Fußball-EM:Italien spielt schwach, aber erfolgreich

Lesezeit: 3 min

Held des italienischen Spiels: Stürmer Éder (Foto: AFP)

Die älteste Turniermannschaft zieht durch ein 1:0 gegen Schweden ins Achtelfinale ein, weil Stürmer Éder in der 88. Minute noch ein Tor gelingt. Zuvor sorgte nur eine Blaskapelle für aufregende Szenen.

Von Ulrich Hartmann, Toulouse

Die Schmach aus dem Auftaktspiel hat der Torwart Gianluigi Buffon natürlich nicht auf sich sitzen lassen können. An die Torstange hatte er sich nach dem Sieg gegen Belgien vor lauter Euphorie gehängt und wie ein Turner einen eleganten Schwung zeigen wollen. Dabei war er abgestürzt und rücklings auf den Boden geknallt. Am Freitag wiederholte er seine Turnübung. Vor dem italienischen Fanblock schwang er sich an die Torlatte und zeigte sich diesmal äußerst souverän. Die Fans jubelten. Buffon grinste. Die Mannschaftskollegen herzten einander. Buffon wollte auch demonstrieren: Italien will hoch hinaus.

Die Luft- und Raumfahrt ist der bedeutendste Industriezweig in Toulouse. Passend dazu haben die Italiener ihre Reise zu den Sternen dieser Europameisterschaft beim Gastspiel im Süden Frankreichs fortgesetzt. Gegen schwache Schweden gewannen sie ein gleichwohl schwaches Spiel durch einen späten Treffer des Italo-Brasilianers Éder in der 88. Minute 1:0 und haben mit nun sechs Punkten die Teilnahme am Achtelfinale bereits sicher. Das maue Spiel zweier an Kreativität armer Mannschaften war ein Tiefpunkt des bisherigen Turniers. Auch Zlatan Ibrahimovic konnte seine Schweden nicht retten. Ihnen droht mit nur einem Punkt aus zwei Spielen das Ausscheiden.

"Wir haben keine Angst vor Dir", hatte die Gazzetta dello Sport am Freitag getitelt und ein Bild von Ibrahimovic darunter gestellt. Zwar hatte Italiens Trainer Antonio Conte ausdrücklich vor Ibrahimovic gewarnt, aber trotz oder gerade wegen dieser Warnungen wurde der auf Vereinssuche befindliche Star des schwedischen Teams effektiv ausgeschaltet. "Wir haben eigentlich ganz gut gespielt", fand Schwedens Trainer Erik Hamrén und wollte auch über Ibrahimovic kein kritisches Wort verlieren: "Wir haben unser Bestes gegeben - es ist eine Schande, dass die Spieler nicht belohnt worden sind."

Die wiederum nur defensiv überzeugenden Italiener machten es wirklich nicht besser. Éder nahm den Kritikern jedoch gleich nach dem Spiel die Argumente, als er über "den modernen Fußball" philosophierte - und wie schwer es bei so einer EM doch gegen jede Mannschaft sei. Zwei Minuten vor dem Ende hatte er einen weiten Einwurf von Giorgio Chiellini bekommen und war an allerhand schwedischen Abwehrspielern vorbei am Strafraum entlang gelaufen. Dann schoss er den Ball ins Tor. "Ich bin glücklich", sagte Éder, "ich genieße das Vertrauen des Trainers und konnte es heute zurückzahlen."

Termine der Fußball-EM in Frankreich
:EM 2016 Spielplan

Vom Eröffnungsspiel am 10. Juni bis zum Finale am 10. Juli 2016: Der Spielplan mit allen Begegnungen, Spielorten und Anstoßzeiten der Europameisterschaft in Frankreich.

Im mit 33 000 Zuschauern kleinsten der zehn EM-Stadien, einer flachen Schüssel auf einer Insel im Fluss Garonne, hatte Ibrahimovic nach 115 Sekunden per Kopf die erste Chance des Spiels gehabt. Damit hatten sich die schwedischen Torbemühungen aber für lange Zeit erledigt. Die Italiener, die schon gegen Belgien das Pressen und Umschalten so anschaulich demonstriert hatten, dass man ein Lehrvideo daraus machen könnte, sollten in ihrem 5-3-2-System den Ball zirkulieren lassen. Dazu hatten sie aber auch nur bedingt Lust. An der Seitenlinie tigerte Trainer Antonio Conte wütend auf und ab. Nachher aber war er selig. "Es ist großartig, dass wir nach nur zwei Spielen schon fürs Achtelfinale qualifiziert sind, das hatten uns viele nicht zugetraut. Sie hatten sogar bezweifelt, dass wir es überhaupt in die K.o.-Runde schaffen."

Gegen die Schweden wurde indes deutlich, wie sehr die Italiener beim Auftaktsieg vom schnellen Spiel der Belgier profitiert hatten. Die Abwehr stand zwar solide, es glänzte aber nicht mehr viel bei der Squadra Azzurra. Graziano Pellè schimpfte zwischenzeitlich über das mangelhafte Zusammenspiel. Er wurde nach einer Stunde ausgewechselt.

Zu Beginn der zweiten Hälfte tauchte am Spielfeldrand eine Blaskapelle auf. Offenbar fürchtete man um das Wohl der zahlenden Gäste. Immerhin erhöhten die Schweden sukzessive den Druck, aber technische Fehler verhinderten bessere Chancen. "Zlatan Ibrahimovic", sangen die schwedischen Fans in ihrer Not minutenlang, aber der Held war gefangen in der italienischen Innenverteidigung aus Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Chiellini. Als er einmal eine Hereingabe am zweiten Pfosten aus kurzer Distanz über das Tor prallen ließ, stand er im Abseits.

Die tabellarische Gruppensituation erforderte nicht, dass die Italiener ins Risiko gingen. Sie probierten in aller Gelassenheit, vor das schwedische Tor zu kommen. In der 82. Minute setzte Marco Parolo eine Flanke von Emanuele Giaccherini per Kopf an die Latte. Und in der 88. Minute führte Éder seine Mannschaft mit dem goldenen Treffer doch noch ins Glück. "Im modernen Fußball", referierte er nachher, "machen Kleinigkeiten den Unterschied - und so war es auch heute."

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: