French Open:Der verrückte Roadtrip des Marco Trungelliti

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War schon abgereist - und steht nun in Runde zwei der French Open: Tennisprofi Marco Trungelliti. (Foto: AP)
  • Der Tennisprofi Marco Trungelliti hatte in der Qualifikationsrunde der French Open schon verloren und war abgereist.
  • Zu Hause in Barcelona erfuhr er, dass er doch in der ersten Runde antreten dürfe - also fuhr er im Auto mit seiner Familie zurück.
  • Im Duell gegen Bernard Tomic setzt er sich dann sogar durch - und steht jetzt in der zweiten Runde.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Die Geschichte, die Marco Trungelliti jetzt erlebt, gab es noch nie im Tennis. Der Argentinier ist die Nummer 190 der Weltrangliste. Bei den French Open versuchte er sein Glück im Qualifikationsfeld. Im letzten Match schied er aus, gegen den Polen Hubert Hurkasz. Trungelliti reiste ab, er war am Sonntag in Barcelona, wo er lebt. Und am Montag um elf Uhr stand er doch in Paris auf Court 9, um das Erstrundenduell mit dem Australier Bernard Tomic, dem Sonderling der Szene, auszutragen. Großer Andrang herrschte auf dem Platz, der nur wenige Tribünensitze bietet. Reporter aus vielen Ländern wollten ebenfalls diesen Lockenkopf sehen, der bisher nichts Besonderes gewonnen hat. Er war noch nie in den Top 100.

Aber jetzt? Kam er zu Ruhm. Andy Warhols Ausspruch von den 15 Minuten im Rampenlicht lebte fürwahr an diesem schwülen Vormittag auf der Anlage von Roland Garros. Nur, dass die Viertelstunde bei Trungelliti eine ganztägige Odyssee war, inklusive zehnstündiger Autobahnbretterei über 1000 Kilometer.

Trungellitis überraschende Teilnahme im Hauptfeld war die Pointe einer ohnehin skurrilen Entwicklung. Vor dem 28-Jährigen aus Santiago del Estero waren unglaubliche sieben Profis als Lucky Loser ins Tableau nachgerückt, weil so viele andere Spieler verletzungsbedingt ihre Starts zurückgezogen hatten.

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Der Vorjahresfinalist aus der Schweiz verliert nach fünf Sätzen gegen Guillermo Garcia-Lopez. Peter Gojowczyk und Philipp Kohlschreiber müssen ebenfalls abreisen.

Seine Familie war aus Argentinien angereits, um ihn zu besuchen

Eine neue Regel beförderte diese Zahl. Um zu vermeiden, dass sich verletzte oder kranke Spieler auf den Platz stellen, um das hohe Startgeld abzukassieren - in Paris gibt es 40 000 Euro -, können sich angeschlagene Profis nun kurzfristig abmelden und erhalten zumindest die Hälfte und gehen nicht mehr leer aus. Die andere geht an den "glücklichen Verlierer" aus der Qualifikation. Als Nachrücker kommen jene in Frage, die in der letzten von drei Runden in der Qualifikation verloren hatten. In Paris, das ist das Einmalige, gingen die verfügbaren Lucky Loser jedoch plötzlich aus. Alle möglichen Kandidaten: abgereist. Wer also würde sich den Startplatz und die 20 000 Euro ergattern? Dieses Rennen spitzte sich zu.

Mit jedem bereits aufgerückten Lucky Loser war eigentlich die Wahrscheinlichkeit gesunken, dass noch ein weiterer Platz frei werden würde. Unverhofft in Runde eins waren schon gelandet: der Italiener Simone Bolelli, der Belgier Ruben Bemelmans, der Kanadier Peter Polansky, der Este Jurgen Zopp, der Ukrainer Sergej Stachowski, der Kölner Oscar Otte, 24, wie die meisten anderen einer dieser Journeymen, die ohne Luxus um die Welt tingeln. Otte verlor indes sein erstes Grand-Slam-Match jemals gegen den Italiener Matteo Berrettini mit 6:3, 5:7, 2:6, 1:6. Am Sonntag, kurz vor dem Eröffnungsmatch im Hauptstadion, dem Court Philippe-Chatrier, zog der Serbe Viktor Troicki zurück gegen den Bulgaren Grigor Dimitrov. Jetzt rückte Mohamed Safwat auf. Und die Geschichten wurden immer abseitiger. Safwat war der erste Ägypter in einem Grand Slam seit 22 Jahren. Er verlor klar, aber auch er hatte seine 15 Minuten.

Dann meldete sich Nick Kyrgios ab. Und jetzt war keiner mehr greifbar, um einzuspringen. Auf der Liste stand als Nächster: Prajnesh Gunneswaran. Der Inder aus Chennai trainiert in der Akademie von Alexander Waske in Offenbach. Waske versuchte in Paris, seinen Spieler ins Feld zu bringen. "Er sitzt aber im Flieger und weiß von nichts", sagte er am Montagabend. In Vicenza war Gunneswaran für ein Challenger gemeldet. Check der Tour, Urteil: Gunneswaran ist raus, er darf nicht woanders abmelden, um woanders zu spielen. Nun blieben nur acht Optionen an Spielern. Bei Trungelliti klappte es. Er hatte selbst nochmal nachgefragt. Das Knifflige: Seine Familie war aus Argentinien angereist, um ihn in Barcelona zu besuchen. Kurz darauf setzten sich die Trungellitis einfach alle ins Auto, düsten los, nach Paris, 1000 Kilometer vor sich und bester Laune, Bruder Andre vorne, Mutter Susi und Oma Lela hinten.

Trungelliti unterhielt über seinen Twitter-Account auf köstliche Weise seine Fans mit Informationen über den Zwischenstand seines, wie er tippte, "Roadtrips". Auf einem Foto, nach Start der Fahrt, lachten sie im vollgequetschten Auto, in der Mitte die riesige Tennistasche. Dann: "Nur noch 80 Kilometer." Ein 14-sekündiges Video dazu wurde mehr als 15 000-Mal angesehen. Sie checkten, rechtzeitig noch, um 23.50 Uhr im Hotel ein. Beim Aussteigen führte er die Großmutter am Arm, die am Stock ging. So viel Stil bewahrte er sich in diesem Moment. Fünf Stunden Schlaf, um 10.30 Uhr schrieb er sich ein fürs Hauptfeld. Drin!

Das Match gegen Tomic begann auch skurril. Da fuhr er zehn Stunden, der ganze Stress - und dann musste Trungelliti erst mal warten, Tomic kam zu spät. Es wurde ein spannendes Match, Tomic war mal 17. der Welt, lang ist es her, und so setzte sich Trungelliti durch, 6:4, 5:7, 6:4, 6:4. Als er vom Platz ging, lächelte er ungläubig. War er nicht gestern noch in Barcelona?

Er wurde zur Pressekonferenz gerufen, 16.20 Uhr. Im Main Room, wo sonst Nadal sitzt. Der Saal: zum Bersten voll. "Ich hätte nicht gedacht, dass so was möglich ist", sagte Trungelliti. Noch mal erzählte er seine Geschichte. Fünf Minuten habe er zum Packen gehabt. Flüge, Züge waren ihm zu unsicher, in Frankreich ist Streikzeit. Oma Lela stand unter der Dusche, als er die Zusage erhielt zu kommen. 88 ist sie, "sie weiß nicht genau, wie Tennis geht", sagte Trungelliti grinsend. Er hatte den Media Room erobert. Alle grinsten, irgendwie.

Zu den 20 000 Euro kommen nochmals 59 000 Euro, mindestens. In Runde zwei hat er auch Chancen, Marco Cecchinato aus Italien ist aus einer schlagbaren Region als 72. im Ranking. Das Gute: Trungelliti ist mit dem Auto da. Er kann jetzt abreisen, wenn es wirklich vorbei ist, sein Abenteuer in Paris.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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