Tennis:Wawrinka fräst sich durch die French Open

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"Weit voraus", sei ihm Halbfinalgegner Andy Murray, sagt Wawrinka. Dabei haben beide gleich viele Grand-Slam-Titel gewonnen: zwei. (Foto: Eric Feferberg/AFP)
  • Vor dem Halbfinale bei den French Open redet sich Titelverteidiger Stanislas Wawrinka raffiniert klein.
  • Doch der Schweiz zählt in Paris zu den Favoriten. Jetzt trifft er auf den Schotten Andy Murray.
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Von Philipp Schneider, Paris

Stan Wawrinka hat neulich über das Wetter gesprochen, er kam gar nicht vorbei an dem Thema, in Paris ist es ja dieser Tage so: Entweder es regnet, oder es regnet gleich. Die Luft ist so feucht, dass es Spielerinnen gibt, die von Wettbewerbsverzerrung sprechen, oder diese zumindest andeuten, und immer sind es Spielerinnen, die zufällig bereits ausgeschieden sind, wie die Weltranglistenzweite Agnieszka Radwanska oder die Weltranglistensechste Simona Halep.

Es gibt in Paris wenige relativierende Stimmen im Chor der Schlechtwetternörgler, der Lette Ernests Gulbis etwa erinnerte daran, dass ihm vor wenigen Wochen überraschend Schnee auf das Haupt gefallen sei, als er beim Turnier in München spielte. "Dabei betreiben wir keinen Wintersport", sagte Gulbis. Der Spanier Roberto Bautista Agut, der gegen Novak Djokovic ausschied, maulte danach nur ganz leise, sein Ellbogen würde schmerzen. Weil sich die Bälle in der klammen Pariser Luft anfühlen, als wären sie gefüllt mit Blei.

"Ich gehe einfach raus. Und dann spiele ich"

Nur der Schweizer Wawrinka redet über das miese Wetter wie über eine gute Freundin. Och, ja, meinte er, "selbst Bedingungen wie heute sind für mich noch immer gut. Ich kann den Ball hart treffen und noch immer Winner schlagen".

Immer noch gut. Er meinte: im Vergleich zu den anderen.

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Wer Wawrinka in Paris spielen sieht, der bekommt ein Gefühl dafür, warum wohl nur die Schweizer auf die Idee kommen konnten, sich 17 Jahre lang auf 57 Kilometern Länge mit dicken Bohren durch ein Bergmassiv zu ackern. Wawrinka ist der Titelverteidiger bei den French Open, mit seiner Rückhand hat er sich schon wieder ins Halbfinale gefräst und auf dem Weg dorthin nur drei Sätze verloren. Weil er ziemlich gut klarkommt mit dem feuchten, trägen Sand und den schweren Bällen. So gut, dass er nun lachen musste, als ihn jemand fragte, ob er in Paris, wie viele andere Spieler im Feld, eine weniger harte Bespannung für seinen Schläger wählt, um die Bälle überhaupt einigermaßen beschleunigen zu können. "Nicht wirklich. Ich gehe einfach raus. Und dann spiele ich."

Andererseits, ob er nun will oder nicht, ist Wawrinka der einzige verbliebene Spieler im Wettbewerb, der die Grand-Slam-Veranstaltung in Roland Garros schon einmal gewonnen hat. Also ist er immer wieder gefragt worden, ob nicht auch in diesem Jahr mit ihm zu rechnen sei bei der Pokalvergabe. In allen erdenklichen Variationen hat er das von sich gewiesen. "Novak ist der Favorit", hat Wawrinka zu Beginn über den Weltranglistenersten Djokovic gesagt, dem ja nur die Coupe des Mousquetaires in seiner Sammlung fehlt. Und er hat diese vielerorts beliebte These noch oft wiederholen müssen.

Mit einem Sieg bei seinem Heimturnier in Genf ist Wawrinka angereist. Wie der Österreicher Dominic Thiem, der kurz vor den French Open das Turnier in Nizza gewonnen hatte und nun mit einem 4:6, 7:6 (7), 6:4, 6:1 gegen den Belgier David Goffin ebenfalls ins Halbfinale stürmte, hatte sich auch Wawrinka nicht regeneriert vor Paris. Die vielen Spielunterbrechungen wegen Regens werden ihn also nicht gestört haben, auch nicht der erste gänzlich spielfreie Tag bei den French Open seit 16 Jahren.

Wawrinkas Name steht in der unteren Hälfte des Draws, die weniger hart getroffen wurde von den Verwerfungen im Spielplan: Zwischen Viertel- und Halbfinale hatte er, genau wie sein nächster Gegner Andy Murray, einen Tag spielfrei. Djokovic hatte den nicht. Der Serbe musste, nachdem er erst am Mittwoch sein Match gegen Bautista Agut beendet hatte, am Donnerstag hinaus in den Nieselregen auf dem Court Philippe Chatrier, um dort Tomas Berdych 6:3, 7:5, 6:3 zu besiegen. Und an diesem Freitag trifft er schon wieder auf den zähen Thiem, den erfolgreichsten Sandplatzspieler der Saison, der gegen Goffin bereits den 41. Sieg im 51. Match des Jahres erlebte.

Und doch ist es auch in diesem Jahr wie immer bei Wawrinka: Sollte er hier seinen dritten großen Titel gewinnen nach den Australien Open 2014 und den French Open im Vorjahr, so wären wieder alle glaubhaft überrascht. Auch Wawrinka selbst. Sein Turniersieg in Genf kam ja wie aus dem Nichts. Seit seinem Titelgewinn im Februar beim Turnier in Dubai hatte er oft verloren, vor allem seine Auftritte bei den Veranstaltungen zuletzt in Madrid und Rom ließen nicht auf großes Sandplatztennis in Roland Garros schließen.

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Wie Wawrinka sich vor dem Halbfinale kleinredet

Wawrinka redet sich gerne klein. Er setzt seit jeher eine Spanische Wand zwischen sich und die Big Four, die Branchenführer Djokovic, Federer, Nadal und Murray. Aber er hat das noch nie so interessant begründet wie nun, vor seinem Halbfinale gegen Murray. Der Schotte sei ihm "weit voraus", sagte Wawrinka, daran ändere auch die Tatsache nichts, dass er in seiner Karriere exakt so viele Grand-Slam-Siege vorzuweisen hat wie Murray: nämlich zwei. "Er ist die Nummer zwei der Welt, er hat so viele Titel und so viele Masters 1000 gewonnen." Deshalb könne er, Wawrinka, nur immer wiederholen: "Murray gehört zu den Big Four, und dafür gibt es einen Grund. Er hat zwar nicht so viele Titel wie die Big Three, aber er hat immer wieder gegen sie gespielt, im Halbfinale und Finale."

In der Tat hat Murray in seiner Karriere zwölf Titel bei den 1000er-Masters gesammelt, die in ihrer Wertigkeit direkt nach den Grand-Slam-Veranstaltungen kommen. Wawrinka? Exakt einen. Vor zwei Jahren besiegte er in Monte Carlo Federer. Die Frage müsse sein, fragte sich der ungefragte Wawrinka nun selbst, wie der "Gap", wie also seine Lücke, zwischen seinen großen Leistungen bei Majors und den weniger guten bei kleineren Turnieren zu erklären sei? Eine Antwort gab er nicht. Er sucht sie schon seit Jahren.

Vor allem hat er so abgelenkt von einer größeren Frage: Was geschieht, sollte Wawrinka, die kleine Fünf, eines Tages einen Grand-Slam-Pokal mehr besitzen als Murray, die große Vier?

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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