Fußball-EM:Frankreich gewinnt nur den Reißtest

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Ritsch-ratsch, und wieder ein Trikot kaputt: Paul Pogba zieht an Granit Xhakas Oberhemd. (Foto: dpa)

Der EM-Gastgeber holt sich mit einem 0:0 gegen die Schweiz den Gruppensieg. Ein Rätsel bleibt: Wieso gingen so viele Schweizer Trikots kaputt?

Von Claudio Catuogno, Lille

18 Minuten dauerte es, bis die Leute seinen Namen sangen. Wobei der dumpfe Beat, der nun durch das Stade Pierre Mauroy von Lille hallte, mit dem Wort "Singen" eher unzutreffend beschrieben ist. Da war wenig Melodie, dafür viel Rhythmus.

"Pog-ba, Pog-ba."

Das war bemerkenswert, wenn man an die Aufregung denkt, die der französische Nationalspieler Paul Pogba, 23, unter der Woche ausgelöst hatte mit seiner abfälligen Geste nach dem 2:0 gegen Albanien. Die, wenn man dem Nationaltrainer Didier Deschamps glauben darf, aber gar keine abfällige Geste war. "Er hat mir seine Erklärung gegeben und ich habe Vertrauen in ihn, ich glaube an seine Aufrichtigkeit" - sagte Deschamps am Tag vor dem Spiel. Trotzdem blieb der Eindruck, dass da einer das eigene Ego wichtiger nimmt als die Gruppe.

Und jetzt also: "Pog-ba, Pog-ba."

Immer wieder. Es sah für eine Weile aber auch so aus, als würde Paul Pogba, der hochtalentierte Schlacks von Juventus Turin, die Schweizer ganz alleine bezwingen in diesem dritten Vorrundenspiel der Gruppe A. In der 12. Minute schickte Pogba den Ball mit viel Schnitt aufs Tor, der Torwart Yann Sommer ließ ihn auf die Latte klatschen. In der 13. Minute prüfte Pogba Sommer mit einem Schuss aus spitzem Winkel. In der 14. Minute bedrängter er Sommer nach einer Ecke dermaßen, dass dieser den Ball durch die Hände flutschen ließ. Und in der 17. Minute, der vorläufige Höhepunkt der Pogba-Festspiele, traf er den Querbalken.

Das würde nun also das Spiel sein, in dem die Franzosen den Knoten lösen. In dem sie ihren Stil finden für diese Europameisterschaft, jetzt, da die Angst, sich zu blamieren, der Spielfreude weichen kann. Und Paul Pogba würde der Hauptdarsteller sein.

Dachte man.

Aber dann mussten die Franzosen am Ende froh sein über ein 0:0, das ihnen immerhin den ersten Platz in der Gruppe und ein Achtelfinale gegen einen Gruppendritten sichert. Die Rolle als Turnierfavorit aber vorerst nicht unbedingt.

Irgendwann war nämlich die erste Halbzeit vorbei, und Pogba war jetzt auch einmal über Breel Embolos Rücken gekrabbelt wie eine nach Halt suchende Spinne - wohlgemerkt über den stehenden Embolo. Außerdem hatte Pogba das Trikot des Schweizer Mittelfeldspielers Granit Xhaka zerrissen. Und es stand immer noch 0:0. Pogba ist ein Phänomen, eine Wucht, er ist das unkalkulierbare Element im Spiel der Franzosen - aber eben auch unkalkulierbar fürs eigene Team.

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Es war ein intensives, bisweilen hochklassiges Spiel, auch ohne Tore. Die Franzosen machten viel Betrieb. Die Schweizer, bei denen der bisherige Gladbacher Xhaka mit seinem formidablen Passspiel die Fäden zog, hatten sich ebenfalls vorgenommen, auf Sieg zu spielen. Mit Ruhe und Umsicht ließen sie den Ball laufen. Nur die letzte Zuspitzung fehlte. Und - ein Rätsel, das noch gelöst werden muss: Ständig gingen ihre roten Trikots kaputt.

Was ist von Frankreich noch zu erwarten?

Die bereits qualifizierten Franzosen hätten im Fall einer Niederlage den Gruppensieg noch verspielt. Die Schweizer hätten theoretisch noch auf den dritten Rang rutschen können. Dabei hat diese Elf ihre Reife für die K.o.-Runde durchaus nachgewiesen, beim 1:0 gegen Albanien, beim 1:1 gegen Rumänien, und nun auch mit diesem Auftritt gegen den Gastgeber. Der Nationaltrainer Vladimir Petkovic hat seine Stammelf augenscheinlich gefunden - lediglich den Stürmer Haris Seferovic ließ er diesmal auf der Bank, anstelle des Frankfurters durfte sich Embolo versuchen. Mit fünf Punkten beendet die Schweiz die Vorrunde auf Rang zwei.

Deschamps hingegen hatte bis auf die Abwehrreihe fast die gesamte Elf durcheinander gewürfelt. Kanté, Matuidi, Payet und Giroud bekamen eine Pause, dafür spielten Sissoko, Cabaye und Gignac, auch Griezmann, Coman und eben Pogba rückten wieder in die Startelf. Griezmann hatte seine beste Chance in der 57. Minute - doch Sommer parierte. Und sechs Minuten später musste Paul Pogba erfahren, dass es weiterhin nicht er ist, für den die Leute am lautesten kreischen. Sondern Dimitri Payet, der Schütze des 2:1 gegen Rumänien und des 2:0 gegen Albanien. Er wurde in der 63. Minute eingewechselt - und setzte in der 75. Minute den Ball an die Unterkante der Latte. Diesmal also kein Last-Minute-Sieg.

Die Fragezeichen bleiben.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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