verpasst. Aber De Bruyne stand da, umringt von Journalisten, und er wirkte mehr als nur ausgeglichen. Er schien gerührt. Er lächelte, als rede er nicht über ein sportliches, nun ja, Drama. Sondern als habe er gerade verträumt mit seiner Frau auf der Wiese Gänseblümchen gepflückt. "Wir sind ein kleines Land", sagte De Bruyne, "wir haben nicht die Ressourcen, das Geld, die Infrastruktur, die andere haben. Wir können froh und zufrieden sein, diese Mannschaft zu haben." Mehr war halt nicht drin, so schien er sagen zu wollen.

Wenn man eins am Gemütszustand der Belgier nachvollziehen konnte, dann wohl dies: Sie waren tatsächlich im Turnier eine der Mannschaften gewesen, die einen aufregenden, positiven Fußball geboten hatten. Und sie wussten, dass ihnen daheim niemand einen Vorwurf machen würde nach der Niederlage in der Runde der letzten vier. "C'est fini!", titelte anderntags die elegante flämische Zeitung De Standaard auf Französisch: Aus und vorbei, und sie drapierte darum die traurigen Porträts der elf belgischen Spieler. Doch darunter stand auch in einer Melange aus zweien der drei offiziellen Landessprachen dies: "Maar merci": Aber Danke.

Am Dienstagmorgen hatten sich ein paar Mitglieder des Betreuungsstabes doch tatsächlich in die Eremitage verirrt, in den Ballonseide-Anzügen der belgischen Delegation. Und das konnte eigentlich nur dies heißen: Die Belgier waren sich sicher, dass es die letzte Gelegenheit sein würde, die monumentale Gemäldegalerie zu sehen. Zumindest im Laufe dieser langsam ersterbenden WM. Das Finale findet am Sonntag in Moskau statt; das Spiel um den dritten Platz hingegen am Samstag in Sankt Petersburg. Selbstüberzeugung war bei den Belgiern also da. Und siehe, als die Partie gegen die Franzosen begann, konnte man sich 25 Minuten lang fragen, ob die Eremitage-Abordnung des belgischen Verbandes womöglich schauen wollte, ob man den einen oder anderen Saal neu arrangieren könnte. Um das Spiel ihrer Mannschaft etwa im Kreise der Flämischen Meister auszustellen.

Dem Fußball, den die Belgier zu Beginn boten, haftete durchaus etwas Meisterhaftes und Museales an; auch weil der großartige Kapitän Eden Hazard brillierte, wie schon beim Viertelfinalspiel gegen Brasilien. Allein: Über Prüfungen für den französischen Torwart Hugo Lloris kam er nicht hinaus, und nach 25 Minuten fing all diese kompakte Verschieberei der Franzosen an aufzugehen. "Fußball ist ein Spiel, in dem es um Tore geht", sagte Kevin De Bruyne. Und das erzielten nun mal die Franzosen, als der Innenverteidiger Samuel Umtiti vom FC Barcelona in der 51. Minute eines dieser Tore erzielte, die dieses Turnier zu einer Art Abrissbirnen-WM gemacht haben. Er traf per Kopf nach einer Ecke. Schmucklos. Humorlos. Zynisch.

"Ein verdammter Standard ...", ärgerte sich Abwehrchef Vincent Kompany. "Ich verliere lieber mit dieser belgischen Mannschaft als mit dieser französischen zu gewinnen", sagte Eden Hazard, der zu Recht stolz sein durfte auf seinen Fußball. Und Torwart Thibaut Courtois regte sich gar nicht mal zu Unrecht über den uruguayischen Schiedsrichter auf, der unter anderem den Belgiern in der zweiten Halbzeit einen klaren Freistoß in Strafraumnähe verweigerte. Das war in einem Spiel, das so unsagbar ausgeglichen war, kein unerhebliches Detail. Zumal den Belgiern nach ihrem Kraftakt gegen Japan im Achtelfinale (3:2) und dem aufreibenden Viertelfinale gegen Brasilien (2:1) die Kraft ausging: "Es ist lächerlich, wie eng die vier Halbfinalisten qualitativ beieinander liegen", stöhnte Kompany.

Der frühere Hamburger und heutige Manchester-City-Verteidiger war es allerdings auch, der - zusammen mit De Bruyne - die konziliantesten Töne anschlug, als die Sprache wieder einmal auf den Stil der Franzosen kam. "Wir hätten das doch auch gemacht", sagte De Bruyne zum Zeitspiel der Franzosen aus der Schlussphase. Und Kompany bemerkte: "Ich respektiere jeden Matchplan, der sich im Rahmen der Regeln bewegt. Die Franzosen waren defensiv, aber sie waren gut organisiert. Sie waren auf Konter aus. Alles, was ihr wollt. Aber missversteht mich nicht: Sie sind ein würdiger Finalist."

Für die Belgier wiederum stehen nun also doch noch ein paar Extratage in Sankt Petersburg an, unter touristischen Gesichtspunkten gibt es nicht nur wegen der Eremitage wahrlich Schlimmeres. Zumal am Mittwoch die Wolken tatsächlich den Himmel freigaben, den die Belgier so gern gestürmt hätten, um die Generation von 1986 - jene also, die bei der WM in Mexiko im Halbfinale am späteren Weltmeister Diego Armando Maradona und seinen zehn argentinischen Komparsen gescheitert war - zu übertreffen.

Natürlich wolle man diese Partie, die so vielen Fußballern verhasst ist, weil es im Grunde um nichts mehr geht, mit großer Ernsthaftigkeit angehen und sie nach Möglichkeit gewinnen. Denn ein dritter Platz bei einer Fußball-Weltmeisterschaft wäre "das beste Resultat unserer Geschichte überhaupt", sagte Kompany, und wer ihm ins Gesicht sah, der konnte auch in ihm einen entspannten Mann erkennen.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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