Fußball-EM:Ronaldo war schon immer ein Großer

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Seine Übersteiger sind seltener geworden, sein Spiel immer effektiver - jetzt ist Ronaldo Europameister. (Foto: Getty Images)

In den zwölf Jahren seit seinem Debüt in der Premier League hat Cristiano Ronaldo eine Generation junger Fußballer geprägt. Unser Autor hält ihm seit damals die Treue.

Von Sebastian Fischer

Mein Fußballtrainer in der B-Jugend hieß Ralf, er war in den Achtzigerjahren ein Zweitligaprofi und kein Freund von Mätzchen auf dem Platz. Die folgende Episode ist gut zwölf Jahre her und ist mir von Mitspielern so zugetragen worden, ich war nicht selbst dabei: Ich lief gerade über den Platz, genauer gesagt an der rechten Außenbahn entlang - und machte Mätzchen. Lief auf meinen Gegenspieler zu, streichelte mit der Sohle über den Ball, blieb stehen, tanzte um den Ball herum wie diese überdimensionierten, von Luft durchströmten Puppen, die manchmal in den Fankurven zu sehen sind. Ich sprintete, kickte den Ball mit der Hacke hinter dem Standbein ins Feld. Und dann war der Ball weg.

Ralf - wie gesagt, so ist es mir erzählt worden - machte sich draußen am Rand gepflegt über mich lustig: "Noch einen! Und noch einen, ja, Fischer, super!", soll er gerufen und dabei verächtlich gelacht haben. Und dann wechselte er mich aus. In der ersten Halbzeit. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, wie ich damals aussah (und zur Freude meiner Umwelt heute nicht mehr aussehe): Im Nacken lockten sich meine langen Haare, vorne waren sie zu stacheln gegelt, und über die Stirn baumelte eine blondierte Strähne, die aussah wie die Nudel aus dem Loriot-Sketch. Sie ahnen es schon: Ich wollte aussehen und auftreten wie der junge Cristiano Ronaldo.

Es war nie einfach, Ronaldo gut zu finden

Wie Ronaldo damals spielte, als er als 18-Jähriger erstmals für Manchester United gegen die Bolton Wanderers eingewechselt wurde, war neu, so was hatte es noch nicht gegeben: Mit welchem Tempo er den Ball führte und Sachen mit ihm anstellte, die nach Videospiel aussahen. Er dribbelte wie ein Brasilianer an der Copacabana, aber mit Bewegungen, zackig wie Fausthiebe. Er schien die Pässe seiner Mitspieler schon nach wenigen Minuten Premier-League-Fußball magisch anzuziehen. Das Video ist auf Youtube zu sehen, es ist gerade jetzt wieder sehenswert, wo ein ganz anderer Ronaldo als der von damals Europas Fußballthron erobert hat - und doch derselbe Mensch.

Es war schon damals nicht immer einfach, Ronaldo gut zu finden. Man musste seine Frisur damals nicht mögen (okay: man durfte seine Frisur nicht mögen) und man musste diesen Spielstil nicht feiern, die ständigen Übersteiger, die nicht immer zielführend, immer große Kunst, aber immer öfter eben auch einfach nur selbstdarstellend waren.

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Nach seiner Verletzung konnte der Stürmer nicht still auf der Bank sitzen, sondern gab lautstark Anweisungen. Ronaldos Leidenschaft bekam vor allem der eigentliche Trainer Santos zu spüren.

Berühmt wurden seine Tränen nach dem EM-Finale 2004, die Welt lachte ihn aus, den angeblich verweichlichten Schönling aus Madeira. Ich dachte damals nur: Wer hätte denn nicht geweint, wenn er mit 19 so ein tolles Turnier spielt und dann im Finale verliert? Gegen die Fußballzerstörer aus Griechenland! Ich dachte, mehr aus blinder Verehrung denn aus vorausschauendem Expertentum: Dieser Ronaldo wird es euch noch allen zeigen, er wird mal der beste Spieler der Welt; er wird einer der besten Spieler, die der Fußball je gesehen hat!

In den zwölf Jahren danach hat Cristiano Ronaldo eine Generation junger Fußballer geprägt. Die Sanés und Comans der Welt würden ganz anders spielen, mit weniger Spielwitz und Vertrauen in die eigene Stärke, hätte es ihnen nicht jemand vorgemacht. Ronaldos Übersteiger sind in der Zeit immer seltener geworden, sein Spiel immer effektiver, er hat mit dem Kopf getroffen und aus der Distanz, seinen Schuss perfektioniert, die Mätzchen sein gelassen, unzählige Tore geschossen und Titel angehäuft.

In diesen zwölf Jahren hat Ronaldo polarisiert, Reichtum angehäuft, sich Muskeln wie ein Superheld antrainiert und sie sorgsam gebräunt, albern aufreizend und vorzugsweise nackt gejubelt, selbst wenn seine Tore unwichtig waren. Er hat, sagt man, mit sehr vielen Frauen geschlafen und viele von ihnen nicht mit Respekt bedacht. Kurzum: Er hat ziemlich viel gemacht, was in der Regel eher unsympathische Typen tun. Ronaldo muss, nach allem was man weiß und sich vorstellen kann, allerdings auch ein surreales Leben führen, das sehr, sehr einsam sein kann. Das sollte man, wenn man schon spotten will, nicht völlig vergessen.

Doch der Gockel Ronaldo - der übrigens auch viel Geld spendet und nicht wegen Steuerhinterziehung verurteilt ist - ist ja nur ein Teil des Fußballers Ronaldo. Über den sagen seine Mitspieler kein schlechtes Wort, und man muss sich das wohl so vorstellen, dass sein unbändiger Ehrgeiz ihn zum Teamgeist anstachelt. Das Ergebnis ist, ob es nun jedem gefällt oder nicht, ein Spieler, den seine Kollegen bis auf wenige Ausnahmen mindestens respektiert und oft verehrt haben. Als er am Sonntag nach dem fiesen Foul des Franzosen Payet zu Boden sank und ach so nachvollziehbare Tränen weinte, versammelten sich seine portugiesischen Mitspieler um ihn, als säße da auf dem Rasen ihr Bruder.

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Jetzt fehlt noch der Oscar fürs Lebenswerk

Und doch hatte ich vor dem Fernseher ein wenig Angst: Dass er es wieder tut. Dass Ronaldo seinen Kritikern wieder Argumente liefert, dass er in der Kabine sitzen bleibt und schmollt, weil es nun eben nicht mehr sein Erfolg werden würde, nicht durch sein Tor herbeigeführt wenigstens. Doch dann kam er zur Verlängerung bandagiert aus der Kabine gehumpelt, machte seinen Mitspielern (die, noch so eine Ironie der Geschichte, in ihrer Spielweise stark an die fußballverhindernden Griechen von 2004 erinnerten) Mut, jedem Einzelnen. Er jubelte ihnen zu wie ein 18-Jähriger, coachte an der Seitenlinie wie ihr Vater, knuffte seinem Trainer Fernando Santos dermaßen heftig in die Seite, als wäre er sein bester Freund. Santos fiel fast um.

Und dann, als Portugal tatsächlich gewonnen hatte, weinte er wieder, vor Freude. Gut, er hat dann ziemlich lange den Pokal in der Hand gehalten und ihn äußerst ungern abgegeben, dafür äußerst gern in die Fotokameras gelächelt. Aber er hat seine Geschichte doch um eine ganz besondere Episode erweitert. Ronaldo hat die größtmögliche Fußballbühne vor zwölf Jahren als dribbelnder Fantast betreten. Er wurde zur Fußballmaschine, gehasst und geliebt. Um nun seinen größten Triumph mit 31 als Anfeuerer und Unterstützer seiner Kollegen zu erleben: ein Oscar für die beste Nebenrolle.

Es ist gar keine Frage, dass Ronaldo der kommende Weltfußballer ist, alles andere wäre eine Farce. Ronaldo wird nicht jünger, er würde den Preis wohl zum letzten Mal gewinnen, als eine Art Oscar fürs Lebenswerk. Er ist heute ein kompletter Spieler, jetzt mehr als jemals zuvor. Aber gut, deshalb die Einleitung: Ich bin da ganz ausnahmsweise vielleicht ein bisschen voreingenommen.

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Anmerkung: Der Text enstand im Juli 2016. Damals gab es keine Anzeichen auf kriminelle Aktivitäten von Cristiano Ronaldo. Mittlerweile wurde er auch wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

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