Fußball: FC Bayern München:"Er sagte nur: Sorry, Ottmar!"

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Der frühere Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld über Siege in Old Trafford, Teegespräche mit Alex Ferguson - und die Gunst der Stunde für den heutigen Coach Louis van Gaal.

Moritz Kielbassa

Ottmar Hitzfeld, 61, hat Ostern in Engelberg verbracht, in seinem Feriendomizil in der Schweiz, deren Fußball-Nationalelf er zur WM in Südafrika führen wird. Als Vereinstrainer in Dortmund und München bestritt Hitzfeld neun Champions-League-Spiele gegen Manchester United - und er verlor davon nur eines: das Finale 1999 in Barcelona mit dem FC Bayern (1:2). Seit diesem für ihn so qualvollen Abend ist Hitzfeld mit ManU-Coach Sir Alex Ferguson befreundet, er rühmt den Schotten als "Inbegriff eines edlen und feinen Menschen auf der Trainerbank". Vor dem Viertelfinal-Rückspiel der Bayern in Old Trafford spricht Hitzfeld über gestern und heute.

SZ: Herr Hitzfeld, ist der Koffer für die Reise nach England schon gepackt?

Ottmar Hitzfeld: Leider nein. Ich hatte zwar wieder eine Einladung von Sky, wie beim Achtelfinale der Bayern in Florenz (2:3). Aber diesmal habe ich andere Termine.

SZ: Schade für Sie. Die Atmosphäre in Old Trafford ist ein Erlebnis, oder?

Hitzfeld: Natürlich, das ist ein ehrwürdiger Ort. Wer hinkommt, weiß, was Manchester dort in der Vergangenheit Großes geleistet hat und wie heimstark sie sind. Es ist ja immer schon ein Höhepunkt, wenn das Publikum beim Einlaufen der Mannschaften orkanartig aufschreit.

SZ: Sie selbst sind ungeschlagen im "Theatre of Dreams". Ihre Bilanz dort: 1:0, 1:0, 1:1 und 0:0. Kennen Sie eine besondere Erfolgsformel für Old Trafford?

Hitzfeld: Wenn das so einfach wäre! Spiele in Manchester waren für mich immer Highlights. In solchen Spielen an die Grenzen zu gehen und drüber, das bringt dir große Anerkennung. Dem FC Bayern scheint Manchester als Gegner zu liegen.

SZ: Wie würden Sie's am Mittwoch angehen: eher vorsichtig oder forsch?

Hitzfeld: Unter Louis van Gaal haben die Bayern ihre Stärken eindeutig in der Spielbestimmung: Ballbesitz, hohe Passqualität, viele Seitenverlagerungen. Diese Dominanz zu suchen, ist auch in Manchester wichtig. Bayern muss Kraft für die Offensive aufbringen, Gefahr vom eigenen Tor fernhalten. Nur mit Verteidigen halten sie dem Ansturm nicht stand.

SZ: Wie schwer trifft ManU der Ausfall von Wayne Rooney?

Hitzfeld: Das ist ein psychologischer Schock. Rooney war der entscheidende Mann in dieser Saison - er fehlt somit auch in den Köpfen der Mitspieler.

SZ: Wie eng ist heute noch Ihr Kontakt zu ManU-Trainer Alex Ferguson?

Hitzfeld: Wir schreiben uns immer wieder mal eine SMS. Ich habe Ferguson schon bewundert, als ich Spieler war, und bei allen Duellen als Trainer bewahrten wir großen Respekt voreinander.

SZ: Nach dem Finaldrama in Barcelona, mit den beiden ManU-Toren in der Nachspielzeit, begegneten Sie sich in den dunklen Katakomben von Camp Nou. Es soll eine Highnoon-Szene gewesen sein - die in einer Umarmung endete.

Hitzfeld: Es war ein Moment, in dem man nicht viel redet. Alex spürte meine Niedergeschlagenheit, er sagte nur: 'Sorry, Ottmar!' Das war sehr mitfühlend - und prägend für unsere Beziehung.

SZ: Später, vor Spielen in Old Trafford, trafen Sie sich während des Warmlaufens der Spieler in Fergusons Büro.

Hitzfeld: Ja, bei einer Tasse Tee, das wurde zu einem kleinen Ritual. Diese Smalltalks waren feierliche, einmalige Momente in meinem Trainerleben, so etwas habe ich mit keinem anderen Kollegen gemacht: vor dem Fight - und trotzdem in entspannter Atmosphäre. Ein Ausdruck gegenseitiger Sympathie!

SZ: Die Legende geht, Sie hätten sogar französischen Rotwein getrunken...

Hitzfeld: Nee, nee, nicht vor dem Spiel. Es gab immer englischen Tee.

SZ: Was war Thema bei diesen Gentlemen-Talks? Das Spiel selbst war tabu?

Hitzfeld: Ja, man hat über Alltagssorgen gesprochen, über Privates, auch über weltpolitische Ereignisse. Und manchmal auch über etwas schwierigere Spielertypen in unseren Mannschaften, zum Beispiel Effenberg oder Beckham - darüber, wie sich Dinge, die in der Presse standen, wirklich zugetragen hatten.

SZ: Bei einem seiner legendären Wutausbrüche in der Kabine soll Ferguson David Beckham mal einen Fußballschuh an den Kopf geschleudert haben! Ein anderer ManU-Exzentriker war Eric Cantona. Sie erinnern sich an 1997? Halbfinale mit Dortmund in Old Trafford, Spielstand 1:0, und dann diese irre Aktion von Jürgen Kohler "Fußballgott"...

Hitzfeld: Er lag schon auf der Torlinie, Cantona musste den Ball nur noch reinschieben - und Jürgen konnte akrobatisch abwehren. Das war spektakulär.

SZ: Alex Ferguson schrieb sogar ein freundliches Grußwort in Ihrer Biographie. Sind Sie wesensverwandt?

Hitzfeld: Seine tägliche Trainingsarbeit kann ich nicht beurteilen. Aber Alex hat sich dem Erfolg total verschrieben, er ist immer diszipliniert - und sehr angespannt. Man sieht, wie er auf der Bank leidet, sich auch bei Toren nur kurz freut. Und ich habe ihn immer bescheiden und zurückhaltend erlebt. Seine Leistung ist herausragend. 24 Jahre bei einem Klub zu arbeiten, das ist in der heutigen Zeit auf diesem Niveau ja fast unglaublich.

SZ: Unerwartete Erfolge in Manchester waren schon häufiger Impulse für große Triumphe - auch für Trainer Jose Mourinho, als er mit dem FC Porto 2004 die Champions League gewann, nach einem 1:1 im Achtelfinale bei ManU.

Hitzfeld: In Old Trafford zu bestehen, in diesem Lärm, das setzt sich in den Köpfen der Spieler fest. Dann glaubt plötzlich jeder daran, dass man diesen Wettbewerb sogar gewinnen kann.

SZ: Ist das für den FC Bayern 2010 nicht ein vermessenes Ziel?

Hitzfeld: Nein, Bayern hat das Zeug dazu, Champions-League-Sieger zu werden. Das traue ich ihnen zu.

SZ: Van Gaal glaubt, sein Team sei erst in ein, zwei Jahren so weit. Er will seine "Philosophie" langfristig umsetzen.

Hitzfeld: Fußball ist immer eine Momentaufnahme. Man kann nicht immer akribisch planen, wann man die Champions League gewinnt. Wenn sich die Gelegenheit bietet, dann muss man sie ergreifen! Der FC Bayern hat sich diese Saison kontinuierlich gesteigert: fast schon ausgeschieden nach den Bordeaux-Spielen, dann doch noch die Kurve gekriegt, zwei schwere Spiele gegen Florenz gemeistert, gegen Manchester 2:1 nach einem frühem 0:1. Da spürt man selbst: Wir kommen auch nach Rückschlägen immer wieder zurück, wir können etwas Großes erreichen! Glück und besondere Konstellationen gehören natürlich dazu: Rooney ist verletzt. Manchester steckt in einer kleinen Krise. Der Zeitpunkt ist günstig.

SZ: Kann van Gaal, der holprig anfing, eine Ära in München begründen?

Hitzfeld: Ja, er ist erfahren. Nach einigen Experimenten am Anfang haben sich die Bayern spielerisch enorm entwickelt in dieser Saison. Sie kombinieren flüssig, sie haben eine sehr gute Raumaufteilung und sind immer torgefährlich.

SZ: Fachlich ist van Gaal anerkannt. Sein autokratischer Durchgriff ist für viele aber gewöhnungsbedürftig - kein Vergleich zum verbindlichen Moderationsstil eines Ottmar Hitzfeld, hört man oft.

Hitzfeld: Weiß ich nicht, das spielt auch keine Rolle. Entscheidend sind die Ergebnisse. Und: Bayern hat mit Ribéry und Robben zwei Weltklassespieler.

SZ: Ist die Abhängigkeit des Bayern-Spiels von den beiden zu groß?

Hitzfeld: Nein, das ist normal. Man hat sehr hohe Ablösesummen für die beiden bezahlt. Also darf man auch erwarten, dass sie den Unterschied ausmachen.

SZ: Ist die Defensive in dieser Saison die Münchner Schwachstelle?

Hitzfeld: Überzeugend war bisher in der Champions League vor allem die Offensivleistung. Jetzt ist sicher auch mal die Abwehr gefordert.

SZ: Sie empfahlen unlängst den Ankauf eines weiteren guten Verteidigers.

Hitzfeld: Ich habe gesagt: Bayern hat nur drei Innenverteidiger, ein vierter wäre ratsam, sonst kannst du schnell mal in Not kommen. Aber ich fordere keine Zugänge, das steht mir nicht zu.

SZ: Die Willenskraft und die Unbeugsamkeit deutscher Teams sind gefürchtet in Europa. Hat die Bundesliga-Spitze aber auch in puncto Technik, Taktik und Handlungsschnelligkeit die oft beklagten Defizite gegenüber Topklubs aus England, Spanien, Italien verringert?

Hitzfeld: Sie hat aufgeholt, ja, zumal die Bundesliga wirtschaftlich gesünder ist als andere Ligen. Bayern konnte spielerisch und physisch einer hochtourigen Maschine wie ManU Paroli bieten. Bis zur letzten Sekunde um den big point dieses 2:1-Siegtors von Olic zu kämpfen, das war eine großartige mentale Leistung. In diesem Punkt konnten ja sehr viele Mannschaften von Manchester 1999 lernen.

SZ: Sie selbst lernten den stilvollen Umgang mit einer großen Niederlage.

Hitzfeld: Wie wir uns in dieser Stunde verhalten haben, wie wir diese ungerechte Niederlage weggesteckt und Manchester fair gratuliert haben, das, denke ich, hat Bayern viele Sympathiepunkte eingebracht. Uns selber gab es sehr viel Kraft.

SZ: Zwei Jahre später gelang dann die Revanche in Old Trafford.

Hitzfeld: Richtig, ein enges Spiel, 1:1.

SZ: Mit Verlaub, Sie haben das Viertelfinale auswärts 1:0 gewonnen, Torschütze: Paulo Sergio, 86. Minute

Hitzfeld: Ah ja? Umso schöner!

© SZ vom 07.04.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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