French Open:Wenn Djokovic den Türsteher gibt

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Hat das Turnier in Paris noch nie gewonnen: Tennisprofi Novak Djokovic. (Foto: REUTERS)

Wer kommt an Novak Djokovic vorbei? Was macht Angelique Kerber? Und was ist das für ein Loch auf der Anlage? Sechs Fragen zum Start der French Open.

Von Philipp Schneider, Paris

An diesem Sonntag haben die 115. French Open in Paris begonnen. Traditionell bildet das Turnier, das am 5. Juni mit dem Männer-Finale endet, den Höhepunkt der Sandplatzsaison. Als einziges der vier Grand-Slam-Turniere startet die Veranstaltung in Roland Garros an einem Sonntag - und dauert damit 15 statt 14 Tage.

Was ist neu?

Ein riesiges Erdloch. Eine Baugrube, so groß, dass man den Eifelturm hinein schubsen könnte, wenn man ihn verschwinden lassen wollte. Aber wer will das schon? Es geht um ein anderes Wahrzeichen von Paris, das ein bisschen, sagen wir, zeitgemäßer gestaltet werden soll. Und deshalb wird seit Herbst gebuddelt und gegraben am Stade Roland Garros. Die Baustelle befindet sich im Herzen der im Jahr 1927 errichteten Anlage, zwischen Court Philippe Chatrier und Court Suzanne Lenglen.

Dort entsteht zunächst mal ein neues Besucherzentrum, aber irgendwann, so die Vision, wird auch der Court Central mit einem beweglichen Dach ausgestattet werden, das sich innerhalb von 15 Minuten schließen lassen soll, wenn mal wieder Regen fällt. Night Sessions sollen dann ebenfalls möglich sein, bislang sind die Turniere in New York und Melbourne die einzigen Grand-Slam-Veranstaltungen, bei denen nach Sonnenuntergang auf allen Plätzen gespielt werden kann. (In Wimbledon kann nur auf dem Centre Court länger gespielt werden - aber wegen der lieben Nachbarn maximal bis 22 Uhr Ortszeit.)

Die Vision eines neuen Tennisstadions mit 5000 Plätzen, das im benachbarten Jardin des Serres d'Auteuil zur Hälfte im Boden versenkt werden soll (einem botanischen Garten, der 29 Jahre älter ist als die Tennisanlage), hat dagegen, vollkommen überraschend, noch nicht die Zustimmung der Pariser Naturfreunde, Denkmalschützer, Anwohner und Pflanzen erhalten. Wenn die Erstrunden-Partien ausgetragen werden und sich die Zuschauer erstmals in kleinen Menschenpäckchen durch die traditionell verstopften Straßen der kompakten Anlage in Paris zwängen, wird das neue Erdloch sicher keinen wertvollen Beitrag zur Verkehrsberuhigung leisten.

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Was ist ansonsten neu? Richtig, Roger Federer ist erstmals seit Erfindung des Buchdrucks nicht gemeldet für eines der vier wichtigsten Turniere des Planeten. Der Rücken. Das Knie. Die Fitness. Der Rekordhalter im Grand-Slam-Titel-Sammeln, der seinen Turnierplan stets mit sehr viel Sorgfalt zusammengestellt hat, ist inzwischen 34 Jahre alt.

Höchste Zeit also, noch etwas mehr Sorgfalt anzuwenden beim Zusammenstellen des Turnierplans, um überhaupt nochmal einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Der Schweizer spielt ohnehin lieber auf dem schnellen Rasen von Wimbledon als im tiefen Sand von Paris. Das Publikum in Roland Garros wird Federer besonders vermissen. Es schätzt ja die technisch Hochbegabten mehr als das Krafttennis der jüngeren Spielergeneration.

Worum geht es?

Um Ruhm. Um Ehre. Um schrecklich viele Weltranglistenpunkte. Und natürlich wieder um einen Geldspeicher voll mit Banknoten: 32 017 500 Euro sind in diesem Jahr zu verteilen, das sind 14 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Allein die Siegerin und der Sieger erhalten jeweils zwei Millionen Euro, die Zweitplatzierten eine Million, die acht Halbfinalisten jeweils 500 000 Euro und die 16 Viertelfinalisten 294 000 Euro.

In den Sphären der eher irdisch veranlagten Spieler, geht die Schere dann allerdings schnell auseinander: Wer nach der der ersten Runde wieder abreist, muss 30 000 Euro versteuern. Wer die zweite Runde erreicht: 60 000 Euro. Die abermals deutliche Erhöhung des Preisgelds erklärt sich als letzter Schritt im Zuge eines Vierjahresplans, der 2013 initiiert wurde.

"Insgesamt ist das das Preisgeld innerhalb der vier Jahre um 70 Prozent angestiegen", hat Guy Forget in Paris erzählt, der seit Februar die French Open als Turnierdirektor führt. Der ehemalige Profi, der 1991 Michael Stich im Finale von Sydney besiegte und gegen Boris Becker so manche denkwürdige Partie bestritt, stand mal auf dem vierten Weltranglistenplatz; 5,6 Millionen Euro hat er in seiner Zeit auf der Tour verdient. Im Verhältnis am meisten profitieren von dem Geldsegen würden nun die Spieler, die in der ersten Woche ausscheiden, rechnete Forget vor. "Sie verdienen jetzt doppelt so viel."

Gab es neulich nicht eine ausufernde Debatte um gerechte Verteilung der Preisgelder unter den Geschlechtern? Sieht zum Glück fast so aus, als sei genug für alle da.

Natürlich die Vorjahressiegerin Serena Williams und der Fast-Vorjahressieger Novak Djokovic. Für die Weltranglisten-Ersten ihrer Branche geht es mal wieder um Bestmarken und neue Unterkapitel in den Geschichtsbüchern. (Gut, für Djokovic geht es auch um einen monetären Rekord: Sollte er mindestens das Viertelfinale erreichen, wäre er der erste Tennisprofi, der mehr als 100 Millionen Dollar Preisgeld verdient hat).

Der Amerikanerin fehlt nur noch ein Sieg bei einem Major, um mit Steffi Graf gleichzuziehen, die 22 große Titel sammelte. Und der Serbe steht vor der Herausforderung, eine sicher hässlich anzusehende Lücke in der Vitrine endlich zu schließen, die ihm so groß vorkommen dürfte wie der Krater auf der Pariser Tennis-Anlage. Die Pokale aus New York, Melbourne und London hat er längst gewonnen, ihm fehlt nur noch der aus Paris.

Da Williams viermal im Jahr die Chance erhält, den fehlenden Titel zu sammeln, Djokovic allerdings nur in Paris, müsste seine Not eigentlich größer sein. Bei seinen Auftritten kontert der Serbe den von der Öffentlichkeit antizipierten Druck bislang allerdings mit viel Humor. Er sei ja erst 30, erzählte Djokovic am Freitag - zwei Tage vor seinem 29. Geburtstag. Er habe das Gefühl, noch viele Jahre auf der Tour vor sich zu haben, in denen er die Coupe des Mousquetaires, den Siegerpokal, gewinnen kann. Ob er sich das Gefühl vorstellen könne, ganz ohne ihn zu leben? "Sicher, das kann ich", sagte Djokovic. "Das Gefühl habe ich ja gerade."

Was ist mit Nadal?

In Vollbesitz seiner Kräfte ist der Spanier zweifelsfrei noch immer der beste Sandplatzspieler auf dem Planeten. Sein Rekord bei den French Open wird auch dann noch bestehen, wenn eine Neuauflage der Dinosaurier längst drauf und dran ist, die Menschheit zu verdrängen: Neunmal hat Nadal in Paris gewonnen, auch, weil er dort fast immer noch ein wenig besser spielt als auf den anderen Sandplätzen der Tour. Im Vorjahr allerdings hat Nadal die schlechteste Sandplatzsaison seiner Karriere abgeliefert, im Viertelfinale in Paris war er chancenlos gegen Djokovic, der Titel ging dann an Stan Wawrinka. Erst in diesem April hat Nadal auf Sand wieder zu einer Form gefunden, die stark an seine besten Zeiten erinnert. Er gewann in Barcelona und sogar das Masters in Monte Carlo.

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Und auch außerhalb des Platzes hatte er etwas zu sagen: Als er sich öffentlich gegen die Dopingvorwürfe wehrte, die die ehemalige französische Sportministerin Roselyne Bachelot gegen ihn erhoben hatte. Um seine Unschuld zu belegen, bat Nadal in einem Brief an den Tennis-Weltverband ITF um die Veröffentlichung der Resultate aller seiner Dopingtests.

"Es ist wichtig, dass unser Sport ein Flaggschiff in einer Welt wird, in der Transparenz und Ehrlichkeit die beiden Säulen unseres Handelns sind", schrieb Nadal an den ITF-Präsidenten David Haggerty. Bachelot hatte im März in einer TV-Sendung behauptet, Nadal habe 2012 mit einer mehrmonatigen Verletzungspause einen positiven Dopingbefund kaschieren wollen, als er wegen einer Knieverletzung für ein halbes Jahr ausgefallen war.

Wie konzentriert und erfolgreich Nadal bei seinem Lieblingsturnier spielen wird, das ist die große Unbekannte in diesem Jahr. Neben der sportlichen Verfassung von Angelique Kerber, versteht sich.

Das weiß vielleicht nicht einmal Kerber selbst. Wobei es ja manchmal so wirkt, als habe sich die Australian-Open-Siegerin eine ausgeklügelte Taktik zur Verwirrung ihrer Gegnerinnen erdacht: Ätschfitfit, bin ich in Form, bin ich es nicht? Spiele ich selbstbewusst, spiele ich wieder verkrampft?

Kerber hat in den Wochen und Monaten dieses Jahres, dem besten ihrer Karriere, mal wieder die ganze Bandbreite ihres Tennis gezeigt. Nach dem überraschenden Triumph in Melbourne sah es so aus, als könnte sie sich dauerhaft auf einem ähnlichen Niveau einrichten, auf dem sie sich im Finale gegen Serena Williams bewegt hatte. Beim Fed Cup in Rumänien spielte sie gut, sie sorgte für zwei Punkte und besiegte die French-Open-Finalistin Simona Halep. Dann eilte sie weiter zur Titelverteidigung beim Turnier in Stuttgart.

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Doch jüngst schlichen sich wieder die alten Unsauberkeiten und Konzentrationsschwächen in ihr Spiel: Sowohl in Madrid als auch in Rom verlor sie ihr erstes Spiel. Den geplanten Start in der Woche danach beim Nürnberger Turnier sagte Kerber ("Ich spiele nur, wenn ich zu 100 Prozent fit bin") wegen einer Schulterverletzung ab. Sehr spontan, am letzten Tag vor Turnierstart, wenige Stunden vor Meldeschluss.

Turnierdirektorin Sandra Reichel blieb der eigenen Aussage nach zu wenig Zeit, um eine Ersatzspielerin zu nominieren. Bis zum Abflug nach Paris zog sich Kerber zurück. Sie ging ins Kino, war im Restaurant. Am Freitag dann bat sie dafür um Verständnis, dass dieses Jahr "ein bisschen anders" für sie sei. Natürlich sei es zuletzt nicht gut gelaufen, solche Phasen gebe es aber in jedem Jahr. "Das ist kein Megadrama. Ich bin selbstbewusst hergekommen und auf einem guten Weg. Sieht alles gut aus."

In Paris trifft sie in der ersten Runde ausgerechnet auf Kiki Bertens. Die Niederländerin gewann am Samstag den zweiten WTA-Titel ihrer Karriere. In Nürnberg, bei jenem Turnier, das Kerber ausließ. Immerhin dürfte sie etwas ausgeruhter sein als Bertens. Dafür reist diese mit frischem Selbstbewusstsein an.

Wer könnte für eine Überraschung sorgen?

Seit ein paar Jahren ist im Männertennis die Rede von den sogenannten Jungen Wilden, einer neuen Generation von Spielern, die sich Zutritt verschaffen könnte zum exklusiven Klub, bei dem es einem so vorkommt, als gäbe es hinter verschlossenen Türen Absprachen über die Vergabe der Grand-Slam-Titel. Mitglieder sind dort nur Djokovic, Murray, Federer und Nadal. Stanislas Wawrinka schmuggelte sich immerhin zweimal dazu, einmal, bei den US Open 2009, brach der Argentinier Juan Martin del Potro mit roher Gewalt ein in den Klub. Und man vergisst gerne Marin Cilic, der völlig unerwartet die US Open 2013 gewann.

Was aber fehlt, worauf die Branche wartet seit Jahren, das ist ein neues, ordentliches Mitglied. Bewerber gibt es viele, manche von ihnen aber sind noch so jung, dass sie an einem grimmigen Türsteher hängen bleiben. Der Australier Nick Kyrgios, 21, könnte mal einer werden, der Kroate Borna Coric, 19, und der gleichaltrige Hamburger Alexander Zverev. Noch eher darf allerdings mit dem Österreicher Dominic Thiem und dem Japaner Kei Nishikori gerechnet werden.

Thiem, 22, Weltranglistenplatz 15, gewann nach einer erfolgreichen Südamerika-Expedition mit Siegen in Acapulco und Buenos Aires am Samstag in Nizza schon seinen dritten Titel bei einem sonnigen Turnier in Strandnähe in diesem Jahr. In drei Sätzen besiegte er den drei Jahre jüngeren Zverev und freute sich anschließend darüber, die Woche sei eine optimale Vorbereitung für Paris gewesen: "Hier gibt es einen ähnlichen Platz und dieselben Bälle!"

Das stimmt natürlich, wird aber Nishikori kaum ängstigen. Der 26-Jährige ist sicher nicht mehr der Jüngste der Jungen Wilden, spielt aber bislang eine großartige Sandplatzsaison. In Barcelona verlor er erst im Finale gegen Nadal, in Madrid und Rom jeweils im Halbfinale gegen Djokovic. Bei letzterem Turnier zwang er den Serben in einen dritten Satz und nach über drei Stunden in einen abschließenden Tiebreak. Wie gut war Nishikori in jenem Match? Djokovic war am nächsten Tag im Finale zu müde, um sich gegen Murray zu wehren!

Und was den Vorjahressieger Stanislas Wawrinka angeht: Er kommt zum richtigen Zeitpunkt in Form, am Samstag gewann er das Finale von Genf gegen Marin Cilic; ausschließen lässt sich nicht, dass er in 14 Tagen seinen dritten Grand-Slam-Sieg feiert. In dem Fall sollte ihm allerdings schleunigst ein Mitgliedsausweis für den elitären Klub ausgestellt werden, er ist ja schon 31.

© SZ vom 22.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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