Fußball:Schalke ist der Zweite, den die Liga verdient

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Verteidiger Naldo, 35, ist Schalkes Spieler der Saison (Foto: Ralph Orlowski/Reuters)
  • Mit Schalke 04 und dem Hamburger SV treffen am Samstag zwei Vereine aufeinander, die die Zuschauer regelmäßig zur Weißglut treiben.
  • "Schalke spielt Woche für Woche Spiele, die man nicht anschauen kann und nicht anschauen will", sagte letztens Leverkusens Bernd Leno, "aber sie gewinnen".
  • Durch den Erfolg ihrer pragmatisch bestimmten und beschränkten Methoden geben die Gelsenkirchner Antworten auf die Frage nach den spielerischen Problemen im Land des Weltmeisters.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Das sogenannte Bundesliga-Topspiel am frühen Samstagabend dient dem ZDF-"Sportstudio" üblicherweise als Verkaufsargument. Allerdings stellt das teuer erworbene Vorrecht oft auch eine Herausforderung an die Redakteure dar, denn der Vertrag mit der DFL sieht außer einer maximalen Sendezeit, die ungefähr bei 18 Minuten liegt, auch eine Mindest-Sendezeit vor, die circa zehn Minuten beträgt. Sieht der Zuschauer auffällig viele Bilder von eklatant misslungenen Weitschüssen, von Tauben, die durchs Stadion segeln, oder von jungen Frauen, die Eis essen, dann weiß er, dass die Redakteure Not hatten, die Sendezeit zu füllen.

Am Samstagabend steht im Sportstudio die Partie zwischen dem Hamburger SV und Schalke 04 auf dem Programm, und die wird beim ZDF im Prinzip steil begrüßt: Zwei große Traditionsvereine in aufregenden Lebenslagen, die einen stehen am Abgrund zur zweiten Liga, die anderen vor einem Vereinsrekord; Schalke könnte den siebten Sieg nacheinander feiern, das hat's noch nicht gegeben in Gelsenkirchen. In die frohen Erwartungen platzt nun allerdings die Erklärung des Hamburger Trainers Christian Titz, er erwarte einen bis in die Nachspielzeit dauernden "Abnutzungskampf".

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Das war eindeutig als Warnung zu verstehen: Achtung, dieses Spiel wird Spuren von Anti-Fußball enthalten und kann den guten Geschmack gefährden! Dass diese Vorhersage keine Kühnheit ist, dazu genügt unter anderem der Blick auf die grundlegenden Gegensätze der Teams: Die Hamburger können keine Tore schießen, die Schalker lassen keine Tore zu.

"Schalke spielt Spiele, die man nicht anschauen kann und nicht anschauen will"

Keine Institution im Land, nicht mal die Deutsche Bahn, ist in jüngster Zeit so sehr mit Kritik, Spott und Häme traktiert worden wie der Hamburger SV; wäre der Verein für jede auf seine Kosten geäußerte Gemeinheit mit einem Cent entschädigt worden, könnte er sich Ronaldo und Messi leisten. Der andere Klub aber, der das Publikum zunehmend zur Weißglut treibt, das ist Schalke 04. Außerhalb der Stammgemeinde wird der königsblaue 1:0-Fußball oft leidenschaftlich verachtet.

Als kürzlich der Leverkusener Torwart Bernd Leno die 0:2-Niederlage in Köln kommentierte, beklagte er außer der Leistung der Mitspieler auch die Leistung der Kollegen aus Gelsenkirchen. "Schalke spielt Woche für Woche Spiele, die man nicht anschauen kann und nicht anschauen will", erklärte der Bayer-Mann, um im nächsten Atemzug verzweifelt anzufügen: "Aber sie gewinnen." Und einigermaßen neidisch zählte Leno dann auf, was Schalke 04 hat, und was Bayer 04 mit all den jungen Talenten eben nicht hat: "Abgezocktheit, Cleverness, Entschlossenheit".

Schalke siegt nicht hässlich, aber häufig unschön. Mit radikaler Zweckmäßigkeit haben sich die Schalker auf den Platz hinter den Bayern gepunktet, und das sagt womöglich mehr aus über die herrschenden Verhältnisse in der Bundesliga, als all die Experten mit ihrem exklusiven Wissen zur seit Monaten geführten Debatte über das Niveau des deutschen Fußballs haben beitragen können. Ohne Polemik lässt sich sagen, dass Schalke 04 der Tabellenzweite ist, den die vielbeklagte Gegen-den-Ball-Liga zurzeit verdient hat.

Diese Mannschaft, die zuletzt mit neun Toren sechs Spiele gewonnen hat und dabei nur ein einziges Gegentor zuließ, gibt durch den Erfolg ihrer pragmatisch bestimmten und beschränkten Methoden Antworten auf die Frage nach den spielerischen Problemen im Land des Weltmeisters - doch diese Mannschaft ist nicht die richtige Adresse für Beschwerden über Mangel an Glanz und Gloria in der Liga. Es kann ja nicht falsch sein, alles richtig zu machen. (Zur Erinnerung: Im Vorjahr schloss Schalke auf Platz zehn ab, und die teuerste Investition in den Kader war der 20-jährige Amine Harit, der acht Millionen Euro kostete.)

Richtig war es zum Beispiel, Daniel Caligiuri in dieses Team einzureihen. Caligiuri, 30, aus Villingen-Schwenningen ist ein bewährter und ehrbarer Bundesliga-Fußballer, der Zeit seiner Karriere davon geträumt hat, entweder in die italienische oder die deutsche Nationalelf aufgenommen zu werden, was bisher aber nicht geschehen ist und womöglich auch nicht mehr passieren wird. Die Willkommensbekundungen hielten sich daher bei seiner Ankunft im Januar 2017 in Grenzen. Doch wenn nun Bayer Leverkusen mit Recht Gratulationen dafür empfängt, dank der Vertragsverlängerungen mit den jungen Nationalspielern Julian Brandt und Jonathan Tah für die Zukunft vorgesorgt zu haben, dann sollten die Schalker Fans nicht aufhören, sich über Spieler wie Caligiuri, Bastian Oczipka oder Naldo zu freuen, die weniger Zukunft versprechen, in der Gegenwart aber von großem Nutzen sind.

Wobei Naldo mit seinen 35 Jahren nicht nur ein Phänomen an Belastbarkeit darstellt, sondern in der Rolle des hauptverantwortlichen Großvaters auch Schalkes Spieler der Saison ist: Als Turm in der Deckung, als Turm im Angriff und als freundlicher, meistens lächelnder Mitmensch, der laut Trainer Domenico Tedesco "wie Klebstoff" auf die Mannschaft wirkt: "Er schweißt die Spieler zusammen." Unter anderem deshalb hat Schalke zurzeit sieben Punkte mehr als die beeindruckend besetzten, aber weniger abgezockten und cleveren Leverkusener, und hält nebenbei auch die lieben Nachbarn aus Dortmund auf Distanz, die längst selbst wissen, dass ihnen beim massenhaften Ankauf von Talenten die Transferpolitik aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Die Stilkritik berührt Tedesco nicht

Fragt man Tedesco nach seinen fußballerischen Idealvorstellungen, erhält man ausnahmsweise keine erschöpfende Antwort. Wegbegleiter sind sich nicht mal sicher, ob er überhaupt eine Idealvorstellung hat, aber es darf als gewiss gelten, dass auch er gern ein wenig mehr spielerische Brillanz sehen würde. Während mancher Schalker sich von der "Ästhetik-Polizei" verfolgt fühlt, ist Tedesco keineswegs beleidigt über die Stilkritik; sie nervt ihn wohl ein wenig, aber sie berührt ihn nicht. "Attraktivität liegt immer im Auge des Betrachters", stellt er entspannt fest, "ich weiß nicht, ob 20 Torchancen pro Halbzeit attraktiv sind oder nicht."

Was ihm wirklich wichtig ist, das erschließt sich aus seinem Festhalten am Argentinier Franco Di Santo, der in seinen Bremer Zeiten ein feuriger Mittelstürmer war, aktuell im Schalker Dienst aber nicht viel öfter aufs Tor schießt als Torwart Ralf Fährmann. Zwar hat er als "Zehner", wie Tedesco ihn irreführenderweise nennt, seinen Platz hinter den Angriffsspitzen Breel Embolo und Guido Burgstaller, dort fungiert er aber weniger als Einfädler und Vorbereiter denn als vorgeschobener und enorm fleißiger Abwehrspieler.

Ob Schalke sich bereits auf die Champions League freuen darf, oder ob es den anspruchsvollen Wettbewerb eher fürchten sollte, das ist für die Beteiligten noch nicht das Thema. Wie in den alten Zeiten mit dem Ober-Realpolitiker Huub Stevens schaffen es Tedesco und sein Team, die Sehnsüchte des Publikums fernzuhalten und sich Woche für Woche auf einen neuen Abnutzungskampf zu konzentrieren. Nächste Station: Hamburg. Das ZDF sendet mindestens zehn Minuten.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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