Fußball-EM:Die Zwei-Karten-Regel ist falsch

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Bitterer Moment für Mats Hummels: Schiedsrichter Viktor Kassai zeigt ihm die Gelbe Karte - der Verteidiger ist dadurch für das Halbfinale gesperrt. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Mats Hummels verpasst nach zwei gelben Karten das Halbfinale gegen Frankreich - eine übermäßig harte Strafe. Die Uefa greift damit unangemessen in den Wettbewerb ein.

Kommentar von Philipp Selldorf

Vermutlich ist es kein Vergnügen, gegen Mats Hummels zu spielen. Angreifer müssen mit ständiger körperlicher Belästigung rechnen, wenn sie es mit dem Kampfkünstler Hummels zu tun bekommen. Da Hummels 1,92 Meter misst und circa 90 Kilo wiegt, wirkt seine Gestalt auf gewöhnlich gewachsene Fußballer bedrohlich. Seine Gegenspieler müssen außerdem damit rechnen, dass sie öfter auf der Nase landen, die Gefahr eines Hummels-Tacklings ist hoch. Blaue Flecken sind bei seinen Opfern nicht ausgeschlossen.

Was Hummels aber nicht ist: Er ist kein unfairer Spieler und schon gar nicht ist er ein Treter der alten Vorstopper-Schule. In 226 Bundesligaspielen hat er fast so viele Tore (19) geschossen wie gelbe Karten gesehen (21), nie war er wegen einer fünften gelben Karte gesperrt, nie wurde er in einem Spiel zweimal verwarnt und vom Feld gestellt. Eine einzige rote Bundesliga-Karte findet sich in seinen Akten - 2013 nach einer Notbremse. Wegen geringer Schuld kam er mit einem Spiel Sperre davon.

Selbstredend wird die Uefa deswegen nicht Hummels' Verbannung fürs Halbfinale gegen Frankreich aufheben. In den Spielen gegen die Slowakei und Italien ist er mit Gelb verwarnt worden, und das bedeutet automatisch: Ausschluss für ein Spiel. So ist die Regel, und die Regel gilt für alle. Gegen die Zwei-Karten-Regel gibt es keinerlei Rechtsmittel.

Zwei verwarnungswürdige Vergehen sind zu wenig für so eine schwere Strafe

Das Problem ist, dass die Regel falsch ist. Der Fall Hummels bietet dafür ein anschauliches Beispiel. Erstens, weil die erste der beiden gelben Karten auf einer Fehlentscheidung beruhte. Zweitens, weil es generell unverhältnismäßig ist, einem Spieler die Halbfinal-Teilnahme zu versagen, nachdem er in fünf Spielen zwei gelbe Karten sah. Zwei verwarnungswürdige Vergehen sind zu wenig für so eine schwere Strafe. Die rigorose Regel passt nicht mehr in die Zeit, in der brutale Härte lediglich in Ausnahmefällen vorkommt. Die Uefa greift mit dieser Vorschrift unangemessen in den Wettbewerb ein, nicht zuletzt auf Kosten persönlicher Dramen.

Der Waliser Aaron Ramsey etwa verpasst das Halbfinale gegen Portugal wegen eines nichtigen Handspiels aus der zweiten Vorrundenpartie und eines geringfügigen Trikotziehens im Viertelfinale. Ramseys Fehlen schwächt Wales massiv, und es ist fraglich, ob er je wieder mit der Nationalelf so ein großes Spiel erleben wird.

Hummels kann es sich schon eher leisten, über sein unverdientes Los zu lächeln. Die Teilnahme am Finale könnte ihn entschädigen, sagte er. Diese Kompensation kann die Uefa ihren Justizopfern allerdings nicht versprechen.

© SZ vom 05.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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