Fußball: TSV 1860 München:Einmal Probleme, immer Probleme

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Es ist schwer zu sagen, ob der TSV 1860 München noch zu retten ist - Misswirtschaft ist seit langem Teil des Systems. Auf der Mitgliederversammlung am Samstag stellt sich wieder mal die Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Gerald Kleffmann

Das Wort Delegiertenversammlung stand oft genug beim TSV 1860 München für Pleiten, Pech und Possen. In den letzten Jahren lief das Jahrestreffen des obersten Vereinsgremiums immerhin gesittet ab. Diesmal? Diesmal könnte es im Ballhausforum in Unterschleißheim wieder spannend werden. Es gibt am Samstag ab 13 Uhr viel zu bereden.

Die "Löwen" und die teure Arena - keine allzu glückliche Partnerschaft. (Foto: Bongarts/Getty Images)

1860 München steht wirtschaftlich so schlecht da wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Vereinsvertreter mit tiefblauer Seele haben schon aus nichtigeren Gründen opponiert. Ende Oktober ist der Fußball-Zweitligist an der Insolvenz vorbeigeschrammt. Seitdem drängen sich Fragen auf, die jeden Sechziger in Aufregung versetzen müssten: Wie konnte es soweit kommen? Sind die Sechziger zu retten? Welche Hoffnung besteht?

Es konnte aus vielen Gründen soweit kommen. Da ist die Arena, die sich als größenwahnsinnige Nummer für die Löwen erwiesen hat. Mit allen Nebengeräuschen muss der TSV jährlich rund 5,3 Millionen Euro berappen, um dort - seit 2006 als Mieter - spielen zu dürfen. Exemplarisch für die Fehlkalkulation sind die Cateringkosten, im Sommer Gegenstand eines Gerichtsprozesses zwischen 1860 und dem Stadion-Besitzer FC Bayern. Egal, ob zehn, 100 oder 1000 Business-Seats-Gäste in die Arena kommen - 1860 muss stets für 3000 Edel-Gäste Essen und Getränke bezahlen, das geht in die Millionen.

Bis heute hat es der Verein nicht geschafft, die Arena-Fixkosten so zu senken, dass er wieder Luft zum Atmen hat. Der Zuschauerschwund tut sein Übriges. Dabei hat man die Hälfte der Arena-Anteile, die man 2025 abgezahlt haben wollte, an den FC Bayern abgetreten. Längst zahlt der TSV zwei Millionen Euro weniger Miete im Jahr, dank der Bayern, die zuletzt den Löwen an anderer Stelle entgegengekommen sind und den Rest der Cateringschulden gestundet haben. Der FCB hätte nur mit dem Finger schnippen müssen, 1860 wäre längst mausetot gewesen. Insolvenz. Zwangsabstieg. Bedeutungslosigkeit. Das wollten aber auch die Roten nicht: der Henker des TSV sein.

Das alles klingt, als sei Sechzig ein Opfer, ein Opfer des früheren Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser, der sich mit der Arena ein Denkmal setzen wollte, und eines des FC Bayern, der zuerst 1860 zum Arenabau brauchte, um das Projekt politisch durchdrücken zu können, der dann für schlappe elf Millionen Euro die Arena-Anteile dem schon 2006 fast insolventen Partner abkaufte, und der nun nicht mehr bereit ist, weitere Hilfeleistungen zu gewähren.

Doch man darf 1860 nicht nur als Opfer betrachten. Einiges hat der Verein selbst zu verantworten. Er hat das Trauma der Wildmoser-Ära noch nicht überwunden. In den ersten Jahren nach seiner Inthronisierung tat sich ein Machtvakuum auf, das gefüllt werden musste. Viele hatten den Abtritt des allmächtigen Präsidenten herbeigesehnt, nun wollten alle mitbestimmen, endlich wieder ein basisdemokratischer Verein sein.

Auf diese Weise entstanden zu viele Lager, am ausgeprägtesten bekämpften sich die Gruppierungen Arge und Pro1860, die zahlreiche Delegierte stellen. In so einem Umfeld hätte kein Mensch eine Sanierung durchdrücken können. Bezeichnend war das Scheitern Stefan Ziffzers. Der Geschäftsführer versuchte so sehr wie kein anderer, unbequeme Wahrheiten anzupacken. Er wurde vom Hof gejagt.

TSV 1860 München
:Gefangen zwischen Tradition und Chaos

Zwischen Euphorie und Komödiantenstadl: Die Geschichte des TSV 1860 prägen schöne Erinnerungen, heftige Machtspiele und der dunkle Schatten des Nachbarn FC Bayern. Jetzt soll Benno Möhlmann den Klub vor dem Abstieg retten.

Erst als 1860 vollends zur bundesweiten Lachnummer aufstieg, weil sich 2008 Posse an Posse reihte und in Ziffzers Rauswurf mündete, setzte eine Gegenkultur ein. Es ging nun 180 Grad in die andere Richtung. Seitdem vertragen sich alle fast krankhaft. Wurde jedes Detail der Wildmoserschen Hinterlassenschaft überkritisch hinterfragt, wird seitdem offenbar fast kein Fehler mehr ergründet. Präsident Rainer Beeck und Vizepräsident Franz Maget war es ein besonderes Anliegen, Frieden im zerstrittenen Klub zu stiften. Bloß kein Chaos bitte.

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Auf diese Weise überlebte Beeck den geplatzten Investoren-Deal 2009, er hat Fehlbesetzungen wie die von Stefan Reuter, Manfred Stoffers und Robert Niemann als Geschäftsführer überstanden, auch, weil er sich geschickt in Deckung begeben kann. Intern stützt man ihn eh. Um Kritik zu entgehen, holte er Stoffers als Geschäftsführer. Erst sah Beeck zur Arena keine Alternative, dann wurde das Grünwalder Stadion ins Spiel gebracht, kürzlich sagte Beeck, er sei "dreigeteilt" in der Stadionfrage. Nun ist noch das Olympiastadion eine Option. "Der Präsident hat die Richtlinienkompetenz", betonte kürzlich Vizepräsident Dieter Schneider. Doch was ist, wenn die Richtlinienkompetenz nicht zu greifen ist?

Dann passieren solche Dinge: Der aktuelle Kader ist 3,5 Millionen Euro teurer als der von 2007. Das hat Schneider bei einem ersten Kassensturz im Oktober errechnet. Wie das sein kann? "Offenbar hat man nie alle Ausgaben für die einzelnen Spieler zusammengerechnet", sagte Schneider. Die Finanzkontrolle, ein Eckpfeiler bei einem finanzschwachen Klub, sollte man denken, hat völlig versagt.

Warum, ist von außen schwer zu beurteilen. 1860 steht nach wie vor nicht für Transparenz. Nur gibt es Merkwürdigkeiten. Christoph Öfele ist der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Er lässt gerade sein Amt ruhen, er soll in den mutmaßlich größten Aktienskandal Deutschlands verwickelt sein. Auch als Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger tritt er derzeit nicht auf.

Michael Hasenstab, bis vor kurzem Vizepräsident, ist Teilhaber eines verzweigten Firmenverbundes. Nun ist Hasenstab, der im Ausland lebt, in den 1860-Aufsichtsrat gewechselt. Öfeles Nachfolger ist vorerst Peter Lutz, ein Anwalt. Er war durch seine Kanzlei am später geplatzten Investorenvertrag beteiligt.

1860? Geht es heute schlechter als je zuvor. Und niemand trägt wirklich Schuld?

Immerhin gibt es Hoffnung. Sie heißt Dieter Schneider. Er ist der neue starke Mann. Dank der Hilfe des 63-jährigen Selfmade-Unternehmers aus Markt Indersdorf hat der Verein die Insolvenz vorerst verhindert. Schneider führte die Bankgespräche, legte privates Geld hin. "1860 muss saniert werden", sagte er und betonte: weil es die Banken so fordern. Jetzt müssen also Geldhäuser die Kontrollfunktion ausüben, die bei 1860 seit langem fehlt. Allein kann sich Sechzig offenbar nicht mehr helfen.

© SZ vom 26.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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