Fußball-Bundesliga:Hertha spielt mit dem Rest der Welt Verstecken

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Trainerwechsel, Durchhalteparolen und jetzt ein ominöses Geheimtraining. Vor der Schicksalspartie auf Schalke kapselt sich Hertha BSC Berlin von der Welt ab. Draußen in der Bundesliga-Realität brodeln derweil die Gerüchte: Nimmt sich ein Scheich des klammen Klubs an? Kommt Ralf Rangnick als Trainer?

Boris Herrmann, Berlin

Zu den drei wichtigsten Waffen im Abstiegskampf gehört neben der Durchhalteparole und der Trainerentlassung traditionell auch das Geheimtrainingslager. Was die ersten beiden Punkte betrifft, haben die schwer abstiegsbedrohten Berliner von Hertha BSC bereits alle Register gezogen in dieser Saison. Deshalb muss es nicht wundern, dass sie nun mit aller Kraft auf Punkt drei setzen.

Nur Beobachter: Herthas Patrick Ebert (links, mit Olcay Sahan) offenbarte bei der Niederlage gegen Kaiserslautern mal wieder Berliner Zweikampfschwäche. (Foto: Kern/Getty)

Vor dem Auswärtsspiel bei Schalke 04 haben sich die Herthaner in das vielleicht geheimste Geheimtrainingslager der jüngeren Bundesliga-Geschichte zurückgezogen. Im Schlosshotel Goldschmieding bei Castrop-Rauxel sowie auf dem Sportplatz des SV 04 Langendreer haben sie ihre Barrikaden errichtet. Von dort aus spielen sie dieser Tage mit dem Rest der Welt Verstecken.

An Gesprächstermine und Pressekonferenzen ist selbstverständlich nicht zu denken. Nach außen dringen in Anlehnung an das berühmte Selbstinterview von Manager Michael Preetz lediglich vereinsintern gefertigte Erlebnisberichte, die auf der Webseite veröffentlicht werden. In diesem Kontext lässt beispielsweise Torhüter Thomas Kraft etwas verkünstelt ausrichten: "Jede Ablenkung ist nicht hilfreich." Ein gewisser "OttonRehhagel" stellt fest, die Spieler seien sehr fokussiert.

Abstieg am Samstag möglich

Apropos: Selbst die sonst so findigen Fotografen der Boulevardblätter stoßen bei ihrer Arbeit auf ungeahnte Hindernisse. Wer die Mühe auf sich nimmt und mit schwerem Kamerazeug auf einen Bretterzaun klettert, dem wird von innen eine rostige Metallplatte vor die Linse gehalten. Man könnte jetzt böse sein und sagen: Wäre Hertha BSC im Verhindern von Gegentoren zuletzt ebenso präzise gewesen wie im Verhindern der Berichterstattung, dann hätte er einen Großteil seiner Probleme gar nicht.

Das Hauptproblem ist zweifellos: Hertha hat zwei Punkte Rückstand auf jenen Relegationsplatz, an den sich derweil der 1. FC Köln klammert. Sollten die Kölner am Samstag in Freiburg gewinnen und die Berliner gleichzeitig auf Schalke verlieren, dann stünde die Bundeshauptstadt um 17.20 Uhr wieder einmal ohne Erstligisten da. Berlin würde das vermutlich verkraften, es hat noch ein paar andere Reize, auf die es sich nicht ganz von ungefähr etwas einbildet. Es stellt sich allerdings schon die Frage, ob Hertha BSC das auch verkraften würde.

Das wäre zum Beispiel so ein Thema, das man gerne einmal mit den leitenden Angestellten erörtern würde. Da Hertha aber nicht spricht, wird umso mehr über Hertha gesprochen. Es sind allerlei Geschichten auf dem Markt, die weitgehend unkommentiert durch die Berliner Luft schwirren. Zunächst einmal geht es um Geld - immer ein heikles Thema in der Stadt. Im vergangenen Jahr sorgte Präsident Werner Gegenbauer mit einem - bis heute geheimen - Investor über acht Millionen Euro für Aufsehen.

Otto Rehhagel kehrt zurück
:Der Mann, den sie König nennen

Er ist ein Kind der Bundesliga, seit 1963 dabei - und bekannt für seinen kauzigen Charme: Otto Rehhagel war einst ein bissiger Abwehrspieler, dann feierte er mit Bremen und Kaiserslautern große Erfolge und schließlich coachte er rumpelnde Griechen zum EM-Titel. Jetzt soll er Hertha BSC Berlin vor dem Abstieg bewahren. Sein Leben in Bildern.

Jonas Beckenkamp

Diesmal wurde in großen Buchstaben gemutmaßt: "Scheich steigt bei Hertha ein". Die Rede ist von Hamed bin Zayed Al Nahyan, einem Halbbruder des Eigentümers von Manchester City. Dass sich Hertha BSC bald José Mourinho oder Pep Guardiola auf der Trainerbank leisten kann, ist trotzdem nicht zu erwarten. Nach übereinstimmenden Medieninformationen deutet aber einiges darauf hin, dass Scheich Hameds arabische Fluglinie Etihad Airways demnächst die Deutsche Bahn als Trikotsponsor ablöst.

Die Araber sind größter Einzelaktionär von Air Berlin, und wenn im Sommer der neue Großflughafen Berlin-Brandenburg eröffnet wird, bieten die Herthaner-Brüste - unabhängig von ihrer Ligazugehörigkeit - durchaus interessante Werbeflächen. Was aber die Gesamtsituation des hoch verschuldeten Klubs angeht, da gilt wohl bis auf Weiteres der Merksatz des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel: "Wenn i 100 Mark in der Kasse hab' und nähme 200 Mark raus, dann muss i erschd wieder 100 Mark reinlege, bis nix mehr in der Kasse isch."

Damit sind wir auch schon beim nächsten Schwaben, dem allseits geschätzten Trainer Ralf Rangnick. Der hat gerade laut durchblicken lassen, dass er nach seinem Burnout im vergangenen Herbst wieder bereit für den Profifußball ist. Ein Kandidat wäre Bayer Leverkusen, ein Kandidat scheint aber neuerdings auch Berlin zu sein. Vor einigen Wochen hatte Rangnick ein Engagement noch kategorisch ausgeschlossen.

Jetzt schließt er es nicht mehr ganz so kategorisch aus. Für Hertha spricht, dass der Mann bekanntlich langfristig, strategisch arbeitet (wo wäre das dringender nötig als im Berliner Westend?), für Hertha spricht derzeit auch der relativ gesättigte Stellenmarkt. Gegen diese Variante spricht allerdings, dass Rangnick als ein Coach gilt, der relativ allergisch auf das reagierte, was man gemeinhin als chaotische Verhältnisse bezeichnet. Neben dem 1. FC Köln hat sich in dieser Kategorie zuletzt auch das Berlin der Preetz-Ära einen Namen gemacht.

Man steht mithin vor folgender Gemengelage: Die zu erwartende Wiederwahl von Präsident Gegenbauer Ende Mai könnte mit seinen Investorenkontakten zusammenhängen, die Zukunft von Preetz mit Gegenbauers Wiederwahl und die Entscheidung von Rangnick mit der Zukunft von Preetz.

Die Anschlussfrage müsste jetzt lauten: Und was hat der Abstieg mit all dem zu tun? Dem Vernehmen nach arbeitet Otto Rehhagel hinter den Brettern von Castrop-Rauxel daran, dass sich diese Frage am Ende doch nicht stellt. Eines der letzten Zitate, das von diesem erfahrenen Fußballhandwerker nach draußen drang, lautete ganz treffend: "Ich bin Praktiker!"

© SZ vom 28.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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