Tennis:Endlich raus aus dem Fokus

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Angelique Kerber: Motiviert in Paris (Foto: Getty Images)
  • 2016 war für Angelique Kerber das Jahr der Erfolge, 2017 das der Niederlagen - nun herrscht in ihrem Team Einigkeit darüber, dass sich 2018 ähnlich anfühlt wie die Zeit, ehe sie mit ihren Triumphen in eine neue Dimension vorgestoßen war.
  • "Sie ist als Person unheimlich gereift", sagt Barbara Rittner, die im Deutschen Tennisbund als Head of Women's Tennis den Frauenbereich verantwortet.
  • Ihren Beruf scheint Kerber nun wieder zu genießen.

Von Gerald Kleffmann, Paris

"Alter Sack", ruft Philipp Kohlschreiber, nachdem er einen Ball nicht erreicht hatte im Training mit dem Portugiesen João Sousa. Von oben blickt Boris Becker herab, der Head of Men's Tennis des Deutschen Tennis-Bundes schaut sich oft Einheiten der Deutschen an. Das Gelände "Jean Bouin", fünf Gehminuten von der Turnieranlage der French Open entfernt, ist in Terrassen angelegt, Vögel zwitschern, Autos rauschen, nebenan schimmert die gelbe Fassade des berühmten Hotels Molitor. Auf Court 31 üben Novak Djokovic und Stan Wawrinka, vor dem Café sitzt Mischa Zverev samt Gattin. Als Angelique Kerber durch diese nur Profis vorbehaltenen Anlage schreitet, rechts Coach Wim Fissette, links Physio Timo Schall, lächelt sie. Ein gewöhnlicher Arbeitstag für sie. Ein wunderbarer Arbeitstag für sie.

Kerber, erzählt jemand aus ihrem Umfeld, habe zurück zur Normalität und ihre innere Mitte wieder gefunden. Das strahle sie aus. Sie hat ja, was sich an Erfolgen in dieser Saison bemessen lässt, die Wende geschafft und oft überzeugt, etwa bei den Australian Open, als sie erst in einem Halbfinal-Krimi von der Rumänin Simona Halep zur Niederlage gezwungen wurde. In Paris hat sie keine Punkte zu verteidigen, sie hatte 2017 gleich gegen die Russin Jekaterina Makarowa verloren (am Sonntag schied auch gleich die Titelverteidigerin Jelena Ostapenko, 20, aus Lettland mit 5:7, 3:6 gegen die Ukrainerin Kateryna Kozlowa, 24, aus). Sie könnte bald wieder in den Top Ten stehen, noch ist sie Zwölfte; in Runde eins trifft sie auf Mona Barthel, 27.

Im Team Kerbers herrscht Einigkeit darüber, dass sich 2018 ähnlich anfühlt wie die Zeit, ehe Kerber mit ihren Triumphen in eine neue Dimension vorgestoßen war. Die Grand-Slam-Siege bei den Australian Open und den US Open und das Erklimmen der Nummer eins in der Weltrangliste hatten aus ihr eine nationale Heldin gemacht, viele Erwartungen wurden in sie interpretiert. Es ging nicht gut, zumindest ging es wie nach dem Besteigen eines Gipfels abwärts. Im Ranking fiel sie zurück.

Heute wissen sie im Team, dass das wohl so sein musste, dass Kerber diese Pole, das Jubeln, das Leiden, durchleben musste, um sich selbst zu sehen, zu finden. 2016 und 2017, das Jahr ihrer Siege und das Jahr ihrer Niederlagen, sind für Kerber daher ein einziger zeitlicher Block, der als Ganzes verarbeitet werden musste. Diese Erkenntnis musste erst reifen. Schließlich hatte dieses verfluchte 2017 direkt an 2016 geklebt und Vergleiche permanent aufgezwängt. 2018? "2018 ist isoliert, sie blickt nicht zurück", sagt ein Vertrauter. Das gebe Kerber Lockerheit, die ihr 2017 fehlte.

"Sie ist als Person unheimlich gereift", sagt Barbara Rittner, die in Paris für einen Fernsehsender im Einsatz ist und im DTB als Head of Women's Tennis den Frauenbereich verantwortet. Kerber lebe wieder Kampfgier und Freude auf dem Platz aus. Großen Verdienst rechnet sie dem Belgier Fissette, 38, zu, dem freundlichen, unauffälligen Dirigenten. "Er ist ruhig, besonnen, ist ein Fachmann, aber auch total unabhängig", sagt Rittner. Fissette, der Kim Clijsters zu drei Grand-Slam-Siegen sowie Sabine Lisicki (2013 in Wimbledon) und Halep (2014 in Paris) in bedeutsame Finals geführt hatte, stehe souverän im Leben. "Er kann auch mit Angies Launen umgehen", sagt Rittner. Es ist kein Geheimnis, dass diese vorhanden sind bei Kerber. Manchmal, wenn sie keine Feinde wittert, witzelt sie sogar charmant über ihre Macken.

Dass ihr Prozess der Erfolgsbewältigung länger dauerte, hat damit zu tun, dass Kerber sich schwer von mal gewonnenen Ritualen und loyalen Banden lösen kann. Sie ist auch bodenständig. Lange, am Ende wohl zu lange, hielt sie ihrem ewigen Trainer Torben Beltz die Treue. Als sie sich Ende 2017 von ihm trennte und neben Fissette zwei neue Physios kamen (die sich abwechseln), war dieser Schritt mehr eine Zäsur, als er es für andere Spieler gewesen wäre. Inzwischen, auch dies vermittelt ihr Sicherheit, fühlen sich die Abläufe mit den neuen Kräften selbstverständlich an.

Kerbers Crux war im Rückblick, dass sie stets um Siege spielen wollte und plötzlich im Ruhm landete - und zu zaudern begann. Nun, etwas aus dem öffentlichen Fokus geraten, kann sie sich stärker auf den Sport fokussieren, dabei hilft ihr auch, dass sie medial weniger machen muss. Die besten acht Spielerinnen müssen bei jedem Turnier mehrmals durch zig Interviewschleifen gehen, das verlangt die Tour. 145 Pressekonferenzen und -gespräche hat Kerber in zwei Jahren absolviert, als sie noch weit vorne platziert war.

In Paris? Hat sie vorab nicht ein Wort öffentlich sagen müssen. Und auch dies soll, heißt es, wunderbar für sie sein. Sie liebe ohnehin mehr die Rolle derjenigen, die von hinten angreift. Die erst mal die anderen machen lässt, um zu kontern. Sie ist eben keine Diva wie Serena Williams, die schon eine ganz andere Körpersprache ausstrahlt.

Rückschläge sind indes nicht zu vermeiden, Leistungen im Profisport sind stets neu zu produzieren. Einige Matches verlor sie, weil sie müde war von vielen Einsätzen. Oberschenkelprobleme nötigten sie, aufs Turnier in Madrid zu verzichten. Alles überwunden. "Ich glaube, die beste Angie haben wir noch nicht gesehen", das hatte Fissette im April gesagt. In jedem Fall haben sie schon ein Ziel erreicht: Kerber genießt ihren Beruf.

© SZ vom 28.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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